Beeindruckend und verstörend: ERUV – The Wire

Beispielbild
Wiesinger & Schmidt-Salomon © Udo Ungar
Multikulturelle Reibungspunkte

Auch Außenstehende kommen zu Wort. Ari Goldmann, Schriftsteller („Being Jewish“) und Professor für Journalismus, ist der Meinung, dass Menschen, deren Leben chaotisch verläuft, nach Vorschriften suchen. Er vergleicht das orthodoxe Judentum mit dem Islam und erzählt, dass die Konvertierungsquote von Gefängnisinsassen zum Islam aus diesem Grund – der Suche nach einem regulierten Dasein – recht hoch sei. Regeln machten Menschen achtsamer, mache sie zum Teil einer Gemeinschaft, die sie sehr schätzten.

Probleme entstehen, da auch nicht-orthodoxe Juden und andere weltanschauliche Gruppen den Regeln des Eruv ausgesetzt sind. Es kommt zu Vorurteilen und selbst Juden, die sich gegen den Eruv aussprechen, werden des Antisemitismus bezichtigt. Der Eruv konstituiert eine Mauer, aus der Gemeinschaft wird ein Getto. Vor allem, da die Teaneck-Orthodoxen aus Manhatten, New Jersey, New York kommen, verfügen sie über ausreichende finanzielle Mittel, ihr Haus mit Garage, mehreren Computern und anderen Gegenständen ausstatten zu können. Die gekauften Häuser werden meist erweitert, da die Gläubigen mehr Kinder gebären und daher größeren Wohnraum benötigen. Andere Bewohner von Teaneck, die zum Teil innerhalb des Eruv leben, stellen fest, dass einem Segment einer Religion Privilegien eingeräumt werden. Ihr Leben wird dadurch stark beeinflusst, wenn nicht sogar beeinträchtigt. Die Trennung von Staat und Kirche werde auf der gesellschaftlichen Ebene untergraben. Das, was eine Gemeinschaft aufbauen solle, meint Ari Goldmann, könne sie auch teilen.

Ein Deutscher dreht einen Film über Juden

In der anschließenden Diskussion mit Michael Schmidt-Salomon ging Kai Wiesinger auf die Entstehung des Films und die konkreten Probleme des multikulturellen Miteinanders ein. Dass er als Deutscher einen Film über Juden drehte, bereitete zu Beginn absehbare Schwierigkeiten. Als die Arbeiten am Film begannen, lockerte sich die Spannung. Die Tatsache, dass der Film auf jüdischen Festivals sehr positiv rezipiert wird, spricht für ihn.

Außerdem sprach Wiesinger über seine Darstellung des jungen Anwalts Peter Rohm in „Nichts als die Wahrheit“, der in einem fiktiven Prozess den NS-Verbrecher Josef Mengele (Götz George) vertritt, einem Film, der auf internationalen Festivals honoriert, in Deutschland jedoch weitgehend ignoriert wurde. Und er gibt preis, dass er Schauspieler wurde, weil er hoffte, mit seinen Darstellungen die Menschen zum Nachdenken zu bringen.

Sowohl der Film als auch die Podiumsdiskussion mit einem locker aufgelegten Kai Wiesinger brachte das Publikum wohl nicht nur zum Nachdenken, sondern löste auch gelegentlich eine unüberhörbare Heiterkeit aus. Es war ein durchweg gelungener und informationsreicher Nachmittag!
 

Fiona Lorenz

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