"Correctiv"-Reporter Marcus Bensmann: Blick in die Gedankenwelt der AfD

"Remigration heißt Vertreibung"

intext01.jpg

Die Maske abreißen
Die Maske abreißen

Vor der Düsseldorfer Kunsthalle steht ein Karnevals-Mottowagen von Jacques Tilly. Passanten wundern sich. Schließlich ist es ein Mittwochabend im Juni. Das Motiv der Großplastik: Ein Clown reißt einem AfD-Mann die Maske vom Gesicht. Dahinter kommt eine hässliche Hitlerfratze zum Vorschein. Die drastische Karikatur macht aufmerksam auf den Vortrag von einem, der selbst daran beteiligt war, als der AfD im Januar so etwas wie eine Maske vom Gesicht gerissen wurde. Marcus Bensmann ist einer der Rechercheure der Investigativplattform Correctiv. Er spricht auf Einladung des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes.

Unter dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland" wurde im Januar bekannt, dass sich AfD-Politiker und Mitglieder der Werteunion mit rechtsextremen Populisten und Unternehmern in der Nähe von Potsdam trafen, um darüber zu sprechen, wie man Millionen nicht deutschstämmige Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland vertreiben könnte. Die Veröffentlichung mobilisierte mehr als drei Millionen Menschen in ganz Deutschland zu Großdemonstrationen, allein in Düsseldorf gingen am 27. Januar 100.000 Menschen für eine offene plurale Gesellschaft auf die Straße.

Das ist ein paar Monate her, der Elan der Straße ist abgeebbt. Fraglich, ob sich der bürgerliche Protest auch am Sonntag bei der Europawahl Luft machen wird. Mittlerweile haben sich auf Europaebene sogar die rechten Gesinnungsfreunde aus Italien und Frankreich von der AfD distanziert. Die AfD-Abgeordneten im EU-Parlament wurden aus der Rechtsaußen-Fraktion ID ausgeschlossen. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, hatte sich in einem Interview verharmlosend über die nationalsozialistische SS geäußert. Zuvor war einer seiner Mitarbeiter wegen Spionageverdachts festgenommen worden.

Marcus Bensmann erzählt an diesem Abend, dass Correctiv die AfD schon lange vor dem Treffen in einem Hotel nahe Potsdam auf dem Recherche-Radar gehabt habe. Und es sei ganz und gar nicht schwierig, bei den Rechtspopulisten Interna in Erfahrung zu bringen. "Es gibt kaum eine Partei, wo man so redselige Menschen findet, die gern über die Parteikollegen Gerüchte und Dreck auskübeln, weil es so viel Konkurrenz um lukrative Pöstchen und Missgunst innerhalb der Partei gibt."

Marcus Bensmann, Foto: © Peter Kurz
Marcus Bensmann, Foto: © Peter Kurz

Und dann erzählt Bensmann von der spektakulären Recherche im Januar, bei der sich nicht nur ein Reporter unter die Hotelgäste mischte, sondern auch ein Saunaboot gemietet wurde, um die Rechercheobjekte vom Wasser aus zu beobachten. Auch wenn die Planspiele des Treffens durch die Recherche öffentlich wurden, betont Bensmann doch auch: "Die völkischen rechtsextremen Netzwerke waren immer da, nur nie sichtbar, sie waren vorher jahrzehntelang eingekapselt."

Der bei dem Treffen als Redner auftretende österreichische rechtsextreme Aktivist Martin Sellner werbe schon länger mit verschleiernder Sprache für die Ziele. Bensmann: "Reinrassigkeit heißt da ethnokulturelle Identität, Vertreiben heißt Remigration." Hinter dem Begriff der ethnokulturellen Identität stehe, dass alle, die nicht dazugehören, fremd sind. Die Trennung zwischen Eigenem und Fremdem.

Und das Konzept der Vertreibung von Millionen Menschen, die mit Hilfe von "maßgeschneiderten Gesetzen" und "Anpassungsdruck" hinausgedrängt werden sollen aus Deutschland. Das müsse all jenen klar sein, die sich als Protestwähler sehen. Bensmann: "Es geht nicht nur um Protest und Unzufriedenheit mit dem Heizungsgesetz oder ähnlichem. Die Stimme für diese Partei hat Konsequenzen für jede und jeden. Wenn über millionenfache Vertreibung nachgedacht wird, dann kann man nicht glauben, damit sind ja nur die anderen gemeint, ich aber nicht. Es sind alle gemeint, ein großer Teil unserer Gesellschaft."

Auch das Oberverwaltungsgericht Münster, das Mitte Mai entschieden hatte, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen darf, war eindeutig. Die Richter urteilten: "Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive Verwendung eines 'ethnisch-kulturellen Volksbegriffs', aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird. Hier bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskriminierende Zielsetzungen."

Von der AfD werde das gefährliche Fremde gegen das gute Eigene gestellt. Wie abgrundtief schlecht aber auch das Eigene sein kann, das zeigt Bensmann an drei Fällen, in denen auch seine Rechercheplattform Düsteres ausleuchtete. Wie im Fall des alteingesessenen Bottroper Apothekers, der Krebsmedikamente panschte und Menschenleben gefährdete. Wie beim Millionenbetrug rund um Cum Ex, begangen von deutsche Bankern und ihren Kunden. Und wie beim klerikalen Missbrauch.

Für Bensmann ist die Idee absurd, dass die Probleme dieser Welt dadurch entstehen, dass wir nicht in einer Gesellschaft ohne "Fremde" leben. Menschen werden nicht als Individuen wahrgenommen, sondern als kollektive Bedrohung. Auch die Unterstützung der AfD für Russland ordnet Bensmann ein. Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, wolle Europa und Deutschland aus der Westbindung mit den USA lösen und betrachte die Vereinigten Staaten als "raumfremde Macht". Er sehe Deutschland in einer "multipolaren" Weltordnung neben Russland und China. In einer solchen neuen Ordnung, wie Krah sie sich vorstelle, würde es keine universellen Menschenrechte für das Individuum mehr geben. Die Ausformung der Menschenrechte sei dann nicht global-einheitlich, sondern je nach Kulturkreis verschieden. Bensmann sagt: "Dieser Gedanke führt nicht nur dazu, dass China die uigurische Minderheit in Konzentrationslager verbannen dürfte, sondern ermöglicht es grundsätzlich auch, Millionen von Menschen aus Deutschland zu drängen." Die AfD nutze für die Verbreitung solcher Ideen die Onlineplattform Tiktok als Fenster in das Gehirn der Jugendlichen – so wie die NSDAP den Volksempfänger einsetzte.

Aber haben die Recherchen von "Correctiv" etwas bewirkt? Außer dass die Menschen zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen sind. Und waren diese Großdemos nachhaltig, wird Bensmann gefragt. Da zögert der Mitauslöser dieser Bewegung. "Besser, die Menschen waren da, als sie waren nicht da. Sie haben diskutiert, aber ob das reicht, weiß ich nicht. Ob wir uns auseinanderdividieren lassen, entscheidet sich bei den Wahlen." Was Eva Creutz, Moderatorin des Abends, veranlasst, die Besucher des Vortrags zum Gruppenfoto mit Bensmann und Wagenbauer Jacques Tilly nach draußen zu bitten: "Stellen wir uns hinter die Demokratie und vor den Wagen."

Foto: © Peter Kurz
Foto: © Peter Kurz

Unterstützen Sie uns bei Steady!