Verschleierte Gesichter und Knollennasen

Ließe sich unsere kleine private Welt wie auch die große da draußen mit lebensfrohen Comics

befrieden, so gehörten die Werke des Zeichners <Ralf König> zur Pflichtlektüre von Politikern und anderen gesellschaftlichen Entscheidungsträgern. Seit 27 Jahren zeigt der in Köln lebende Meister knallhart-sanfter Knollennasen, wie wir mit Humor, gegenseitiger Akzeptanz und einer Portion Selbstironie entspannter leben könnten. Ralf König kann mittlerweile auf eine in Deutschland beispiellose Comic-Erfolgsgeschichte zurückblicken. Seine letzten beiden Bücher sind zwar nicht mehr ganz druckfrisch, aber nach wie vor hochaktuell. Und da sie gerade auch aus religionskritischer Sicht sehr interessant und vergnüglich zu lesen sind, seien sie hier vorgestellt.

Der Autor

Zunächst verschaffte Ralf König in den 1980er Jahren einem kleinen, schwulen Leserkreis befreiende Heiterkeit. Mit flott-frivolen Bildgeschichten aus der eigenen und der Erlebniswelt seiner Leser stärkte er den Schwulen die Lachmuskeln und ihr Selbstvertrauen, und verlieh der homosexuellen Emanzipationsbewegung in Deutschland eine augenzwinkernde Komponente.

Die Verarbeitung zweier Comics zur Filmkomödie „Der bewegte Mann" (1994) machte Ralf König schließlich einem breiten Publikum bekannt. Der Film lockte 6,6 Millionen Zuschauer in die Kinos und wurde in 47 Ländern gezeigt. Als einer der erfolgreichsten Filme des deutschen Kinos erhielt er 1995 den „Bundesfilmpreis". Mittlerweile sind auch mehr als 25 Comic-Bücher von Ralf König millionenfach über die Ladentische im In- und Ausland gegangen. Und so ist es dem Künstler ohne missionarischen Eifer, dafür aber mit wahrhaftigem Witz gelungen, dem aufgeschlossenen Leser der Gesellschaftsmehrheit die Scheu vor einer Minderheit zu nehmen. Wer schwules Leben tatsächlich ergründen möchte, der nehme sich Königs Bücher vor und vergesse abgestandene Tunten-Witzchen in Shows und Filmen à la „(T)Raumschiff Surprise - Periode 1" von Michael „Bully" Herbig.

In Deutschland immer populärer werdend, avancierte Ralf König auch international zum erfolgreichsten deutschen Comic-Autor und wurde mehrfach mit Preisen bedacht. Unter anderem erhielt er 1992 den Max-und-Moritz-Preis als bester deutscher Comic-Künstler und 2006 von derselben Jury den Spezialpreis für seine Stellungnahme im so genannten Karikaturen-Streit, den er auf seine, also <künstlerische Art> kommentierte.

Ralf König ist nicht allein ein begnadeter Zeichner. Als Drehbuchautor wurde er 2005 mit dem französischen Prix Alph'Art für das beste Szenarium „Wie die Karnickel" geehrt. Dieser Stoff, der in Folge auch als Comic erschien, war zwar kommerziell nicht so erfolgreich wie der massenkompatiblere Kassenknüller „Der bewegte Mann". Die neue Filmkomödie zeichnete sich aber durch einen bissigeren Humor und eine differenziertere Sichtweise auf ihre Protagonisten aus. Im Unterschied zum „Bewegten Mann" bekamen hier alle - Homos wie Heteros - ihr Fett weg.

Im Übrigen spürt man, dass es Ralf König in seinen Werken nicht um puren Klamauk oder Witze auf Kosten Einzelner geht. Als genauer Beobachter erzählt er pointenreich von den täglichen Dramen, Lüsten und Sehnsüchten, thematisiert aber ebenso gesellschaftspolitische Themen wie Emanzipation, AIDS, Homo-Ehe, Feminismus, Staat und Religion. Somit produziert er erfrischend geradlinige Kunst und betreibt zugleich ein Stück moderner Aufklärung, die in ihrer Direktheit entwaffnet, unterhält, provoziert.

Der Mullah in der Teekanne

In seinen letzten beiden Comics, dem Zweiteiler „Dschinn Dschinn", bestehend aus „Der Zauber des Schabbar" und „Schleierzwang im Sündenpfuhl", befasst sich Ralf König mit der Thematik des religiösen Fundamentalismus. Dieser erfuhr gerade im letzten Jahr ungeahnte Brisanz, als Islamisten weltweit mit Gewalt auf die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands Posten" reagierten und die Intendantin der Deutschen Oper Berlin eine Idomeneo-Vorstellung aus Angst vor Anschlägen religiöser Fanatiker absetzte.

Ralf König konfrontiert uns nun mit dem Spannungsfeld zwischen romantischem Orient aus den Geschichten von Tausendundeiner Nacht und dem heutigen Bild vom religiösen Fundamentalismus in seiner islamischen Variante.

Zunächst führt uns ein marktschreierischer Märchenerzähler ins Reich des Bagdader Kalifen Harun ar-Raschid. Wir befinden uns am Ende des 8. Jahrhunderts, der wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit des Kalifats. Die Vorbereitungen einer <Gesandtschaft des Kalifen> zu Karl dem Großen, Herrscher des Frankenreiches in Aachen, sind in vollem Gange. Unter Führung des jüdischen Kaufmanns Isaak sollen die fränkischen Ehrenmänner Lantfried und Sigismund Teppiche, Gewürze, Porzellan und andere wertvolle Gegenstände aus Arabien, Indien und China nach Europa bringen. Als besonderes Geschenk entsendet der Kalif einen weißen indischen Elefanten namens <Abul-Abbas>. Soweit zu den historisch belegten Fakten der damals tatsächlich stattgefundenen Reise.

Ralf König fügt der Mission ein raffiniertes Detail hinzu und entwickelt daraus ein faustdickes Märchen bis in unsere Gegenwart hinein. Ins Gepäck von Kamel 57 der Karawane gerät eine schmucklose Teekanne. Sie enthält einen Dschinn - den Geist von Mufti Abdullah Abba Schachmatt, einem verknöcherten Mullah aus der indischen Oasenstadt Jammerjalla im Wüstenstaat Waschmitdash. Der übel gelaunte Mufti nahm sich schon immer das Recht, seine Frauen grundlos zu verprügeln. Doch nachdem er eine Eingebung des Erzengels Hirsemel erhält, wird aus ihm ein richtig genussfeindlicher „Taliban": Er verbietet das Musizieren, lässt die Frauen verhüllen und befiehlt den Männern, sich die Bärte wild wachsen zu lassen. Was bleibt den verschleierten Damen also übrig, um sich noch bemerkbar zu machen? Sie kaufen klackende Hackenschuhe und feuerrote Lack-Sandaletten mit passendem Fußnagellack ...

Klar, dass solch frevlerisches Tun nicht geduldet werden darf. Die Sittenpolizisten von Mufti Abdullah Abba Schachmatt finden den Verbreiter der unzüchtigen Schuhe heraus - einen indischen Schuhverkäufer namens Salmonella. Dessen Erscheinung passt überhaupt nicht ins allgemeine Raster, er ist ein elender Haschischfresser und nennt sich auch noch „Damenschuh-Designer"! Nun ist es für nonkonforme Zeitgenossen schon immer etwas schwieriger gewesen, die Gunst der Allgemeinheit zu gewinnen. Doch mit dem eifernden Mufti Abdullah Abba Schachmatt ist besonders schlecht Tee trinken.

Salmonella hat zum Glück zwei Trümpfe parat: ein Todschlagplappermaul, mit dem er die Sittenwächter zutextet, und einen Liebhaber - den gewaltigen Dämon Schabbar! Dessen Zauberkraft sorgt dafür, dass der verknöcherte Mufti als Geist in einer alten Teekanne verschwindet. Diese gelangt dann als Geburtstagsgeschenk für Salmonellas Tante Salammbo nach Bagdad. Und als die Tante, wie ihr geheißen, fünfmal an der Kanne reibt und „Dschinn, Dschinn!" ruft, entsteigt dem Gefäß ein brünstiges Mannsbild - der Mullah umgewandelt in einen Dschinn der Liebe ...

Damit beginnt eine historische und geografische Odyssee der Geisterkanne, in deren Verlauf der stets abrufbare Liebesdschinn die Haremsdamen des Bagdader Kalifen verwöhnt, später nach Aachen gelangt und 1206 Jahre in der Kanne schmachtet, um schließlich in einer Kölner Wohngemeinschaft zu landen. Hier leben die ewig unglückliche Dörte, die sich aktuell in einen kreationistisch orientierten Müllmann verliebt, und ihr schwuler Nachbar Manfred, der sich gerade einer Psychotherapie unterzieht. Und wie es sich für Märchen gehört, hat die Sachen mit dem Dschinn einen Haken - denn sein Zauber hält nur 440391 Nächte ...

Ralf Königs Geschichte um den verzauberten Mullah ist ausgesprochen amüsant zu lesen, auch wenn sie bisweilen etwas unübersichtlich in den Zeitebenen springt und einige Längen hat. Seinen Stil mag man als drastisch empfinden. In jedem Fall schreibt und zeichnet er bar jedweder Doppelmoral. Der Witz des Comic-Humoristen hebt sich wohltuend vom pietätlosen Hau-drauf-Niveau und der verklemmten Zotigkeit zahlreicher Comedians ab. Ralf König spottet deftig, aber respektvoll mittels seiner Akteure. Und die lassen den Betrachter mit ihren Knollennasen so wunderbar entwaffnend lachen, dass bei ihrem Anblick selbst Moralaposteln und eifernden Gottespredigern ein Schmunzeln entlockt werden dürften. Aber das dann wohl heimlich unter der Bettdecke. Na dann - „Dschinn, Dschinn!"

 

Tibor Vogelsang

 

Ralf König: „Dschinn Dschinn, Teil 1: Der Zauber des Schabbar", Reinbek bei Hamburg, rororo 23959 - Rowohlt-Taschenbuchverlag 2005, 164 S., 9,90 € (D)

Ralf König: „Dschinn Dschinn, Teil 2: Schleierzwang im Sündenpfuhl", Reinbek bei Hamburg, rororo 24215 - Rowohlt-Taschenbuchverlag 2006, 151 S., 9,90 € (D)

 

Lesetipp im Internet: ein <Interview mit Ralf König> zu den hier besprochenen Büchern und zu anderen Themen.