Praktizierte Nächstenliebe vor Ort

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Ortsangabe Leimen / OpenGeoDb

LEIMEN. (hpd) In Leimen soll der evangelische Kindergarten Thiele-Winckler-Haus geschlossen werden. Das ist angesichts der sinkenden Kirchensteuereinnahmen zwar nichts Ungewöhnliches mehr, aber in Leimen geht die Kirche derart gleichgültig über die Gemeindeinteressen hinweg, dass es einen Gemeinderat empört.

Leimen ist eine Große Kreisstadt in der Nähe von Heidelberg und Mannheim, im „Herzen der Kurpfalz“, eine wie viele andere Kreisstädte, bekannt vorrangig durch seinen berühmten „Sohn“, den Tennisspieler und (vor 25 Jahren) Wimbledonsieger Boris Becker. Die Stadt hat 27.000 Einwohner. Man kennt sich halbwegs, auf jeden Fall die Honoratioren, die Freunde, die politischen Mitbewerber und schätzt die relative Übersichtlichkeit des Stadtgeschehens. Nun rumort es.

Ralf Frühwirt, 48 Jahre alt und seit 25 Jahren Mitglied im Leimener Gemeinderat, seit 15 Jahren für Leimen im Kreisrat des Rhein-Neckar-Kreises und auch sonst vielfältig ehrenamtlich tätig, versteht die Kirche nicht mehr. Er ist Spitzenkandidat der GALL-Fraktion, ein Zusammenschluss von politisch interessierten Menschen aus dem grün-alternativen Spektrum, die im Gemeinderat fünf Mandate innehaben.

In Leimen gibt es bisher zehn Kindergärten, drei evangelische, zwei katholische, fünf städtische. Im Oktober 2009 wurde eine lang andauernde Vakanz in der evangelischen Kirchengemeinde beendet und eine neue Pastorin und ein Pastor in ihre Ämter eingeführt. Neue Besen kehren gut? Auf jeden Fall musste der Kirchengemeinderat am 15. Dezember 2009 bei einem Kassensturz feststellen, dass die Kirchengemeinde im Haushalt rote Zahlen schreibt. Man fasste den Beschluss, einen der beiden evangelischen Kindergärten zu schließen. Bekannt wurde jedoch noch nichts. Ralf Frühwirt ist sich sicher: „Offensichtlich wollte man den Sturm der Entrüstung nicht in der friedvollen Weihnachtszeit haben.“

Anfang Januar 2010 gab es in Leimen erste Gerüchte, dass die Kirchengemeinde einen ihrer beiden Kindergärten zur Jahresmitte schließen würde. Dieses Vorhaben wurde dann durch Briefe an die betroffenen Eltern und Stadtverwaltung/Gemeinderat am 12. Januar 2010 bestätigt und begründet, wobei in den Briefen von einer Fusion der Kindergärten die Rede war.

Als Begründung für die Schließung des Kindergartens wurden finanzielle Probleme genannt: ein Haushaltsdefizit im hohen fünfstelligen Bereich. Außerdem wurde angeführt, dass der Kindergarten den pädagogischen Anforderungen nicht mehr genügt, dass am Gebäude (das auch Mietwohnungen hat) Instandhaltungsinvestitionen von ca. 500.000 Euro notwendig wären, dass die Kirchensteuereinnahmen zurückgehen und daher der Oberkirchenrat die Politik verfolgt, sich von möglichst vielen Immobilien zu trennen.

Haushaltssicherungsverfahren

Bei den nun folgenden Gesprächen zwischen Eltern, Kirchengemeinde und der Stadt Leimen stellte sich heraus, dass die Kirchengemeinde im Haushaltssicherungsverfahren steckt, also quasi dem kirchlichen Pendant zum Insolvenzverfahren, und innerhalb von sechs Jahren saniert sein muss. Daher ist die Kirchengemeinde auch nicht mehr alleinige Herrin ihrer Entscheidungen.

Die Schließung des Kindergartens sollte zum Einen den laufenden Zuschuss der Kirche von 10.000 Euro pro Jahr für die beiden Kindergartengruppen einsparen, zum Anderen durch den Verkauf des Grundstücks Geld in die Kasse bringen. Das alles ohne kollegiale Rückfragen oder solidarische Absprachen mit der Stadt, und das hatte seinen Grund.

Auf die Frage, ob die Kirche beim Verkauf des Gebäudes bisher von der Stadt geleistete Investitionskostenzuschüsse anteilig zurückzahlen würde, die Stadt also am Verkaufserlös beteiligt werde, verneinte die Kirche und es stellte sich heraus, dass für einen solchen Fall keinerlei Regelungen getroffen waren. Man hatte der Kirchengemeinde vertraut.

Alleine in den letzten zehn Jahren wurden Investitionen von 128.000 Euro in den Kindergarten getätigt, wovon die Stadt 90 % getragen hat, einen „Zuschuss“ von 115.000 Euro. Darüber hinaus wurde auch die Straße saniert und in diesem Zuge 2008/2009 der Eingangsbereich (Treppen, behindertengerechter Zugang, Türen, Geländer) neu gestaltet, was alleine für den Bereich des Kindergartens für die Stadt mit Kosten von 35.000 Euro zu Buche schlug. Das bedeutete aber nichts, schließlich tat man der Kirche schon mal gerne einen Gefallen.

Diese 150.000 Euro Investitionen/Zuschüsse die den Verkaufswert des Gebäudes gesteigert haben, müssen nun für die Stadt als verloren betrachtet werden.

Aus Schaden wird man klug

In der weiteren Diskussion um die Schließung ließ sich die Kirche darauf ein, den Kindergarten noch bis Mitte 2012 weiter zu betreiben, allerdings bei völliger Kostenübernahme des Defizits durch die Kommune. Damit sollte es den Kindern, die derzeit im Kindergarten sind, ermöglicht werden, ihre Kindergarten-Zeit auch in diesem Kindergarten zu beenden. Außerdem habe die Kommune länger Zeit, um für den nötigen Ersatz zu sorgen.

Mittlerweile ist die Stadt aus dem Schaden klug geworden und der Gemeinderat der Stadt hat den Beschluss gefasst, Investitionszuschüsse an Kirchen nur noch mit einer Rückzahlungsverpflichtung zu genehmigen. Falls also künftig ein Kindergarten auf Initiative einer Kirchengemeinde geschlossen wird, sind die jeweils geleisteten Zuschüsse nach Zeitdauer (mit 10%iger Abschreibung) zurückzuzahlen.

Der Gemeinderat Frühwirt ist nachdenklich: „Es ist nicht auszuschließen, dass Leimen mit der bisherigen, rückzahlungsfreien Regelung kein Einzelfall ist und dass auch viele andere Kommunen ebenso bei künftigen Schließungen in die Röhre schauen werden.“

C.F.