Romanautoren entdecken die Menschenaffen

(hpd) Die Gefährdung der letzten großen Menschenaffen bewegt jetzt auch die Schriftsteller. In Amerika gibt es schon lange, seit Henry David Thoreau, ein Genre “Literature of Nature”. Kein Wunder, dass von dort auch die ersten Romane kommen, in denen sie zu Protagonisten werden.

Otto ist verdreckt, voller Wunden, vereitert, abgemagert, ihm fehlt ein Finger. Otto ist ein Bonobo-Kind, von einem fliegenden Händler zum Angebot durch die Straßen von Kinshasa transportiert. Sophie gehört einer privilegierten transnationalen Generation und Schicht und geht auf eine High School in Florida. Nur in den Sommerferien besucht sie ihre kongolesische Mutter, die eine Aufzucht- und Auswilderungsstation für Bonobos leitet. Sophie tut, was man nie tun sollte, um die Händler nicht zu weiteren derartigen Geschäften zu animieren. Sie kauft dem dubiosen Anbieter das Bonobo-Baby ab. Sie pflegt es gesund, wird seine Ersatzmutter, und nun überschlagen sich in Eliot Schrefers für den Preis für das beste Jugendbuch in den USA nominierten Roman “Dunkelrote Erde” die Ereignisse.

Ein Krieg bricht aus. Sophie und ihr Bonobo-Kind, das dort, wo es für so viele Menschen an Rettung fehlt, keiner mit ins rettende Flugzeug nehmen will, bleiben im Kongo und durchlaufen eine schreckliche Odyssee. Otto klammert sich an sie, sie sich an Otto. Mit einem Trüppchen Bonobos, die Mord und Brandschatzung der Rebellen auch in der Aufzuchtstation überlebt haben, ziehen sie durch den Urwald. Die Affen behandeln Sophie wie ihresgleichen, als eine Affenmutter. Das Mädchen isst, um dem Verhaltenskodex der Primaten zu genügen, angebotene Blätter und Raupen, wird von den Bonobos als Gruppenmitglied, aber auch als Rivalin betrachtet, angegriffen und gepflegt.

Das Buch erzählt aus der Perspektive eines unerschrockenen Teenagers, der sich so schnell nicht aus der Fassung bringen lässt. Sophie erlebt äußerste Fürsorge von Menschen in allergrößte Not und sieht fürchterliche Brutalität, als sie schließlich mit Otto allein weiterzieht. Sie gerät in die Hände eines mit Drogen zugedröhnten Rebellenführers. Der ist abergläubisch, kindisch – und einsam. Sophie überlebt alles unbeschadet, weil ein verspieltes, anhängliches Wesen, Otto, sie braucht.

Nach ihrer spontanen Entscheidung, Otto zu kaufen, hatte der Händler ihr damals sofort zwei weitere Bonobo-Babys angeboten. Sophie rettete sie nicht, am Ende des Romans findet sie gerade eben noch ihre Kadaver. Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Was ist überhaupt richtig? Und kann man etwas wieder gut machen? Vor solche Fragen sieht Sophie sich ständig gestellt.

Wir ahnen mit ihr, dass es auf diese Fragen vielleicht gar nicht ankommt, sondern auf das Gefühl, die Empathie, über die Bonobos und im besonderen Maße Frauen, Bonobo- und Menschenfrauen, und die Verlierer, mit einer Art Gerechtigkeitsgefühl, ebenfalls zu verfügen scheinen. Als ob gerade die Schwäche einfühlsam macht.

Wer braucht wen? In dem Roman des Kanadiers Colin McAdam, “Eine schöne Wahrheit” brauchen die Menschen das Affenbaby. Eine krebsoperierte Frau, Judy, bekommt von ihrem Mann ein Schimpansenbaby geschenkt. Irgendetwas zwischen Mensch und Tier, anders genug, um Judy nicht an ihren vergeblich gewordenen Kinderwunsch zu erinnern. Der Roman spielt in den Siebzigern, als man die Intelligenz von Menschenaffen testete, indem man sie in menschlicher Umgebung aufwachsen ließ.

Looee erweist sich als ungeheuer lernfähig, schenkt der Freundin der Hausherrin Tee ein, trinkt mit dem Geschäftsfreund des Hausherrn Bier, lernt erstaunlich viel der Menschensprache verstehen, obwohl er nie darin trainiert wird. Er liebt Filme und Zeitschriften und die besonders, in denen schöne Frauenkörper erscheinen. Er kommt in die Pubertät, liebt es, sich herauszuputzen, und zeigt nun eine sehr menschliche Eigenschaft. Er wird wütend, wenn man ihn auslacht. Das macht ihn aggressiv. Eifersüchtig auf seine Pflegemutter wird er schließlich zum Täter, beißt den Freund des Hauses und Judy fürchterlich. Sie bleibt für immer schwer entstellt. Looee landet in einer medizinischen Versuchsstadion, in einem winzigen Käfig eingesperrt. Da zeigt sich eine zweite Unart, die offenbar nicht nur Menschen eigen ist. Seinesgleichen, die Schimpansen, hält Looee für “schmutzige Hundewesen”. Er schaut auf sie herab.

McAdam wagt in seinem vielstimmigen Entwicklungsroman den Versuch, die Welt zu beschreiben, wie sie sich für einen Schimpansen anfühlt. Ganz neue, klangmalende Worte tauchen auf. Sie nähern sich der Gefühlswelt der eingeschlossenen Wesen, in der es sehr wohl Sorge, ein Gefühl für Tod oder ein Erstaunen und Erschrecken der werdenden Mütter über das Zur-Welt-Kommen eines Babys gibt. Dazu dient auch eine archaisch-modern reduzierte Sprache.

Nach Jahren in den Versuchsboxen gelangt Looee in einen “gemäßigteren” Trakt des Forschungsinstituts. Hier untersucht man das Verhalten von Primaten, die in die Jahre gekommen sind. Die bei McAdam auftretenden Menschen sind ziemlich kaputte Typen, die Affen erweisen sich dagegen als geschickte Diplomaten; sie können aber auch untereinander zu rächenden Mördern werden.

Eine optimistisch stimmende Rolle spielen in beiden Romanen die Mamas, die weiblichen Primaten, die die wirkmächtigeren sind, wenn auch, wie bei den Schimpansen, im Verborgenen.

 


Eliot Schrefer, Dunkelrote Erde. Übers. Birgit Niehaus, CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2014, 384 Seiten, 16,99 Euro

Colin McAdam, Eine schöne Wahrheit, Übers. Eike Schönfeld, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013, 336 Seiten, 19,90 Euro