BERLIN. (hpd) Passend zu der unlängst auf den Weg gebrachten Petition des Great Ape Project, die Großen Menschenaffen von der UNESCO als "Lebendiges Welterbe" anerkennen und damit unter besonderen Schutz stellen zu lassen, brachte das Salzburger Landestheater Franz Kafkas bittere Satire "Ein Bericht für eine Akademie" auf die Bühne. Premiere war am 11. Mai 2016 in der Seekirchener Kunstbox.
Kafka veröffentlichte den Monolog des Schimpansen Rotpeter 1917, just in dem Jahr, in dem der Psychologe Wolfgang Köhler erste Ergebnisse seiner Intelligenzforschung an Menschenaffen vorstellte.
Rotpeter erzählt von seiner Gefangennahme durch eine Hagenbecksche Tierfangexpedition. Durch einen Schuß im Gesicht verletzt – die zurückbleibende rote Narbe verhilft ihm zu seinem Namen - und durch eine weitere Schußverletzung in den Unterleib gehandicapt, wird Rotpeter in eine Kiste gesperrt und von der westafrikanischen Goldküste (heute: Ghana) aus nach Hamburg verschifft. Um nicht im Zoo zu landen, so berichtet er vor einer (näher nicht vorgestellten) Akademie, habe er während der monatelangen Passage begonnen, die Menschen auf dem Schiff zu beobachten und nachzuahmen. Er habe menschliche Verhaltensweisen und Gesten erlernt, auch die menschliche Sprache, und insofern "die Durchschnittsbildung eines Europäers erreicht. Das wäre an sich vielleicht gar nichts, ist aber insofern doch etwas, als es mir aus dem Käfig half und mir diesen besonderen Ausweg, diesen Menschenausweg verschaffte." Dennoch, auch nach dem eindrucksvollen Bericht, den er über seine Menschwerdung vorträgt, wird ihm deren Anerkennung versagt: er bleibt nichts als ein dressierter Affe.
Ungeachtet der üblichen Interpretationen, die Kafkas Stück (das erstmalig in der von Martin Buber herausgegebenen Monatsschrift "Der Jude" erschien) mithin als Parabel über die Anpassungsversuche deuten, die das jüdische Volk jahrhundertelang - und letztlich vergebens - unternommen hat, lässt sich unschwer und auf ganz profaner Ebene auch eine Anklage gegen die Tierfangexpeditionen Hagenbecks und gegen die Haltung von Menschenaffen in Zoos und Zirkussen herauslesen. Kafka kannte die Schriften Darwins, er kannte den Tierpark Hagenbeck in Hamburg, und nachweislich kannte er auch einen dressierten Schimpansen namens "Consul Peter", der in einem Prager Rotlichtvarieté auftreten mußte. Die Interpretation ist zumindest nicht abwegig, dass es in Kafkas Erzählung ganz konkret auch um Kritik an der kompletten Ignoranz des Bildungsbürgertums der Darwinschen Evolutionstheorie gegenüber ging, die Tierschauen a la Hagenbeck oder Varietés wie das in Prag zuließ.
Die Inszenierung des Salzburger Landestheaters zieht den Zuschauer, der, ob er will oder nicht, zum Bestandteil der ominösen "Akademie" wird, in unwiderstehlichen Bann: die Grenzen zwischen Schimpanse und Mensch, von letzterem mühsam konstruiert und aufrechterhalten, lösen sich in Kafkas Text und dessen grandioser Umsetzung durch Carl Philip von Maldeghem (Regie), Carola Schiefke (Dramaturgie) und Georg Clementi (Rotpeter) vollkommen auf; die Schauspielleistung Clementis ist grandios.
Auf Einladung der Intendanz des Salzburger Landestheaters waren bei der Premiere Vertreter des Great Ape Project zugegen, um die Besucher des Stücks von der bis heute fortwirkende Weigerung der "Akademie" zu informieren, Menschenaffen, die engsten Verwandten des Menschen im sogenannten Tierreich, als gleichwertig anzuerkennen und ihnen wenigstens ein paar der Grundrechte zuzuerkennen - auf Leben, auf Freiheit sowie auf körperliche wie psychische Unversehrtheit -, auf die jeder Mensch wie selbstverständlich Anspruch hat. Bis heute werden Menschenaffen gejagt, gefangengenommen, unter unwürdigsten Bedingungen in Zirkussen und Zoos zur Schau gestellt oder für biomedizinische Experimente missbraucht.
Auch bei den Folgevorstellungen an den Salzburger Kammerspielen wird das Great Ape Project mit einem Infostand dabeisein (28.9., 4.10., 14.10., 16.10.,23.10., 29.10., 11.12., 13.12., 30.12.2016).
1 Kommentar
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Harald Freunbichler am Permanenter Link
Danke für die interessante Rezension. Werde versuchen, die letzte Aufführung zu erwischen.