Mit zweierlei Maß gemessen

LEIPZIG. (hpd/gbs) Die Mitglieder der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) und Organisatoren der Protestaktion “11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!” wenden sich in einem 2. öffentlichen Brief noch einmal an die Leipziger Ratsmitglieder um die Subventionierung des 100. Katholikentags 2016 in Leipzig abzuwenden.

Im Anschluss an ihren öffentlichen Brief vom vergangenen Juli werden weitere Argumente gegen die Bezuschussung präsentiert: So wird etwa darauf hingewiesen, dass nach der Argumentation der Kirche auch Vegetarier die Verkostungsmesse der Massentierhaltungsindustrie bezahlen müssten – schließlich verstehen auch Fleischproduzenten ihre Produkte als “Angebot an die (gesamte) Gesellschaft” einschließlich der (noch-)nicht-Fleischesser.

Zusätzlich erhielt jede Fraktion mindestens ein Exemplar von Carsten Frerks Standardwerk Violettbuch Kirchenfinanzen – “Damit niemand behaupten könne, er hätte nicht gewusst, wie viel der Staat bereits an die Kirchen zahlt!”, erklärte der “Erfinder” der Aktion, David Farago.

Angesichts der sich abzeichnenden Mehrheit im Stadtrat für die Unterstützung mit öffentlichen Geldern, zeigt sich der Sprecher der GBS-Regionalgruppe empört: “Es ist ein Skandal: Während der Kirche mal wieder der rote Teppich ausgerollt wird, müssen sich die Organisatoren vom 11. Gebot mit der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen – dabei fordern wir nur, dass endlich der Verfassungsauftrag zur Trennung von Staat und Kirche umgesetzt wird!”

Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet, da ihr selbst eine Skulptur im Wert eines Kleinwagens nicht genügt, um eine (nicht anmeldebedürftige) Kunstaktion anzunehmen. Stattdessen soll es sich um eine nicht angemeldete Versammlung gehalten haben, als die Organisatoren bereits am 15. und 16. Juli 2014 mit der knapp drei Meter hohen Moses-Skulptur durch die Leipziger Innenstadt zogen, um auf den Verstoß gegen das Verfassungsprinzip der weltanschaulichen Neutralität hinzuweisen. “Natürlich haben wir mit unserem Moses dafür gesorgt, dass Passanten anhalten und nachdenken. Doch wir haben nie dazu aufgerufen, gemeinsam mit uns vor Ort zu protestieren, wie es für eine Versammlung notwendig gewesen wäre.”

Nach Ansicht der Organisatoren zeigt dieses Vorgehen nur erneut, dass mit zweierlei Maß gemessen wird: Die Kirche verlangt zwar Gleichberechtigung gegenüber anderen Kultur- und Sportveranstaltungen, doch die entsprechenden Richtlinien der Stadt zur Prüfung der Förderwürdigkeit sollen nicht angewandt werden. Während Sportprojekte nicht einmal Büro-, Internet- oder Telefonkosten erstattet bekommen, dient die beantragte Million “zur Deckung der allgemeinen Kosten der Veranstaltung für Planung, Durchführung und Abwicklung.” Dies zeugt nicht von einer intensiven und verantwortungsvollen Prüfung der Förderwürdigkeit des Katholikentages anhand von Recht und Gesetz.

Die Kirche beruft sich gern auf ihre Wohltaten, obwohl die von ihr betriebenen Krankenhäuser und Pflegeheime zum ganz überwiegenden Teil ebenfalls mit öffentlichen Geldern unterhalten werden. Unerwähnt lässt die Kirche auch, dass sie in diesen Einrichtungen deutschlandweit hunderttausende Menschen diskriminiert, indem sie Anders- und Nichtgläubigen Vorschriften über ihren Glauben und ihre private Lebensführung macht. Bei einem Sportverein würde die Pflege solch diskriminierenden Gedankengutes bezüglich religiöser Überzeugung oder sexueller Orientierung mit dem “sofortigem Ausschluss des Vereins aus der Sportförderung und der Rückforderung erhaltener finanzieller Mittel geahndet” werden (Punkt 4 der Sportförderungsrichtlinie der Stadt Leipzig).

Zur “Veranstaltungsförderung für Sportvereine” hat Leipzig im gesamten Jahr 2013 lediglich 113.450,00 Euro ausgegeben. Im gleichen Zeitraum wurden für die “Förderung des Nachwuchsleistungssports in den Schwerpunktsportarten” 295.000,00 Euro bereitgestellt. Die Kirche verlangt hingegen für nur 5 Tage eine ganze Million. Nach den Handlungshinweisen der Stadt Leipzig für die Sportförderung 2013 (S. 6 unten) ist die Höhe der Zuschüsse für Sportveranstaltungen im Erwachsenenbereich auf bis zu 30 Prozent der förderfähigen Kosten beschränkt. Zahlte Leipzig zusätzlich zum Freistaat Sachsen und dem Bund, würde die öffentliche Hand aber bereits 45 Prozent der erwarteten 9,9 Mio. Euro Gesamtkosten übernehmen.

Für die Sportförderung durch die Stadt Leipzig existieren umfangreiche “Handlungshinweise”, die ausführlich aufschlüsseln, welche Ausgaben überhaupt zuwendungsfähig sind. Den konkreten Summen zur Schwerpunktsportartenförderung liegt eine komplizierte Matrix mit Kriterien zugrunde, mit deren Hilfe eine Arbeitsgruppe die Zuwendungen berechnet. Für den Katholikentag wurde jedoch keine entsprechende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um dessen Förderwürdigkeit zu prüfen (die sog. “AG 100” hat nicht diese Aufgabe). Stattdessen sollte der Millionenantrag am vergangenen 16. Juli 2014 schnell durchgewunken werden und erst in der Ratsversammlung zeichnete sich ab, dass dem Bürgermeister hierfür doch die entsprechenden Mehrheiten fehlen.

Die Organisatoren bemängeln auch, dass laut Presseberichten nach dem 16. Juli scheinbar ausdrücklich das Gespräch mit den Katholikentagsveranstaltern gesucht wurde – Kritiker wie wir aber mal wieder außen vor blieben. “Auch wir hätten gerne die Gelegenheit gehabt, unsere Position ausführlicher als auf 3 Briefseiten darlegen zu können und den 95 Prozent Nicht-Katholiken Leipzigs eine Stimme zu verleihen. Wir hoffen, dass die Ratsmitglieder morgen doch noch Ernst machen mit der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Trennung von Staat und Kirche.”

 


siehe dazu:
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