(hpd) Der anarchistische Theoretiker Peter Kropotkin legte in seinem Buch “Die Eroberung des Brotes” von 1892 die Grundzüge einer Gesellschaft auf Basis des Gemeineigentums ohne Staat vor. Zwar geht der Klassiker der politischen Theorie von einem einseitig altruistischen Menschenbild aus, welches sein Modell letztendlich scheitern lässt, er macht aber auch auf eine Fülle von heute noch beachtenswerten Forderungen, Legitimationsproblemen und Missständen aufmerksam.
Peter Kropotkin (1842–1921) gilt heute allgemein als vergessen. Es gibt meist nur zwei Anlässe, die seinen Namen in Erinnerung rufen: Einerseits gehörte er zu den bedeutendsten anarchistischen Theoretiker des 19. Jahrhunderts. Bezüglich des Niveaus und der Stringenz seine Schriften kann Kropotkin sogar als wichtigster Denker dieses politischen Lagers gelten. Seine zeitweilige Bejahung anarchistisch motivierter Attentate reduziert nicht die notwendige intellektuelle Wertschätzung seiner Werke. Andererseits taucht Kropotkins Name in der jüngeren Literatur zur Evolutionsforschung immer wieder auf.
In seinem bekanntesten Buch “Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt” (1902) hatte er gegen sozialdarwinistische Fehldeutungen auf Altruismus und Solidarität als konstitutive Begleiterscheinung der natürlichen Entwicklung aufmerksam gemacht. Insbesondere die Erkenntnisse der Soziobiologie bestätigten die Grundtendenz seiner Aussagen. Sie fanden sich indirekt auch bereits in seinem früheren Buch “Die Eroberung des Brotes” (1892).
Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Artikeln, die Kropotkin zwischen 1880 und 1888 in der von ihm mitbegründeten Zeitschrift “Le Révolté” veröffentlicht hatte. In der Kombination miteinander ergeben sie so etwas wie eine Art politische Theorie des Anarchismus, entwickelte der Autor darin doch die Grundzüge einer so ausgerichteten Gesellschaft. Am Beginn steht die Feststellung: “Wir sind reich in unseren zivilisierten Gesellschaften” (S. 39), nur würde dieser Reichtum ungleich verteilt.
Angesichts des Auseinanderklaffens von Arm und Reich, welcher aber auf der Basis der partiellen Aneignung von universellen Ressourcen erfolge, bedürfe es einer grundlegenden Veränderung: “Fort also mit jenen zweideutigen Forderungen, wie ‘das Recht auf Arbeit’ oder ‘Jedem der vollständige Ertrag seiner Arbeit’. Was wir proklamieren, das ist das Recht auf Wohlstand, den Wohlstand für Alle” (S. 46). Die gesellschaftliche Voraussetzung für eine Entwicklung in diese Richtung sei indessen die Abschaffung des Staates und die Rückkehr zum Gemeineigentum.
Der damit gemeinte “anarchistische Kommunismus”, der ein anderer Kommunismus als “derjenige der autoritären deutschen Theoretiker (S. 62) sei, basiere auf der ‘freien Vereinbarung’” (S. 147) der Individuen. Diese hätten sich schon seinerzeit “trotz der Ungleichheit … verständigen können und zwar ohne die Intervention einer Autorität” (S. 149).
Welche Prinzipien dann für bestimmte Lebensbereiche das soziale Leben prägen würden, erörterte Kropotkin in Kapiteln zu Arbeit und Bekleidung, Konsumtion und Lebensmittel Produktion und Wohnung. Dabei werden besondere Aspekte wie die Abschaffung des Lohnsystems oder die Dezentralisierung der Industrie hervorgehoben. Ein ganzes Kapitel widmet der Autor auch den möglichen Einwänden, welche sich etwa auf die Gefahr der mangelnden Arbeitsleistung durch fehlende Lohnanreize bezieht. Aus seiner Sicht würde eine “Gesellschaft, welche das Wohlergehen aller zum Ziel hat …, … eine unendlich bessere und höhere Arbeitsleistung zutage fördern … als unter dem Stachel … des Lohnsystems” (S. 165).
Peter Kropotkins “Die Eroberung des Brotes” gehört zu den Klassikern der politischen Theorie des 19. Jahrhunderts. Der anarchistische Denker und tiefgründige Wissenschaftler legt darin auch die Grundzüge einer angestrebten Gesellschaftsordnung vor, was meist politische Revolutionäre der unterschiedlichsten Orientierung verweigerten.
Indessen durchzieht seine Abhandlung auch eine Ambivalenz von Ideologie und Wissenschaft. Diese erklärt auch die selbst von Anarchisten – wie etwa auch dem Herausgeber Jürgen Mümken (vgl. S. 10) im Vorwort – geäußerte Kritik am doch allzu optimistischen Menschenbild des Autors. Er umgeht in seiner Argumentation immer wieder die Problematik, die sich aus einer eben nicht nur altruistischen Ausrichtung des menschlichen Sozialverhaltens ergibt. Genau diese inhaltliche Lücke in der Gedankenkette lässt auch sein Alternativmodell der Gesellschaft ohne Staat scheitern. Gleichwohl macht Kropotkins Schrift durchaus auf beachtenswerte Forderungen, Legitimationsprobleme und Missstände aufmerksam.
Peter Kropotkin, Die Eroberung des Brotes. Herausgegeben von Jürgen Mümken, Aschaffenburg 2014 (Alibri-Verlag), 237 S., 15 Euro
Das Buch ist auch bei Alibri direkt erhältlich.