Der Gegenwart gedenken

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Die Kreuze an der Spree (fotografiert am 11. November 2014)
Die Kreuze an der Spree (fotografiert am 11. November 2014)

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Die Kreuze an der Spree (fotografiert am 11. November 2014)
Die Kreuze an der Spree (fotografiert am 11. November 2014)

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Die Kreuze an der Spree (fotografiert am 11. November 2014)
Die Kreuze an der Spree (fotografiert am 11. November 2014)

TRIER. (hpd) Das Zentrum für politische Schönheit erregt seit einigen Tagen wieder die Gemüter mit einer provokativen Kunstaktion. Die Aktivisten entwendeten Gedenkkreuze für die Berliner Mauertoten und brachte sie an die EU-Außengrenze, um die europäische Abschottungspolitik anzuprangern.

Es fiel zunächst niemandem auf, dass die weißen Gedenkkreuze für die Berliner Mauertoten abmontiert wurden. Erst als sich das Künstlerkollektiv um das Zentrum für politische Schönheit zu der Aktion bekannte, erfuhren viele überhaupt erst von der Existenz einer solchen Gedenkstätte, welche direkt neben dem Reichstagsgebäude in Berlin liegt.

Als sich vermehrt empörte Stimmen gegen die Aktion erhoben und ihr Pietätlosigkeit vorwarfen, wurden die Gedenkkreuze jedoch schon längst an Stacheldrahtzäunen der EU-Außengrenze angebracht, um den “zukünftigen Mauertoten” inhumaner europäischer Asylpolitik zu gedenken - pünktlich zu den Jubiläumsfeierlichkeiten des Berliner Mauerfalls. “Gedenken wir nicht der Vergangenheit, gedenken wir der Gegenwart – und reißen die EU-Außenmauern ein” erklärt Philipp Ruch auf der Website der Aktion. “Nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern!”

Bei warmen Worten sollte es nicht bleiben. Das Künstlerkollektiv plante den “Ersten Europäischen Mauerfall”. Dafür startete es eine Spendenaktion für eine Fahrt mit mehreren Bussen an die europäische Grenzanlage, um diese mit Bolzenschneidern tatsächlich einzureißen. Vor Ort wartete jedoch bereits eine überwältigende Polizeipräsenz auf die Aktivisten, um die Durchführung der Aktion zu verhindern.

 

 

Das Zentrum für politische Schönheit hat damit eine breite Diskussion um die Mittel und Grenzen der Aktionskunst angestoßen. Vermehrt wurde ihm Zynismus vorgeworfen. Scharfe Kritik kam auch von Seiten des Ästhetikprofessors Bazon Brock, der die Aktion als “humanistisches Geschwafel” bezeichnete. Es sei eine “Schweinerei, dass auf dem Rücken von 48 Millionen Weltflüchtlingen ein paar Ästhetiker ihre Süppchen kochen”, so Bazon Brock in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur.

Doch ist die Kunstaktion des Zentrums für politische Schönheit zynisch?

Wie wäre dann erst die europäische Abschottungspolitik einzustufen? Man wird die Berliner Mauertoten nicht nach ihrem Urteil oder einer Einwilligung fragen können. Gewiss ist jedoch eines: Selten zuvor war das in Vergessenheit geratene Gedenken an die Opfer einer mörderischen Grenze so präsent wie in den letzten Tagen.

Der Historiker Tobias Bütow erklärte in einem Aufsatz am Wochenende: “Bei allem Respekt vor der Würde der Mauertoten und dem Gedenken an die Opfer der deutsch-deutschen Grenze erscheint die Kritik bei genauerem Hinsehen jedoch als kurzsichtig, befangen oder scheinheilig. Denn die provokante Aktion ist ein guter Anlass, darüber nachzudenken, wie die Deutschen ihre im 20. Jahrhundert gewachsene Erinnerungskultur ins 21. Jahrhundert übersetzen wollen.”

Mittlerweile sollen die vierzehn Gedenkkreuze wieder restauriert an die ursprüngliche Stelle am Spreeufer zurückgebracht worden sein. Die Diskussion, in die sie verwickelt wurden, wird aber wohl noch länger anhalten.