Arthur-Koestler-Preis 2014 der DGHS in Berlin verliehen

Ralph Giordano und der "Leitbegriff der Freiheit"

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Ralph Giordano
Ralph Giordano

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BERLIN. (hpd/dghs) Mit einer großen bewegenden Rede, die er als politisches Testament verstanden wissen will, hat sich der Publizist Dr. Ralph Giordano für die Verleihung des Arthur-Koestler-Preises 2014 bedankt.

Da der 91-Jährige aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Festakt nach Berlin am 14. November hatte anreisen können, war der Text von DGHS-Ansprechpartner Jürgen Heise, einem früheren Vereinspräsidiums-Mitglied, vorgetragen worden. So las er unter anderem: “Ich war dem Tod nicht nur einmal nahe (…). Wer seine Nähe gespürt hat, der kann gleichzeitig noch etwas anderes beglaubigen, die Erkenntnis, dass es nichts Kostbareres, nichts Großartigeres, nichts Schützenswürdigeres gibt, als das Leben, der allerhöchste Wert – das Leben! (…) Erst vor diesem Hintergrund wird erkennbar, wie grausam es sein muss, Leben zu beenden, wenn es keinen anderen Ausweg gibt. Was umso grausamer ist, wenn es sich dabei um den geliebtesten Menschen handelt. (…) Meine Frau stirbt am 9. Dezember 1984 (…) mit aktiver Sterbehilfe, in einer Situation, in der es nichts zu deuteln gab. (…)”

Im Jahr 2005 hatte Ralph Giordano erstmals öffentlich darüber gesprochen. Deshalb schrieb er weiter: “Über dieses Sterben lag lange Schweigen, bis ich es nach mehr als zwanzig Jahren brach. Das aber erst, nachdem die fundamentalistischen Gegner jedweder Sterbehilfe öffentlich das große Wort ergriffen und sich dabei nicht entblödet hatten, die Befürworter ’Mörder’ und ‘Faschisten’ zu schimpfen, mich eingeschlossen. Wissen diese Leute eigentlich was sie da tun und wovon sie sprechen? (…) Ich erkläre hier, dass ich dem ‘Helfer’ dankbar war und dankbar bleiben werde, so lange ich lebe. Und dass ich ihn vielleicht eines Tages fragen werde, ob er nicht mit meinem Einverständnis auch an mich Hand anlegen werde, welche Motive mich dann dazu auch immer leiten mögen. Die Autonomie über mein Leben und Sterben werde ich mir jedenfalls von niemandem nehmen lassen.”

Die fast hundert Gäste im Bürgersaal des Rathauses Berlin-Steglitz zeigten sich von den Worten, die Giordano gefunden hatte, persönlich angerührt. Giordano, Sohn eines Sizilianers und einer jüdischen Mutter, hatte den Nationalsozialismus im Untergrund überlebt und betonte in seiner Rede, “dass es nicht leicht war, unter der Glocke der ‘zweiten Schuld’ hier geblieben zu sein.” In dem ausführlichen Text spricht er auch von der Aufarbeitung der NS-Schuld und schlägt den Bogen bis zu dem aktuellen Prozess wegen der NSU-Mordserie. Er sei “versöhnungsbereit gegenüber jedem, der sich wirklich müht, aber unversöhnlich gegenüber jeder Art von Unbelehrbarkeit.”

Der Arthur-Koestler-Preis war im Jahr 2014 nicht wie sonst üblich ausgeschrieben worden. Allerdings hatte das Vereinspräsidium es sich vorbehalten, einen Preisträger benennen zu dürfen. Im Vorjahr war es der katholische Theologe Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Küng gewesen, in diesem Jahr fiel die Wahl sehr schnell auf den streitbaren Publizisten Dr. phil. h. c. Ralph Giordano.

Der 91-Jährige lebt in Köln und hat, nachdem er als Halbjude im Untergrund den Nationalsozialismus überlebte, zahlreiche Bücher, Hörspiele und TV-Dokumentationen vorgelegt. Verfilmt wurde der Roman “Die Bertinis”. Er war als Prozessbeobachter bei dem Auschwitz- und Majdanek-Gerichtsverfahren anwesend und kommt in seiner Berliner Rede zu dem Schluss: “DIE große deutsche Rechtsanstrengung gegen NS-Täter – sie bleibt eine Farce.” Dennoch freut er sich über “das bleibende Wunder einer deutschen Revolution ohne Blutvergießen und Nationalismus”, wie es den Deutschen mit dem Mauerfall gelungen war.

In seiner Laudatio hatte DGHS-Vizepräsident Prof. Dr. Dieter Birnbacher auf die große Lebensleistung Giordanos über die Varianten von “Unfreiheit” gesprochen, denen der Preisträger oftmals ausgesetzt war. So sagte Birnbacher u.a.: “Der Leitbegriff der Freiheit gilt auch für Giordanos Haltung zur Sterbehilfe. An seinem Bekenntnis zur Freiheit, nach eigenen Vorstellungen zu sterben, hat er nie einen Zweifel gelassen. Die für den Menschen schlechthin bestimmende Fähigkeit zur Freiheit darf nicht vor dem Tor des Todes enden. Wann und wie der Einzelne durch dieses Tor geht, ist seiner freien Selbstbestimmung überlassen.” 

Dass zu seinen Ehren Chopins “Revolutionsetüde” von einem Nachwuchspianisten, dem 16-Jährigen Schüler und “Jugend musiziert”-Preisträger Antong Zou, gespielt wurde, konnte Ralph Giordano zum Schluss vom Krankenhausbett aus wenigstens am Telefon verfolgen. Die Urkunde, einen Blumenstrauß und den symbolischen Scheck nahm Marina Jakob, eine gute Freundin aus Hamburg, stellvertretend für Dr. Ralph Giordano entgegen.

 


Die Laudatio von Prof. Dr. Dieter Birnbacher sowie auch die erschütternde Dankesrede von Ralph Giordano sind als Anlage beigefügt.