Es war für viele Schwerstkranke der letzte Strohhalm, um ein selbstbestimmtes Sterben in Würde zu erhoffen. Mit einem Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Erlaubnis zum Erwerb einer tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung sahen die Betroffenen eine für sie letzte Möglichkeit, ihr schweres Leiden durch eine sichere und humane Art und Weise in freier und wohlüberlegter Verantwortung selbstbestimmt beenden zu können.
Ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2017 schien diesen Weg zu öffnen. Doch es passiert nichts. Keiner der bis zum heutigen Tag beim BfArM gestellten 83 Anträge wurde bislang entschieden. Die Kanzlei Roßbruch in Koblenz wird daher in dieser Woche (25.1.2018) für einen weiteren Antragsteller mit ideeller und finanzieller Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) eine dritte Untätigkeitsklage einreichen. In dem aktuellen Fall geht es um einen an Multiple Sklerose erkrankten 46-jährigen Mann, der, bevor er hierzu körperlich nicht mehr in der Lage ist und um in der Endphase seiner Krankheit nicht einen zu erwartenden Erstickungstod ertragen zu müssen, seinem Leben ein bewusstes, selbstbestimmtes und humanes Ende setzen will.
Von den sechs Antragsteller/innen, die die Kanzlei Roßbruch vertritt, sind bereits zwei Antragstellerinnen verstorben. Frau G., die wegen schwerer Arthritis und Osteoporose an unzähligen Frakturen und einem ausgeprägten Schmerzsyndrom litt und nur zu gern ihr Lebensende selbst bestimmt hätte, ist soeben 81-jährig verstorben. Genauso wie Frau W., die wegen ihrer Krebserkrankung nur 57 Jahre alt wurde. Ein weiterer Antragsteller liegt im Sterben und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das durch das BfArM mit ausdrücklicher Zustimmung des verantwortlichen Gesundheitsministers Gröhe (CDU) bewusst hinausgezögerte Antragsverfahren ebenfalls nicht überleben.
In Bezug auf die beiden von Roßbruch bei der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln eingereichten Untätigkeitsklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland hat das BfArM als zuständige Behörde bis dato noch nicht mit einer inhaltlichen Erwiderung reagiert, sondern lediglich um Verlängerung einer Erwiderungsfrist gebeten, der das Verwaltungsgerichts entsprochen hat. Zunächst hat das BfArM die Bitte um Fristverlängerung damit begründet, dass das in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Prof. Dr. Udo di Fabio noch nicht vorliege. Dieses liegt aber bereits seit spätestens Mitte Dezember dem BfArM vor. Die weiteren Bitten um Fristverlängerungen werden nunmehr damit begründet, dass man nun erst einmal das Rechtsgutachten auswerten müsse. Rechtsanwalt Professor Robert Roßbruch, zugleich DGHS-Vizepräsident:
"Die systematisch praktizierte Verzögerungstaktik des BfArM, das der politischen Vorgabe des Gesundheitsministers Gröhe (CDU) folgt, ist mehr als offensichtlich. Es steht zu vermuten, dass dieser Taktik wohl die Annahme zugrundeliegt, dass sich hierdurch die meisten Anträge 'biologisch erledigen'. Diese zynische Rechnung scheint auch in nicht wenigen Fällen aufzugehen. Und die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln, scheint durch die gewährten Fristverlängerungen diese Hinhaltetaktik zumindest zu dulden. Dies alles ist für die schwerleidenden und sterbenskranken Betroffenen unerträglich."
Für Herrn B. aus der Nähe von Lüneburg, der vor Jahren der DGHS beitrat und mit Hilfe von Rechtsanwalt Roßbruch ebenfalls einen Antrag auf Erwerb von Natrium-Pentobarbital gestellt hatte, ist allerdings Aufgeben keine Option. "Ihr könnt nicht alle abweisen", sagt er sich. Der ehemalige Lehrer ist an einem schnell wachsenden Tumor, dem sog. Burkitt-Syndrom, erkrankt und gibt die Hoffnung auf einen möglichen selbstbestimmten "Notausgang" durch einen Medikamenten-Suizid noch nicht auf.
Rechtsanwalt Robert Roßbruch, der sich in seiner Funktion als DGHS-Vizepräsident ehrenamtlich für die Patienten einsetzt, wurde von sehr vielen Menschen angesprochen, ob er ihnen nicht bei der Antragstellung mit passenden Argumenten behilflich sein könne. Doch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hatte von schwersten Leidenszuständen gesprochen, bei denen eine Medikamentenabgabe denkbar sein könne. Eine "Bevorratung für alle Fälle" ist jedoch von vornherein aussichtslos. Erschüttert hat den erfahrenen Rechtsanwalt, dass die Behörde die Schwerstkranken über so viele Monate hingehalten hat – und dies bis zum heutigen Tag tut. "Eigentlich sollten alle Antragsteller Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Köln einreichen, um so nicht nur ihre vom Bundesverwaltungsgericht zugesprochenen Rechte geltend zu machen, sondern um auf das BfArM einen stärkeren Druck auszuüben, damit dieses endlich seinen behördlichen Handlungspflichten nachkommt", so Roßbruch.
8 Kommentare
Kommentare
David am Permanenter Link
ich bin fast 40 Jahre alt. zu meinem Glück fehlt das ich einfach zu meinem Hausarzt gehen kann und einfach Natriumpentaborbital einnehmen kann. und ich bin körperlich und geistig gesund, nach eigener Einschätzung.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Verzögerungstaktik beim BfArM?
Mehr als befremdlich - da wird Widerstand zur Pflicht!
Edmund Schmidt am Permanenter Link
Herr Gröhe und die Kirchen wollen also aus religiösem Wahn Menschen bis zu ihrem Ende zum Leiden zwingen.
Ich habe große Angst, selbst einmal in eine solche Situation zu kommen, weil mir dank Kirchen und ihren Bundestagsabgeordneten kein Arzt helfen darf.
Olaf Sander am Permanenter Link
Das BfArM entwickelt sich mehr und mehr zu einer Behörde, die so stockkonservativen Leuten wie bspw.
Ähnlich mies wie bei den Erlaubnissen von Natrium-Pentobarbital verhält sich die Behörde (!) bei medizinischem Cannabis. Auch hier werden die Menschen wider besseren Wissens mit ihren Leiden, Ängsten und Problem (ganz) allein gelassen.
Das ist einer Behörde nicht würdig. Das ist pervers.
Hoffen wir, dass Prof. Roßbruch und die anderen Kämpfer für die Sterbehilfe erfolgreich sind und nicht nur dieses Menschenrecht erstreiten, sondern damit auch noch unseren Rechtsstaat verteidigen - gegen die Damen und Herren Minister, die meisten Bundestagsabgeordneten und den Bundesärztekammerpräsidenten.
Gert Hantke am Permanenter Link
Die Situation ist unerträglich – besonders, aber nicht nur für aktuell Betroffene. Regierung und Parlament können sich hierzulande offenbar alles leisten. Das Volk wird getreten statt vertreten.
Klartext: Wer CDU, AFD oder auch SPD wählt und/oder nicht aus der Kirche austritt, muß sich über eine im Notfall ausbleibende Sterbehilfe nicht beklagen.
Forenschlumpf am Permanenter Link
Mir erschließt der ganze Aufruhr nicht.
Dass es Menschen gibt, die wegen ihres schweren Leidend ihres Lebens müde sind, ist weder sträflich, noch überraschend. Dass Selbsttötung gesellschaftlich keine einheitliche ethische Bewertung erfährt, ist ebenso wenig überraschend, wie es niemals Ziel einer Gesellschaft sein kann, in ethisch schwerwiegenden Fragen eine einheitliche und widerspruchsfreie gesamtgesellschaftliche Sicht zu erlagen. Das Problem ist doch auch nicht, dass hier eine Behörde nicht über die Rechtmäßigkeit eines Tötungswunsches entscheidet oder entscheiden will.
Die medikamentöse Therapie Schwerstkranker unter billigender Inkaufnahme der unerwünschten Wirkungen ist schon jetzt möglich, ohne Behördenantrag. Wenden Sie sich an den Arzt Ihres Vertrauens. Das Problem ist doch, dass es Ärzte gibt, die keinen Arsch in der Hose haben, um ihrem Gewissen gemäß zu handeln und die Konsequenzen zu tragen. Bitte, Herr prof. Roßbruch, klagen sie gegen diese Ärzte, die möglicherweise hier ihrer Verantwortung nicht nachkommen.
Kann sich überhaupt jemand vorstellen, wie dieser Prozess in einer Behörde auszusehen hätte, bis ein Selbsttötungsersuchen positiv beschieden würde? Hinter einem möglichen Bescheid sitzt immer ein Mensch, der entscheidet. Glaubt wirklich irgendjemand, dass im BfArM ein Beamter nach Aktenlage (!) einen Menschen zur Selbsttötung freigeben würde? Vor dem Tage, von dem an eine Behörde nach Aktenlage über die Rechtmäßigkeit eines Selbttötungsersuchens entscheiden wird, graut mir. Glaubt denn wirklich jemand, dass diese Entscheidung „richtiger“ ist als die des betreuenden Arztes? Ist ein Antrag bei einer Behörde auf Zuteilung eines zur Selbsttötung gedachten Arzneimittels wirklich ein im Sinne des Wortes „Sterben in Würde“, „in freier und wohlüberlegter Verantwortung selbstbestimmt“?
Wer seinem Leben ein Ende setzen möchte, findet schon jetzt einen Weg, auch human, selbstbestimmt und in Würde. Dazu braucht er nicht den Segen einer Behörde. Wer dies in dieser Diskussion nicht mit Nachdruck betont, macht sich zumindest des Vorwurfes schuldig, dass es gar nicht um den eigentlichen Vorgang der Selbsttötung als solchen geht.
Geht es nicht vielmehr um eine gewünschte staatliche Absolution und für das Selbttötungsersuchen? Die Klage gegen das BfArM offenbart, dass es eher um ethisches Rechthaben geht und nicht um das konkrete Problem des Tötungswunsches der Betroffenen. Das lässt sich auch aus der markigen Wortwahl der oben angeführten Kommentars von Prof. Roßbach schließen. Und, mit Verlaub, das Leiden dieser Schwerkranken zu instrumentalisieren und gegen die Kirchen zu bashen, ist infam und hilft nicht, eine für die Betroffenen akzeptabele Lösung zu schaffen.
Edmund Schmidt am Permanenter Link
> Das Problem ist doch, dass es Ärzte gibt, die keinen Arsch in der Hose haben, um ihrem Gewissen gemäß zu handeln und die Konsequenzen zu tragen. Bitte, Herr prof.
Sie verlangen von den Ärzten, dass sie eine dreijährige Haftstrafe riskieren? Und wenn sie das nicht tun, wollen Sie sie verklagen?
> Kann sich überhaupt jemand vorstellen, wie… <
Kein Mensch braucht eine Genehmigung zur Selbsttötung („Selbsttötungsersuchen“). Ob und wann er sein Leben beenden möchte, entscheidet jeder selbst. Das BfArM kann lediglich entscheiden, diesem Menschen das Medikament für die schonendste Möglichkeit nicht länger zu verweigern. Die Formulierungen „Selbsttötungsersuchen“ und „zur Selbsttötung freigeben“ sind hier völlig fehl am Platz.
> Wer seinem Leben ein Ende setzen möchte, findet schon jetzt einen Weg, auch human, selbstbestimmt und in Würde. <
Warum verweigert man diesen sterbenskranken Menschen dann das Medikament für den humansten und sichersten Weg.
Die Kirchen waren eine, wenn nicht die treibende Kraft bei der Einführung des Sterbehilfeverhinderungsgesetzes. Damit verhindern sie, dass alle Menschen am Lebensende die Hilfe bekommen, die sie sich wünschen. Das ist eine unerträgliche Bevormundung, die dazu noch Angst macht, wenn man dabei an sein eigenes Lebensende denkt. Mit Kirchenbashing hat das rein gar nichts zu tun. Sie können in ihrem Club machen was sie wollen, sollen ihre Regeln aber nicht anderen aufzwingen.
Die einzig akzeptable Lösung für alle wäre die Wiederabschaffung des Sterbehilfeverhinderungsgesetzes.
Manfred Gilberg am Permanenter Link
heideman
Was kann man da noch schütteln: nur den Kopf vor solcher Verlogenheit.
Wann bringen wir das zu einem guten Ende? Und vor allem, wie?