WEIMAR. (hpd) Die Zeitschrift MIZ - Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen - widmet sich in ihrer jetzt erschienenen Ausgabe 3/14 dem Schwerpunktthema “Marx reloaded – Zur Aktualität von Marxismus und Religionskritik”. Breiter Raum wird im Heft auch dem zweiten Schwerpunkt “Staat und Kirche” eingeräumt.
Religionskritik will Chefredakteur Christoph Lammers als Gesellschaftskritik verstanden wissen und deshalb eine diesbezügliche Diskussion anstoßen. Dazu schreibt er in seinem Editorial: “Wo liegt (…) das emanzipatorisch-aufklärerische Potenzial im Denken von Karl Marx? Welche seiner Überlegungen sind für die säkulare Szene so relevant, dass es interessant wäre, (…) sich mit seinen Schriften näher auseinanderzusetzen? Wo bestehen Überschneidungen zu anderen Denktraditionen der Aufklärung, welche wir tagtäglich gegen den wachsenden Einfluss radikaler Gläubigen hier wie dort zu verteidigen suchen?” (S. 1 – 2)
Gerade weil erst jüngst die Pastorentochter und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Angst vor dem Schreckgespenst Kommunismus schüren würde, sei der Marx’sche Imperativ (“…alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes Wesen ist”) eine Pflichtaufgabe für jeden, der Religionen, Kirchen und Irrationalismus überwinden will.
Leider erfüllen die drei dieser Zielstellung gewidmeten Schwerpunktartikel diesen Anspruch nur unvollständig. Sie bleiben stellenweise an der Oberfläche, sind teilweise in ihrem Duktus zu sehr zeitgeistig, lassen es an philosophischer Tiefe und auch an praktischem Bezug fehlen. Das gilt insbesondere für den Beitrag des Mitarbeiters der der Linkspartei nahestehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Unter Bezug auf den berühmte Norbert-Blüm-Spruch von 1989 “Marx ist tot, Jesus lebt!” geht zunächst Axel Rüdiger von der Martin-Luther-Universität (!) Halle-Wittenberg (MLU) auf “Die Aktualität von Karl Marx’ Religionskritik” ein. Zuzustimmen ist seiner Schlussfolgerung, dass Marx heute mehr denn je aktuell sei. Er begründet dies u.a. solchermaßen: “Die besondere Aktualität von Marx’ kritischem Denken besteht heute gerade in der eigentümlichen Verbindung von Religions- und Kapitalismuskritik, die den dynamischen und prozessierenden Kern seiner materialistischen Ideologiekritik bildet. Und vielleicht ist dieses wissenschaftliche Projekt in seiner vollen dialektischen Dimension auch erst wieder in der heutigen Situation adäquat zu verstehen, wo sich Kapitalismus und Religion in einer ganz merkwürdigen und unheilvollen Allianz miteinander verschränkt haben. (…) Im Gegensatz zu Feuerbach und allen Spielarten des Sozialdarwinismus bis hin zu Richard Dawkins bietet Marx’ dialektischer Materialismus Platz für sinnliche Freiheit, kreative Phantasie und politökonomische Emanzipation. Tatsächlich wird die Aktualität von Marx nirgends deutlicher als dort, wo er die Religionskritik mit der politischen Ökonomie verbindet.” (S. 4 bzw. 6)
Nicht Fisch, nicht Fleisch ist dagegen der Artikel “Marxismus und Religion – Marxismus als Religion?” von Lutz Brangsch, Rosa-Luxemburg-Stiftung. Dem Thema wird ausgewichen, es schimmert zu sehr die aktuelle Politik der Linkspartei durch, es sich nicht mit dem Klerus zu verderben und deshalb möglichst auf jedwede Kirchen-/Religionskritik zu verzichten und den Marxismus als Quasi-Religion quasi zu verteufeln.
Den Schwerpunkt abrunden soll ein Interview von Christoph Lammers mit dem emeritierten Politologen Richard Saage (MLU) über Marxismus und Darwinismus “Eine fruchtbare Konvergenz”. Dessen neuestes Buch “Zwischen Darwin und Marx” wird weiter hinten im Heft von Lammers ausführlich besprochen. Über Saage heißt es in der Einleitung zum Interview, dass dieser “erstmals für den deutschsprachigen Raum die Rezeption der Evolutionstheorie in der deutschsprachigen Sozialdemokratie vor 1933 zusammenzuführen versucht.” (S. 14) Das ist zwar wichtig und auch nicht falsch, aber wo bleibt da der Marxismus als solcher? Von diesem hatte sich doch die Sozialdemokratie schon vor 1933 weitestgehend verabschiedet! Wie standen bzw. wie stehen bis heute Marxisten in der KPD, in der ehemaligen DDR oder in kommunistischen u.ä. westdeutschen Gruppen zur Evolutionstheorie? Das ist doch für die zu führende Diskussion eigentlich viel mehr von Belang. Interessant ist für den Rezensenten dennoch eine Aussage Saages in diesem Interview: “Eine fruchtbare Konvergenz zwischen Evolutions- und Gesellschaftstheorie sehe ich in der modernen Philosophischen Anthropologie, wie sie von Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen entwickelt worden ist. Sie steuern einen mittleren Weg zwischen christlichem Essentialismus und naturalistischem Biologismus an. Ihr Ziel ist, die Verankerung des Menschen in seiner Naturgeschichte nichtdualistisch zu verbinden mit seiner Existenz in einem von ihm selbst geschaffenen sozio-kulturellen ‘Überbau’, in dem sein eigentliches Leben stattfindet.” (S. 16)
Der zweite Themenschwerpunkt “Staat und Kirche” ist demgegenüber wesentlich gelungener und auch ansprechender. Das gilt zum einen ganz besonders für den Artikel von Frank Welker “Der Islam gehört nicht ins Klassenzimmer – Warum die staatliche Ausbildung muslimischer Theologen ein Irrweg ist”. Zur Lage in Deutschland schreibt er, dass hier etwa vier Millionen Muslime leben würden, die die herrschende Politik u.a. mittels islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen integrieren wolle. Aber - seriösen Untersuchungen zufolge sei die Mehrheit dieser Muslime jedoch nicht besonders religiös (nicht anders als die Masse formaler Lutheraner oder Katholiken auch) und diese Mehrheit “lasse Allah einen guten Mann sein”. Welker spießt (man darf wohl sagen: genüsslich) die “religionspropagandistische Sprache des Bundesministeriums für Bildung und Forschung” auf: “Religionsunterricht an Schulen bietet eine wichtige kulturelle und theologische Orientierungshilfe. Er vermittelt Ethik und Moral und fördert die Identitätsfindung von Kindern und Jugendlichen.” (S. 21)
Welker argumentiert gegen diese politlyrische Behauptung wie folgt: “Wie sollte auch ausgerechnet der Religionsunterricht, egal ob islamisch oder christlich, zu einem besseren Miteinander beitragen? Das Ziel eines solchen Unterrichts ist es letztlich immer, sich in den eigenen Glaubensinhalten zu bestärken. Da im Monotheismus nur eine Glaubensgemeinschaft auf dem richtigen Pfad sein kann, müssen folglich die anderen auf falschen Pfaden wandern. Eine monotheistische Religion ohne diesen intoleranten Kern ist letztlich nicht denkbar. Zudem genügt ein Blick in die Geschichtsbücher, um zu erkennen, dass ein Stärken religiöser Vorstellungen wohl kaum zu einem friedlicheren Miteinander führen dürfte.” (S. 22 - 23)
Sein Fazit daher: “Der Staat fördert durch diese Politik und die immer umfassendere Förderung konservativer muslimischer Gruppen letztlich nicht die Terrorbekämpfung, sondern die Renaissance konservativer Wertvorstellungen inklusive eines mittelalterlichen Frauenbildes. Zudem ist die Einführung eines weiteren Religionsunterrichts anstatt der Abschaffung jeglicher Märchenstunden aus säkularer Sicht eine schwere Niederlage. Der Islam gehört nicht ins Klassenzimmer, sondern er sollte genau wie sein christliches Pendant von der Schule verwiesen werden. Auch hier gilt: Religion ist kein Unterricht!” (S. 24)