MIZ 1/18 erschienen: Verbote, Toleranzen, Alternativen

Die Debatte um den Schleier wird von der religiösen Rechten seit Längerem strategisch eingesetzt, um auf diesem Umweg ihrem reaktionären Geschlechterbild Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft zu verschaffen. In diesem Kontext thematisiert das aktuelle Heft der MIZ die Debatte um die Vollverschleierung.

Kernstück des Schwerpunktes ist eine in Auszügen abgedruckte detaillierte Argumentationshilfe der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die ein Verbot von Burka, Niqab & Co. für richtig hält. Fünfzehn Argumente gegen das Verbot werden behandelt und widerlegt. Im Interview mit Vera Muth, einer der Autorinnen des Papiers, kommen dann Motivation und politische Zielsetzung zur Sprache: Bei der Vollverschleierung geht es nicht um persönliche Religionsfreiheit, sondern um den Versuch der religiösen Rechten, religiösen Regeln Gültigkeit zu verschaffen – nicht nur in der eigenen Anhängerschaft, sondern in der gesamten Gesellschaft.

Verschleiert und enthüllt

Naïla Chikhis Artikel zum Berliner Neutralitätsgesetz trifft hinsichtlich der Verschleierung eine klare Aussage: Im öffentlichen Dienst, insbesondere in der Schule, hat das "Kopftuch", wie der Schleier auch verharmlosend genannt wird, nichts zu suchen. Eine Lehrerin, die den Schleier trägt, vermittelt Kindern allein dadurch bereits ein Bild über das Verhältnis der Geschlechter, das mit Selbstbestimmung und Emanzipation nichts zu tun hat.

MIZ-Cover

Auch ein (vorab veröffentlichter) Beitrag in der Rubrik "Blätterwald" befasst sich indirekt mit dem Thema, indem scharfe Kritik an der Berichterstattung der taz geübt wird. Dort hatte Patricia Hecht das Terre des Femmes-Papier in die Nähe der AfD gerückt, ohne sich auch nur ansatzweise mit den darin vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen. Wie weit die taz in die gesellschaftliche Stellung der Religion betreffenden Fragen nach rechts gerückt ist, zeigt ein kurz darauf erschienener Kommentar von Heide Oestreich zum Berliner Neutralitätsgesetz. Die Journalistin gelangt darin zu der Einschätzung, dass es Religionen mit und ohne Bekleidungsvorschriften gebe und der Islam sei nun mal eine "mit". Damit übernimmt sie die Position der Islamistinnen und Islamisten, die den Schleier nicht nur als religiöse Pflicht ansehen, sondern allen Musliminnen, die das anders sehen, vorwerfen, "schlechte" Musliminnen zu sein. Welche Folgen dieser Vorwurf für Frauen haben kann, hat Naïla Chikhi an anderer Stelle am Beispiel Algerien beschrieben.

Auch Werner Hagers Beitrag kann im Rahmen des Schwerpunktthemas gelesen werden. Denn er empfiehlt der säkularen Szene, sich die Rackettheorie zunutze zu machen, wenn es darum geht, antimoderne Strömungen zu analysieren. Die Forderungen nach religiös begründeten Sonderrechten resp. einer Sonderstellung erscheint so in einem anderen Licht.

Religion und Gesellschaft

Dass säkulare Positionen derzeit eher unter Druck sind, deutet sich nicht nur in der von einer seltsamen Allianz aus religiösen Rechten, Grünen und Linken betriebenen Abschaffung des Neutralitätsgesetzes an. Wenn sich Konfessionslose weder in der Regierung noch im Koalitionsvertrag wiederfinden, wie Daniela Wakonigg zeigt, spricht dies für sich. Dazu passt als Beispiel von der Basis Rainer Ponitkas Bericht über einen Schulleiter in Nordrhein-Westfalen, der mit dreisten Schikanen zu verhindern versucht, dass sich Schülerinnen und Schülern vom Religionsunterricht abmelden.

Auch der in einigen norddeutschen Bundesländern eingeführte neue gesetzliche Feiertag, der Reformationstag, spricht Ungläubige nicht an. Allerdings hält sich die Begeisterung andernorts ebenfalls in Grenzen. wie aus dem Interview mit Michael Fürst, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, hervorgeht. Und Gerhard Rampp kann mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum kirchlichen Arbeitsrecht sogar einen Erfolg präsentieren.

Streit und Harmonie

Zehn Jahre nach dem Ferkelbuchstreit wirft Gunnar Schedel einen Blick zurück und erkennt den Schatten eines identitären Religionsverständnisses, wie es heute weit verbreitet ist. Auch in der Debatte um die Genitalbeschneidung, vor allem von Jungen, spielt dies eine Rolle; der scharfe Ton, der alle trifft, die sich auf die Seite des Individuums stellen, erklärt sich nicht zuletzt daraus. Anlässlich des sechsten "Weltweiten Tags der genitalen Selbstbestimmung" plädiert Victor Schiering diesbezüglich für gesellschaftlichen Wandel. Ganz harmonisch geht es hingegen im Film "Hannah – Ein buddhistischer Weg zur Freiheit" zu, der sich um die Begründerin des Diamantwegbuddhismus dreht. Nur, meint Colin Goldner, hätten dem Streifen etwas mehr Kritik und etwas weniger Pathos gut getan.

Daneben gibt es noch die Rubriken Internationale Rundschau, Blätterwald und die Glosse Neulich... im Land der Berge und Esoteriker.

Da die Webseite der MIZ derzeit von Grund auf neu gestaltet wird, finden Sie mehr zum aktuellen Heft auf der Webseite des Alibri Verlags.