BERLIN. (hpd) Viele Atheisten haben “einen etwas verkniffenen, unfrohen, unduldsamen und – so paradox es klingt – also protestantischen Zug an sich”, so ein aktueller Befund von Alan Posener. In der letzten Woche hat der bekannte Kirchen- und Papstkritiker einen Artikel veröffentlicht, der es in sich hat: er geht hart mit einem bestimmten Typus von Atheist ins Gericht, dem er nicht nur vorwirft, dass bei ihm die Vernunft an die Stelle Gottes getreten sei, sondern auch vorhält, dass er sich gewissermaßen kontraproduktiv verhalte.
Denn dieser Typ von Atheist verzichte “auf eines der schärfsten Mittel im Kampf gegen die Religion: den Vergleich der praktizierten Hartherzigkeit vieler religiöser Menschen mit der Herzensbildung, dem Mitleiden mit aller Kreatur, die ihre Religion theoretisch verlangt.”
Posener ist ein Mann der glänzenden Analyse und der treffsicheren Formulierung. Dies hat er in seinem Buch “Der gefährliche Papst – Eine Streitschrift gegen Benedikt XVI.”, und nicht nur damit, bewiesen. In der Streitschrift, deren Lektüre mittlerweile zu einem Muss für Jeden geworden ist, der die Politik des Vatikans und der römischen Kurie – jedenfalls vor Franziskus und auch den heutigen Widerstand gegen Franziskus - verstehen will, hat er die Politik Dr. Ratzingers als getrieben vom Hass auf die Moderne bezeichnet und den damaligen Papst als jemanden kritisiert, der die Demokratie und den Säkularismus in Frage stelle und deren “Korrektur”, verbrämt als “Korrektur eines europäischen Sonderwegs” gefordert habe.
Seinerzeit hat Posener viel Beifall aus der atheistischen Szene erhalten; ob er Beifall aus dieser Ecke auch erhalten wird, wenn seine aktuelle Bewertung des Atheismus in Deutschland dort bekannt wird? Wir werden abwarten und sehen…
Zwei Seiten des Christentums
Posener deutet anhand der christlichen Weihnachtsgeschichte - deren konkreten Wahrheitsgehalt er dahinstehen lässt - dass dieser christlichen Geschichte ein sozialer, gewissermaßen ein linker Zug eingeschrieben sei und weist darauf hin, dass das Christentum neben seiner totalitären, unmenschlichen und kriminellen Seite, die etwa Karlheinz Deschner detailliert beschrieben hat, doch eben auch immer wieder – durch die Jahrhunderte - Menschen zum Widerstand gegen die Unmenschlichkeit inspiriert hat, beispielsweise Martin Luther King, ein, wenn nicht der große Kämpfer des 20. Jahrhunderts gegen Rassismus, der allerdings stets an seiner Religion festgehalten und aus ihr heraus Inspiration für seinen antirassistischen Kampf bezogen hat.
Martin Luther King: kein Kämpfer gegen Rassismus, sondern Religiot?
Am Beispiel Martin Luther Kings lässt sich die Problematik gut zuspitzen: für manchen Atheisten ist Martin Luther King ein religiöser Mensch und damit vor allem eines: ein Religiot, worin die Diffamierung Idiot steckt. Gegen derartige Betrachtungen wendet sich Alan Posener mit aller Verve: die Konklusion des atheistischen Stammtisches, Martin Luther King sei ja nur ein “Religiot” gewesen, dürfte ihm Grausen bereiten. So setzt sich Posener mit der Unkultur des “protestantischen” Atheisten auseinander, bei dem er “Herzensbildung” vermisst. Posener zeigt anhand mehrerer Beispiele, etwa zur Toleranz, zum “Leben für den Augenblick” und zum sozialen Engagement, dass ein richtig verstandener Atheismus sich deutlich – positiv – von den Ansichten Religiöser und Fanatiker unterscheiden müsste. Dass dies die Realität atheistischen Denkens in Deutschland nur unvollständig erfasst, weiß jeder, der sich mit der Thematik befasst. Oder meint Alan Posener mit denen, die sich positiv von Religiösen unterscheiden würden, nicht Atheisten, sondern Humanisten?
Nicht jeder Atheist ist ein Humanist, das ist allgemein bekannt. Man kann als Atheist auch Rassist, homophob, ja auch Nazi sein. Vor allem kann man ein solider Vereinfacher sein. Das ist immer dann zu erleben, wenn ausschließlich die mittlerweile sattsam bekannten Negativbeispiele aus der Bibel als Maßstäbe der “Beurteilung” der Situation innerhalb der christlichen Kirchen herhalten müssen, wenn nicht berücksichtigt wird, dass etwa christliche Religion - auch bereits die Bibel - unterschiedliche Deutungen zulässt. Folge ist, dass Entwicklungen innerhalb einer Religion, einer Religionsgemeinschaft, nicht analysiert werden (können).
Die Unfähigkeit oder der Unwillen, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und aufgrund von Tatsachen zu Urteilen zu kommen, zeigt sich in besonders eklatanter Weise im dröhnenden Schweigen von Atheisten zur Politik des jetzigen Papstes Franziskus. Obwohl für alle Welt offenkundig ist, dass es vehemente Auseinandersetzungen in der “Weltkirche”, zwischen Laien und Klerus, innerhalb des Klerus, zwischen den Ortskirchen und der Kurie, innerhalb der Kurie usw. gibt, liegt bislang keine Analyse dieser Entwicklung und der darin liegenden möglichen Chancen für mehr Gerechtigkeit und Verwirklichung von Menschenrechten weltweit aus säkularer oder atheistischer oder humanistischer Sicht vor. Ein Armutszeugnis für den Atheismus!
Bislang gibt es zwar die eine oder andere Polemik, die aber eine auf Tatsachen basierte Analyse nicht ersetzt, zumal dann, wenn Fakten gar nicht erst berücksichtigt werden.
Alan Poseners kleiner Beitrag in der diesseits gibt Anlass, auch über dies alles nachzudenken.
13 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Atheist ist ein aussterbender Beruf! Je weniger Gläubige existieren, desto sinnloser wird dieser Ausbildungsgang. Alan Posener hat ja Recht, wenn er von Atheisten fordert, was Humanisten leisten können.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
In der Tat – es ist so, wie Sie sagen:
So manche Bibelstelle ist so eindeutig, dass man Sprache und Logik auf den Kopf stellen muss, um in ihr das Gegenteil hineinzuinterpretieren. Nur ein Beispiel: »Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft.« (3. Mose, Kap. 20, Vers 13). Kirchenpräsident Volker Jung sagte wörtlich: »Homosexualität ist ein Teil der Schöpfung. … Die sieben Bibelstellen, in denen Homosexualität vorkomme, dürfen nicht wortwörtlich interpretiert werden … Es sei geboten, mit der Bibel gegen die Bibel zu argumentieren. Wer die Stellen zur Homosexualität ernst nehme, der müsse dann auch für die Todesstrafe für Homosexuelle eintreten. Dies sei absurd«. – Mit grotesker Beliebigkeit zieht man sich aus der fatalen Klemme zwischen »Wort Gottes« und Vernunft.
Das kirchliche Arbeitsrecht ist ein weiteres Beispiel für, ja, man muss es so sagen: Heuchelei. In Predigten, Religionsunterricht, wohlfeilen bischöflichen Festreden wird von Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Solidarität, Toleranz und ähnlichen Tugenden schwadroniert. In der christlichen Praxis genügt es offenbar, diese in sonntäglichen Kanzelpredigten von anderen zu verlangen. – Man muss nicht Christ sein, um solche Tugenden zu praktizieren. Herzensbildung – ein fast vergessenes Wort – tut es auch.
Papst Franziskus redet den Abgeordneten des Europäischen Parlaments ins Gewissen und kritisiert deren Tatenlosigkeit angesichts des derzeitigen Flüchtlingselends. Was tut die katholische Kirche mit ihren Möglichkeiten zu helfen bei ihrem immensen Reichtum? Wir haben mal gelernt, dass Reichtum verpflichte. Stattdessen vergrößert sie das Elend eines ganzen Kontinents durch Kondomverbote und Beteiligung an Firmen, die Afrika ausbeuten und ökologisch ruinieren. Hat er je die wahren Ursachen für das afrikanische Elend ausgesprochen. – Er wird sich hüten, Wahrheiten zu verkünden.
hans schulze am Permanenter Link
Thema reichlich verfehlt, Herr Lehnert. Dasselbe haben sie doch schon zur Papstrede vor dem Europäischen Parlament geschrieben. Nicht immer dasselbe wiederholen.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Werter Herr Schulz, ein Argument büßt ja nicht an Überzeugungskraft ein, wenn es wiederholt wird.
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Als ich mit meinem ältesten 18jährigen Sohn von Herzensbildung sprach, verstand er nicht, was dieser Ausdruck bedeutet. Für ihn ein altmodisches Wort aus dem Reich der Märchen und Legenden.
Jann Wübbenhorst am Permanenter Link
Ich fühle mich (als Atheist und Humanist) von Poseners Kommentar in keiner Weise angegriffen oder gekränkt und stimme ihm im Wesentlichen zu.
hans schulze am Permanenter Link
Auch ich stimme Alan Posener weitgehend zu, wobei ich (ebenso wie Herr Wübbenhorst) wenig für die "Muttergottes" übrig habe und mich auch künftig nicht für sie begeistern werde.
Ille am Permanenter Link
Geht man als Humanist in einen Wettbewerb, der gütigere Mensch zu sein?
Ille am Permanenter Link
Bei uns sind die Evangelischen nicht verkniffen und unfroh. Das mag an dem Begriff liegen, den ich kürzlich kennenlernte: die Katholiken sind hier in der Diaspora. Muhaha.
Thomas Doll am Permanenter Link
Hier wird ein reales Problem angesprochen.Es gibt noch andere Aspekte
des homo sociologicus,nämlich die soziale Frage.Hier haben Gläubige
Positionen,die ich auch teile.Allerdings scheinen mir Kirchen oft Geldsammelmachinen zu sein zur Aufrecherhaltung ihrer bürokratischen,dem Staat entlehnte Strukturen.
Aus der Lebenserfahrung:Mit manchen Christen kann ich es als Atheist besser als bestimmten humorlosen Atheisten.
Aber die neue Atheistenbewegung ist a)erstmal eine Intellektuellenrevolte
und b)eine neue Bewegung mit entsprechenden Radikalismen
dl am Permanenter Link
Ich verstehe nicht was Herr Posener kritisiert, geht es ihm nur um den Ton oder auch um den Gegegenstand der Debatte?
Im zweiten und dritten Teil geht es ihm aufeinmal um den Ton der Debatte. Der geübten Kritik stimme ich zu, wundere mich aber gleichzeitig das Herr Posener selbst nur von Atheisten spricht und somit das Problem nicht als ein Debatten übergreifendes erkennt. Auch gesteht er den kritsierten Atheisten nicht zu, das sie eine differenzierte Positionierung haben konnten, das die Martin Luther King wegen des feshaltens an seinem Glauben kritisieren und trotzdessen seine Leistungen für die Bürgerrechtsbewegung in den USA zu würdigen wissen.
Herr Posener Kommentar ist für mich kein Beitrag für eine besser Debattenkultur, da er doch selber die Fehler macht die er anderen vorhält.
Pavlovic am Permanenter Link
Posener schreibt: "Viele Atheisten haben “einen etwas verkniffenen, unfrohen, unduldsamen und – so paradox es klingt – also protestantischen Zug an sich”" - dazu kann man sagen, dass das nichts illegales ist
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Sehr schöner Kommentar, mit kluger Beobachtung der Situation. Ich schließe mich ihm voll an. Aber auch ein Beitrag zum besseren gegenseitigen Verstehen.