Lese-Tipps von Thomas Hocke

Bücher für den Dezember

buch.jpg

(hpd) Thomas Hocke, der ehemalige Redakteur des ZDF für Literatur und Bildende Kunst, Begründer etlicher Literaturformate in ZDF, 3sat und arte sowie Mitbegründer des Rheingau-Literatur-Festivals stellt im hpd Bücher vor, die nicht unbedingt Bestseller sind; es aber noch werden könnten.

John Williams, “Stoner”, dtv

Ein wunderbares, nie vereinnahmendes Buch, erst nach fünfzig Jahren 2006 wiederentdeckt über einen Farmerssohn, der die Liebe zur Literatur, oder anders gesagt, auch die Liebe selbst entdeckt. Sehr distanziert geschrieben, aber das macht diesen Roman so faszinierend, weil Williams sehr genau Entwicklungen von Gefühlen des späteren Literaturprofessors beschreibt. Und es ist ein Gesellschaftspanorama - sehr faszinierend.

Hanna Kent, “Seelenhaus”, Droemer

Die Autorin, aus Australien stammend, recherchiert die Umstände der letzten in Island hingerichteten Frau nach. Gefühlsmäßig der zu Unrecht Verurteilten auf der Spur und voll Anteil, aber nicht gefühlsduselig, obwohl der Roman dies ergeben kann. Konsequent hat sie sich ins Leben der Menschen in der damaligen Insel im 19. Jahrhundert hineingedacht. Erstaunlich, wie die junge Australierin ein solches isländisches Schicksal romanhaft umsetzt, Zeitporträt von Machtausübung von Kirche und Staat.

Cover

Susanne Schädlich, “Herr Hübner und die sibirische Nachtigall”, Droemer

Alle haben in diesem Jahr von dem Mauerfall gesprochen, doch es gibt Schicksale, die über mehrere Diktaturen wie Nazizeit, Sowjetzeit und DDR durch Willkür verlängert wurden, zu Unrecht und nur auf Verleumdung beruhend. Man erfährt von standhaften Leuten - und von Opportunisten. Die Autorin hat zwei Schicksale zusammengefasst in einem Roman - man erschrickt über Zeitgenossen, die daran gestrickt haben.

Christopher Isherwood, “Leb wohl, Berlin”, Hoffmann und Campe

Die letzten Tage der Weimarer Republik, der Autor erlebt und beschreibt - selber als politischer Künstler engagiert - die Halbwelt in Berlin. Fasziniert wie fassungslos wegen der Ahnungslosigkeit der Menschen, die dem Treiben der Nazis fast unbekümmert entgegensehen.

Nick Hornby, “Miss Blackpool”, Kiepenheuer & Witsch

Eine Kosmetikverkäuferin stolpert in den Ruhm zur Miss Blackpool - für fünf Minuten, dann erkennt sie, dass das ein Leben in der Provinz bedeuten würde. Sie zieht nach London, um Schauspielerin, Komikerin zu werden. Hornby, dessen Romane vielfach verfilmt wurden (“About a boy”, “ A Long Way Down” etc.), hat das Schicksal von den Größen der Popkultur der sechziger Jahre kenntnisreich beschrieben.

Alexandra Friedmann, “Besserland”, Graf Verlag

Mit tollem Humor ausgezeichnet und gezeichnet, beschreibt die Autorin aus Weißrussland die Umstände und Befindlichkeiten der Aus- wie Einreise ihrer Familie vor zehn Jahren nach Deutschland. Man erschrickt fast, wie heiter solche Veränderungen der Lebensumstände skizziert werden, wird aber immer an die Tatsachen erinnert, die solche Ausreisen vor und nach sich ziehen und nicht so lustig sind…

Hubertus Meyer-Burkhardt, “Die kleine Geschichte einer großen Liebe”, Lübbe

Was ist die Liebe? Der Produzent und Moderator (3 nach 9) erfragt in seiner Geschichte nach einer zufälligen Begegnung zweier Menschen in Hamburg, beide über fünfzig und “eingerichtet” im Leben, nach dem Sinnsein von Liebe - und vor allem nach der Einmaligkeit von Liebe. Ein Prozess der über einen Fußweg des “er” zu “ihr” von Hamburg nach Zürich hinterfragt wird.

Cover

Thomas Hettche, “Pfaueninsel”, Kiepenheuer & Witsch

Der Autor, in Berlin lebend, mehrfach ausgezeichnet, zuletzt gerade mit dem Bayrischen Buchpreis, beschreibt in vielen Kapiteln kenntnisreich die Berliner Insel aus der Sicht eines kleinwüchsigen Schlossfräuleins - in einer “fabelhaften” Geschichte in der Geschichte, von Gartenkunst und philosophischen Gesprächen. Geht es vordergründig um die Kunst des Gartenarchitekten Lenne, ist aber eine Ode an die Natur, und um das, was der Mensch daraus entwickelt.

Andreas Maier, “Die Straße”, Roman Suhrkamp

Dritter Teil der Familiensaga - geschrieben im Geiste Prousts, wie viele Rezensenten schrieben: Eindringlich das “Selbstporträt”, die Straße, der Ort. “Das Zimmer” kennt man vielleicht von dem früherem Roman - hier ist nichts ausgeschmückt, nichts weggelassen - aber die Sichtweise funktioniere wie ein Setzkasten, wie Maier selbst einmal sagte, den man vor sich habe und nun beschreibe von der Funktionalität her.

Ian McEwan, “Honig”, Diogenes

Wie das funktioniert hat, oder noch funktioniert, wenn die Geheimdienste sich der Schriftsteller annehmen, um sie zu instrumentalisieren für eine politische Sichtweise, beschreibt der Autor, bekannt vielleicht wegen der Verfilmungen von “Abbitte”, oder “Zementgarten” in seinem neuesten Roman. Und man ist immer wieder dem Charme der Auseinandersetzungen um die “richtige” Literatur erlegen.

Cover