DRESDEN. (hpd/fowid) Vor 50 Jahren zelebrierte Papst Paul VI. In Rom die erste Heilige Messe in der Landessprache Italienisch. Dies war das sichtbarste Zeichen der Liturgiereform, mit der sich die katholischen Kirchenoberen seit Jahren beschäftigten. Auf Fowid.de gibt es ein neues Datenblatt, das einen Zusammenhang zwischen Liturgieerneuerung und Gottesdienstbesuch darstellt.
Bis in die 1960er Jahre war die Gestaltung des katholischen Gottesdienstes mehr oder weniger Sache der Priester und die Gläubigen blieben nur stumme Zuschauer. Bereits zu Anfang des Jahrzehnts kamen Bestrebungen auf, die Gläubigen bewusster an der Liturgie selbst teilnehmen zu lassen. Gottesdienst und Liturgie sollten Sache der ganzen Kirche sein, bei der die Menschen bewusst innerlich und äußerlich mitwirken können. Der neue Gottesdienst sollte darauf ausgerichtet sein, dass die Gläubigen verstanden, was der Geistliche sagt und sie somit in der Lage waren, sich die Worte zu eigen zu machen. Sie sollten verstehen, was aus der Heiligen Schrift vorgelesen wurde. Einzelne waren damit auch in der Lage Aufgaben als Lektoren oder Ministranten zu leisten, also mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten eine tätige Rolle zu übernehmen. Das Konzil wurde mit diesen Änderungswünschen beauftragt und legte innerhalb von drei Jahren ein neues Konzept vor.
Am 7. März 1965 zelebrierte zum ersten Mal Papst Paul VI. in der Pfarrkirche Ognisanti den Gottesdienst größtenteils in Italienisch und nicht mehr in Lateinisch. Er bekräftigte damit die wohl spürbar offenkundigste Neuerung, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) angestoßen hatte: die Liturgiereform.
Entwicklung der Zahl der Gottesdienstbesucher
Bemerkenswert ist, dass gerade ab der Zeit, als die Liturgien allgemein verständlich wurden, immer weniger Gläubige zum Gottesdienst gehen. In der Statistik der deutschen Bischofskonferenz werden die Zahlen der Gottesdienstbesucher seit vielen Jahren erfasst. Auf Fowid.de gibt es dazu ein neues Datenblatt. Während von 1950 bis 1965 die Zahl kaum schwankt und etwa bei 50 Prozent der Katholiken liegt, ist in den folgenden Jahren ein deutlicher Abwärtstrend zu verzeichnen. Seit 1965 ist die Zahl der Gottesdienstbesucher auf ca. 22 Prozent im Jahr 2013 gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Katholiken in Deutschland um ca. 8 Prozentpunkte zurückgegangen. Wobei der tatsächliche Rückgang der Katholikenzahl erst ab 1990 einsetzte (Minus 15 Prozent zwischen 1990 und 2013). Damit geht 50 Jahre nach der Verbesserung der Verständlichkeit der Messen und mehr Volksnähe nur noch jeder zehnte Katholik zur Messe, obwohl der Besuch der Heiligen Messe als Sonntagsgebot für jeden Katholiken verpflichtend ist. Der Katechismus lässt da nur einige wenige Ausnahmen zu, wie Krankheit, unzumutbare Belastungen, Verpflichtungen bei der Pflege Schwerkranker oder Sorge für kleine Kinder. Der Gläubige ist verpflichtet, bei längeren Verhinderungen nach Alternativen zu suchen.
Mit der katholischen Liturgiereform wurde das „Geheimnisvolle” und „Erhabene”, was der Gesang in fremder Sprache und die dazugehörigen Handlungen des Geistlichen bot zum banalen und alltäglichen für die Gläubigen. Es hatte nichts mehr mit überirdischem Glanz, Opfer und Mysterium zu tun. Der Priester war nicht mehr länger die einzige Person, die wissend war.
In diesem Prozess scheint es für viele Gläubige nicht mehr zwingend notwendig geworden zu sein, diesem außerordentlichen „Spektakel” Sonntag für Sonntag beizuwohnen. Es war nichts Besonderes mehr. Den Gottesdienstbesuchern wurden Woche für Woche dieselben Mahnungen und Belehrungen mit auf den Weg gegeben und es hatte nichts Geheimnisvolles und Verpflichtendes mehr an sich. Die „Offenbarung des Mysteriums Christi und das Werk der Erlösung” fand für viele nun nicht mehr statt, wenn sie es in Deutsch hörten. Der Priester war damit nicht mehr der weit über der Gemeinde stehende „Vertreter und Vermittler” der Heiligen Schrift, sondern stand plötzlich auf der gleichen Ebene wie die Gläubigen. Zu dieser Entwicklung kam die zunehmende Austrittswilligkeit der Menschen aus der Kirche, die auf der generellen gesellschaftlichen Entwicklung beruhte.
Menschen lassen sich immer weniger von Alltäglichem und Banalem berühren. Der Gottesdienst bietet ihnen immer weniger Impulse zur Besinnung und die Predigten sind oft langatmige Ausführungen, denen man nicht folgen kann, weil die Themen die Menschen nicht tangieren. Viele Menschen haben heute scheinbar auch gar nicht mehr das Bedürfnis sich ansprechen zu lassen. Nach Meinung einiger Gläubigen hat der Gottesdienst nach der Liturgiereform seine Erhabenheit und Würde verloren. Die Leute würden es nur noch als eine Art menschlichen Beisammenseins empfinden und würden sich ihrer Tradition beraubt fühlen, weil sie es als Verstümmelung der Messe empfanden.
Karl Rahner (katholischer Theologe) entgegnete den ewig Gestrigen bereits 1966 sehr drastisch:
„Die vom Konzil weitergeführte und auch für die Zukunft weiter gewünschte Liturgiereform ist in manchen Kreisen der Kirche auf Befremden und Widerstände gestoßen, wobei deren Ausmaß freilich übertrieben dargestellt wurde. Befremdet, nicht eigentlich verwirrt waren jene Schichten des vielzitierten und vielfach überschätzten 'gläubigen Volkes', die Liturgie primär als Brauchtum und Folklore ansehen und den direkten religiösen Anspruch einer erneuerten Liturgie als lästig empfinden. Es handelt sich um jene Schichten, denen die Heilssorge der Kirche zwar immer zu gelten hat. die aber keinesfalls zum Maßstab kirchlichen Selbstvollzugs gemacht werden dürfen, da sie ohnedies aus eingewurzelter Trägheit nie zum Selbstvollzug der Kirche beitragen. Die das konkrete Dasein der Kirche tragenden Schichten haben die Liturgiereform überall als längst fällige Besinnung und als Anerkennung ihrer eigenen christlichen Reife begrüßt. Widerstände erheben sich aus sogenannten akademischen Kreisen, deren Angehörige ihre Unfähigkeit zur Kommunikation, ihren Bildungsdünkel und ihr steriles Verhältnis zur Geschichte hinter dem Anspruch besonderer Kirchlichkeit zu tarnen suchen, indem sie ihre Ressentiments als Maßstab des Katholischen ausgeben. Dem Konzil war es leichter, als dies einzelnen Bischofskonferenzen und Bischöfen geworden wäre, diese wortstarken und teilweise einflussreichen, aber in der Humanität gescheiterten tragikomischen Randfiguren der Kirche völlig außer Acht zu lassen." (12)
Wenn man die Austrittszahlen und die Gottesdienstbesucherzahlen sieht, so ist augenscheinlich kaum jemand für den Besuch des Gottesdienstes gewonnen worden. Die Reform brachte nicht den gewünschten Effekt, der Entwicklung der Entkirchlichung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Selbst in eigenen Kreisen wird die Änderung des Ritus für die Erschütterung des Glaubens verantwortlich gemacht. Die Änderung der Liturgie als Form hat angeblich den Inhalt, den Glauben, zusammenbrechen lassen. Der Ernst des christlichen Lebens und die „göttlichen Forderungen” würden verharmlost werden und der katholische Gottesdienst würde sich kaum noch vom protestantischen unterscheiden.
Hinzu kommt, dass den Menschen durch Beruf und wirtschaftliche Entwicklung immer mehr Spontanität, Flexibilität und Eigenständigkeit abverlangt werden. Dazu passt eine Liturgie, ein Ablauf immer nach dem gleichen Muster, nicht mehr ins Lebenskonzept. Andererseits entwickeln sich in vielen Lebensbereichen (Sportveranstaltungen, Medien, Parteitagen) neue Gemeinschaftsrituale und Pseudoliturgien.
Die Industrialisierung und Verstädterung sowie Änderungen in der gesamten Gesellschaft hatten zur Folge, dass die Institution Kirche keine Vorherrschaft mehr hat. Die kirchlichen „Werte” verloren ihre Bedeutung in einer modernen Freizeit- und konsumorientierten Gesellschaft. Diese Tendenz ist besonders in Großstädten zu beobachten, die von der Entkirchlichung zeitiger und mehr betroffen waren als ländliche Räume.
Das Kirchenvolk schien bis in die 1960er Jahren „ziemlich zufrieden" zu sein. 50 Prozent kamen Woche für Woche zur Heiligen Messe. Nach dem rigorosen Umsetzen der Reformen mussten die Bischöfe und Priester den unvorbereiteten Gläubigen erklären, dass das, was kurz vorher noch gut für einen Katholiken war, nun plötzlich geächtet wurde. Die Veränderungen wurden so radikal durchgesetzt bis hin zu völlig abstrusen eigenmächtigen Gottesdiensten ohne Ordnung und Ritus, dass sich die Gläubigen mehr und mehr abwandten. Je mehr die aktive Beteiligung gefordert wurde, um so unwilliger schien die Gemeinde zu werden. Hinzu kommt, dass diese, wenn auch in Deutsch gehaltene Messe so viele formelhafte Bestandteile enthielt, die trotzdem von den Menschen nicht verstanden wurden. Und nichts ist für den Einzelnen schlimmer, als nichts zu verstehen. Solange es sowieso in einer fremden Sprache war, war es erträglich, denn das musste man ja nicht verstehen. Aber in der eigenen Sprache Sinn und Bedeutung einer Rede nicht zu verstehen hat schon etwas Erniedrigendes an sich.
In Folge der zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung zu zentralen christlichen Glaubensinhalten sank auch das Interesse an der Teilnahme an kirchlichen Ritualen und kirchlicher Zeremonien. Für beide Kirchen waren die durch die 1968er Studentenbewegung ausgelösten gesellschaftlichen Umbrüche eine Zeit, in der soziale Konflikte sehr deutlich hervortraten. In dieser Zeit sank die Teilnahme an den Gottesdiensten, die religiöse Praxis in den Familien und das Interesse an religiösen Fragen enorm und ließ die Menschen der Kirche generell fernbleiben. Ab 1967 hatten beide Kirchen gegen Austrittswellen zu kämpfen. Nochmalige „Höhepunkte” sind 1980 und 1992 zu verzeichnen. Da in diesen Jahren jedoch besonders viele auch aus der Evangelischen Kirche ausgetreten sind, kann es nur ein Indiz für eine generell wachsende Distanz gegenüber den Kirchen sein. Bei der Zunahme der Konfessionslosigkeit ist ein Generationenwandel zu verzeichnen. In jeder nachwachsenden Generation finden sich in geringerer Stärke Kirchenmitglieder und in größerer Zahl Konfessionslose. Auffällig ist dabei, dass die höchste Zahl der Konfessionslosen in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 zu finden ist.
Zunehmend sind in den letzten Jahren auch Skandale (Missbrauch, Geldverschwendung usw.) Gründe für Kirchenaustritte und damit weniger Gottesdienstbesucher. Die 1970 einsetzenden Verlustbewegungen der beiden Großkirchen sind somit bis heute nicht zum Halten gekommen.
Es treten in neuerer Zeit nicht mehr nur diejenigen, die sowieso schon lange nichts mehr mit der Kirche verbindet, aus, sondern auch viele, die sich zu dieser Kirche zugehörig fühlten, weil sie zutiefst enttäuscht wurden. Die strukturelle Unwahrhaftigkeit, die in diesen Skandalen sichtbar wurde, hat das Engagement zerstört und Sympathie in Ablehnung verwandelt und war vielen Katholiken zu viel.
Die Säkularisierung Deutschlands und der damit verbundene Traditionsabbruch in Großstädten wie Hamburg und Berlin geht aber auch ohne die entsprechenden „skandalösen Ereignisse” weiter und verschont auch nicht die ländlichen Regionen.
Die Kirchen haben an Glaubwürdigkeit verloren, was sich schwerlich wiedergewinnen lässt. Die automatische Erfassung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge wird für die neue Austrittswelle aus den Kirchen verantwortlich gemacht.
Geschichtliches
Mit dem Messbuch von 1570 wurde der tridentinische Ritus im Auftrag des Konzils von Trient eingeführt. Das Trienter Konzil beabsichtigte damals, genauso wie später das Zweite Vatikanische Konzil, eine Reform der Liturgie. Andere Traditionen gingen damit unter, weil sie verboten oder verdrängt wurden.
An dem alten Ritus wurden immer wieder kleine Veränderungen vorgenommen. Die letzte Ausgabe dieses Messbuchs wurde im Jahr 1962 unter Papst Johannes XXIII. herausgegeben. Um ein gültiges Konzept zu erarbeiten, hatte das Zweite Vatikanische Konzil beschlossen, eine umfassende Liturgiereform durchzuführen. Von Papst Paul VI. wurde die Einführung der Volkssprachen in den katholischen Gottesdienst zwischen 1964 und 1971 in mehreren Schritten befürwortet. Die einzelnen Bischofskonferenzen hatten die Kompetenz diese Entwicklung mitzutragen und zu befördern. Doch bereits Papst Johannes Paul II. gestattete unter bestimmten Bedingungen die Verwendung des Messbuches von 1962 und Papst Benedikt XVI. bestätigte die allgemeine Zulassung unter bestimmten Voraussetzungen. Für diese "außerordentliche Form" der Liturgie ist nur der Gebrauch des Lateinischen zulässig und die Gemeinde ist nur gering beteiligt.
Johannes XXIII. wollte keine neuen Dogmen, sondern ein von der Seelsorge geprägtes, dialogisches, nicht autoritäres Konzept. Er wollte die aktuellen Fragen der Christen im 20. Jahrhundert ansprechen. Nach drei Jahren intensiver Auseinandersetzung wurden die tiefgreifenden Veränderungen bekannt gegeben und „führten zur umfassenden liturgischen Erneuerung mit der Zurückdrängung der lateinischen Messe; zu einem verstärkten Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom, aber auch der Laien gegenüber den Bischöfen; einer Bewusstwerdung von Weltkirche und einer ökumenischen Öffnung ohne Vorbild.”(3)
Bereits im Dezember 1963 wurde die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium als erstes Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils veröffentlicht. Gegenstand der damit beschlossenen „allgemeinen Erneuerung der Liturgie“ ist der gesamte Gottesdienst der Kirche: die Eucharistiefeier, die übrigen Sakramente und die Sakramentalien, das Tagzeitengebet, der Kalender, die Feste und Festzeiten, die Kirchenmusik und die sakrale Kunst.
Man erkannte, dass „nicht selten der Gebrauch der Muttersprache für das Volk sehr nützlich sein kann“.
„Bei dieser Erneuerung [der Liturgie] sollen Texte und Riten so geordnet werden, dass sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, dass das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann.”(6)
Die Muttersprachen sollten besonders in den Lesungen und im Allgemeinen Gebet sowie in den Teilen, die dem Volk zukommen, eingesetzt werden. Jedoch blieb man dabei, dass die Gläubigen auch Teile des Meßordinariums lateinisch sprechen oder singen können.
Aber nicht nur das Streitthema Liturgie stand zur Diskussion, sondern auch die Kleiderordnung wurde radikal verändert. Im Zuge der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils ging es gegen die Prunkgewänder der päpstlichen Senatoren. Nach alter Auffassung reflektieren die die jahrhundertealte Tradition der Kirche und ihren historischen Auftrag. Das Konzil wollte neue Wege gehen und ein neues Verständnis von Kirche entwickeln.
Paul VI. legte auch bei seiner Geistlichkeit Wert darauf, dass „Korrektheit und Anstand im Gleichklang seien mit Einfachheit, Zweckmäßigkeit und dem Geist von Demut und Armut”. Es sollte keine Seide mehr verwendet werden, Soutane, Mantelletta und Mozetta sollten nur noch aus Wolle hergestellt werden. Der schwarze Kardinalshut mit den rotgoldenen Kordeln wurde abgeschafft und die rot eingefassten Schuhe sollten nicht mehr verwendet werden.
Papst Johannes Paul II. lebte noch ganz diese Einfachheit. Er trug z. B. sehr einfache Lederschuhe. Doch bereits sein Nachfolger Benedikt XVI. legte die Beschlüsse des Konzils anders aus. Während er sich im Alltag bescheiden kleidete, verwendete er als Papst die traditionellen Accessoires in Hülle und Fülle in jeglicher Kombination. Viele der Kurie sahen dies als Zeichen, dass prunkvolle Pelze, Samt und Seide wieder Einzug in den Vatikan hielten.
Papst Franziskus hat nun einen neuen Anlauf genommen, Schlichtheit und authentisches Priestertum anzumahnen, wie es dem dienenden Charakter ihrer Würde entspreche.
Die Gegner
Eine Änderung in solchen Ausmaßen geht nicht ohne Widerstände zwischen Bewahrern und Erneuerern ab. Die scharfen Auseinandersetzungen der beiden Richtungen konnten damals nicht ausgeräumt werden und halten bis heute bis in die Pfarreien an. Beide Strömungen berufen sich auf den Geist des Konzils, da angesichts der unzähligen Reformvorschläge sich die Konzilsväter auf große Kompromisse selbst in zentralen Formulierungen einlassen mussten. Die vom Konzil beschlossenen Grundzüge der Liturgiereform waren hingegen selbst für traditionell denkende Bischöfe noch konsensfähig.
Der Begeisterung des Konzils folgte ein Aufbruch, aber auch eine Zeit allgemeiner Verunsicherung. Bei der Umsetzung von Sacrosanctum concilium kam es zu Brüchen, das Lateinische verschwand fast völlig, viele Altäre wurden abgebaut und das "heilige Geheimnis" des Messopfers wurde zu einer Art Abendmahls-Erinnerungsfeier umgedeutet.
Priester erfanden eigene Hochgebete und entfernten durch eigene Liturgiekreationen die letzten Spuren der "alten Messe". Die übers Ziel hinaus schießende Experimentierfreudigkeit im Gottesdienst und die Entfernung von Kircheneinrichtungen und liturgischen Geräten trieb viele Katholiken in die Arme von Traditionalisten (z. B. Erzbischof Marcel Lefebvre mit der Priester-bruderschaft). Die Katholiken sahen die vertrauten Ausdrucksformen ihres Glaubens über Nacht verschwinden. Der Erneuerungseifer und die rabiate Haltung gegenüber den Verfechtern des alten Ritus trugen dazu bei, dass sich ab 1970 die Traditionalisten unter Führung des französischen Erzbischofs Marcel Lefebvre von Rom entfernten. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben mehrfach versucht, die Auswüchse auf ein vertretbares Maß zurückzudrängen, und auch Papst Franziskus neigt in Sachen Liturgie nicht zu neuen Versuchen. Inzwischen ist die Wertschätzung einer würdigen Liturgie inzwischen wieder gewachsen.
Die Gegner der Reform werfen den folgenden Päpsten vor, sich gegen die liturgische Bewegung in der ersten Jahrzehnten und deren Ansätze gestellt zu haben und damit in der Praxis seit den 60er Jahren den Menschen das Wesen und Geheimnis der Liturgie nahezubringen. Stattdessen bringe sie die Liturgie, zunächst in Formen dann auch in den Inhalten unter die Herrschaft weltlicher Verhältnisse, Gewohnheiten und Erwartungen. Sie werfen den Erneuerern vor, die Liturgie auf eine Feier der Gemeinde reduziert zu haben und irgendwie im Wort der Schrift, in der Harmonie der Versammlung und am Tisch des gemeinsamen Mahles dem Göttlichen begegnen zu wollen.
Das Konzil ist für die einen für eine weltoffene, den Problemen der Zeit zugewandte Kirche; für die anderen kirchliche Anbiederung an den Zeitgeist und eine freiwillige Aufgabe von Glaubenstraditionen. Mit dem Aufkommen der neuen Medien gelingt es einigen Kreisen wieder besonders gut, sich lautstark zu den alten Liturgieformen zu äußern und eine neue Anhängerschaft, besonders unter jungen Leuten zu gewinnen.
Die Diskussion über Traditionsbruch oder Kontinuität des Konzils überdeckt inzwischen längst die Debatte, wie weit die Kirche in den vergangenen 50 Jahren bei der Umsetzung der Konzilsbeschlüsse gediehen ist.
50 Jahre danach
Die katholische Kirche nähert sich 50 Jahre nach der Verkündigung von "Sacrosanctum concilium" wieder allmählich dem an, was die Konzilsväter 1963 tatsächlich beschlossen: Einer Feier des Gottesdienstes, die "das christliche Leben unter den Gläubigen vertieft" und die das "stärkt, was dazu beiträgt, alle in den Schoß der Kirche zu rufen".(3)
Papst Franziskus hat in Erinnerung an die liturgische Erneuerung an gleicher Stelle in Rom in der Kirche von Ognisanti einen Festgottesdienst gehalten – komplett in Italienisch.
Papst Franziskus erinnerte daran, dass die Feier der Messe „in der Sprache des Volkes“ durch Papst Paul VI. „die liturgische Reform einleitete“.
„Danke sehr, ganz herzlichen Dank für eure Gastfreundschaft, für eure Gebete mit mir in der Messe, und wir danken dem Herrn für das, was er in der Kirche in diesen 50 Jahren der Liturgiereform gewirkt hat. Es war eine mutige Geste der Kirche, sich dem Volk Gottes so anzunähern, daß es wirklich verstehen konnte, was sie tut, und es ist ganz wichtig für uns, daß wir der Messe eben so folgen. Und wir können nicht zurückgehen, wir müssen immer voranschreiten, immer voran, und wer sich zurückwendet, irrt sich. Wir schreiten auf diesem Weg voran.“ (7)
An diesem Ausspruch wird deutlich, dass die Liturgiereform Gegner hat und dass es auch nach 50 Jahren Auseinandersetzungen über die Gültigkeit gibt. Nicht wenige wünschen sich jahrhundertealte, luxuriös ausgestattete Gottesdienstform wieder zurück und es entbrennt ein Streit darüber, welche Form akzeptiert werden kann.
Papst Franziskus lässt keinen Zweifel daran und bekennt sich eindeutig zum Neuen, während sein Vorgänger Papst Benedikt XVI. in einem Begleitschreiben zum Summorum Pontificum klarstellte, dass es durchaus möglich ist, die alten Formen beizubehalten und je nach Anlass eine der zulässigen Formen (darunter auch der 1970 modifizierte Römische Kanon) auszuwählen.
Cardinal Robert Sarah aus Guinea, seit Ende 2014 Präfekt der römischen Gottesdienstkongregation, bemerkte, dass das zweite vatikanische Konzil niemals verlangt hätte, die Messe von Papst Pius V. aufzugeben, genau sowenig die Abschaffung des Latein. Er setzt sich dafür ein, dass der Gottesdienst und die Eucharistiefeier etwas Besonderes sind und in entsprechender Form gefeiert werden soll. Dabei soll kein Zwang ausgeübt werden, sich nur dem Novus ordo unterzuordnen.
Quellen:
(1) katholisch.de/de/katholisch/glaube/unser_gottesdienst_2/gottesdienst/gottesdienst
(2) domradio.de/themen/zweites-vatikanisches-konzil/2015-02-02/
(3) domradio.de/themen/zweites-vatikanisches-konzil/2013-12-03/
(4) katholisch.de/de/katholisch/themen/dossiers_1/zweites_vatikanisches_konzil/zweites_vatikanum_hintergrund.php
(5) summorum-pontificum.de
(6) societas-liturgica.org/
(7) wikipedia.org/wiki/Participatio_actuosa
(8) www.news.va/en/news/pope-francis-church-calls-us-to-authentic-liturgic
(10) Pollack, Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland, 2003
(11) Patrick Nitsch 2006, Die Politiken der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche zum Nutzungswandel von Kirchengebäuden in Deutschland
(12) Karl Rahner „Kleines Konzilskompendium", Herder-Verlag
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Kommentare
sven schultze am Permanenter Link
"Mit der katholischen Liturgiereform wurde das „Geheimnisvolle” und „Erhabene”, was der Gesang in fremder Sprache und die dazugehörigen Handlungen des Geistlichen bot zum banalen und alltäglichen für die Gläubige