Die Geburt der katholischen Staatskirche

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Petersplatz, gesehen von der Kuppel des Petersdomes
Petersplatz, gesehen von der Kuppel des Petersdomes

Es gibt Wahrheiten, die möchte man lieber nicht wahrhaben. Sie werden verdrängt, vergraben, übertüncht, verleugnet. Eine dieser Wahrheiten ist, dass die antike Kultur am 28. Februar 380 mit der Ernennung des Katholizismus zur Staatskirche durch den römischen Kaiser Theodosius endet. Das Jahr markiert einen Paradigmenwechsel von der polytheistisch-multikulturellen Denkweise zu einer monotheistisch-monothematischen. An die Stelle der antiken Kultur tritt eine Dogmenkultur, die ihre Durchsetzungskraft aus der Allianz mit der Staatsmacht gewinnt.

Wahr ist, dass nunmehr Jenseitsdenken und autoritäre Wahrheitsgewissheit der katholischen Kirche dominieren und Kreativität und Forschung, Bildung und Wissenschaft paralysieren. An die Stelle von Theatern und Thermen treten Kirchen und Klöster, die sich ab der Gotik zwar zur erhabenen Schönheit entwickeln, aber dennoch den auf absolute Gottesverehrung eingeengten Zeitgeist nicht verleugnen können. Ohne öffentliche Schulen und Bibliotheken, ohne Theater und Kanalisation verwahrlosen die Städte. Die Stadtkultur bricht zusammen, die Städte versinken im Schmutz. Der einst freie Geist zieht sich als Kirchengeist hinter Klostermauern zurück. Die Klöster, über Jahrhunderte die einzigen Vermittler von Wissen und Kenntnissen, überliefern nur noch, was dem Glauben dient.

Ablösung des ursprünglichen Christentums

Wahr ist auch, dass die Allianz aus Katholizismus und Staat das ursprüngliche Christentum ablöst. Nur mit Hilfe dieser Konvertierungstheorie wird das Paradoxon von Matthäus-Evangelium, von einem utopischen, dennoch humanen "Liebe Deinen Nächten" einerseits zu einem totalitären, durch Judenverfolgung und Inquisition geprägten katholischen Christentum andererseits erklärbar. Die Theorie ist nicht neu. Juden, Muslime, Arianer, Katharer, Hugenotten und zuletzt Luther und Goethe haben bezweifelt, dass die Papstkirche die Nachfolge von Jesus angetreten hat.

Wahr ist, dass das katholische Mittelalter ein feudalistisches Zeitalter ist, in dem die weltlichen und kirchlichen Herrscher ihre Untertanen eine kleine Ewigkeit lang im Status von Halbsklaven dirigieren. Der Arme ist unterster Teil der Gesellschaftsordnung, und dort gehöre er durch Gottes Willen auch hin. Wahr ist, dass diese Gesellschaftsordnung weder im Germanentum noch im ursprünglichen Christentum angelegt gewesen ist.

Wahr ist, dass diese Periode des frühen und mittleren Mittelalters zu Recht als "finster" bezeichnet wird, dass das lateinsprachige Mittelalter eine Epoche ist, in der die Frage "Was sagt Gott dazu?" die einzige Frage aller Stände ist und in der gestritten wird, ob Lachen als sündige Welthaftigkeit einem Verriss unterworfen werden soll. Niemals in der Menschheitsgeschichte wurde eine derart niederschmetternde Inszenierung von der grundsätzlichen Verworfenheit des Menschen auf die Bühne gebracht. Niemals wurde Kleinstkindern eine nicht tilgbare Schuld für Vergehen ihrer Ur-Ahnen angelastet. Niemals in der Geschichte der Religionen wurde ein Gott gezeichnet, der eifersüchtig darauf achtet, dass man ihn tagtäglich lobt und der in grotesker Maßlosigkeit selbst kleinste Vergehen mit ewigen Strafen vergilt. Niemals wurde eine Ethikbilanz durch Pogrome, Zwangsbekehrungen, Bücherverbote, Ketzervertreibungen, Diskriminierungen, Religionskriege, Inquisitionen und die paranoide Überzeugung, Frauen seien unter satanischer Führung darauf versessen, weitere Opfer zu umzingeln und müssten daher verbrannt werden, derart verhagelt wie im Falle der katholischen Lehre. Niemals geschah so viel Unrecht.

Wahr ist, dass Mittelalterforschung, die sich diesem Zentralthema nicht mit eigenständigen, quellenkritisch geprägten Vorstellungen nähert, die Mord nicht Mord nennt, Zwangsmissionierung als zeitbedingt darstellt, kirchlichen Feudalismus nicht als Abkehr vom Ursprünglichen erkennt, dem Anspruch auf möglichst objektive Betrachtung nicht gerecht wird. Wahr ist, dass "katholische Kirchengeschichte" als "Geschichte" in die Hände der Vollhistoriker gehört.

Aufklärung, Höhepunkt europäischer Geistesgeschichte

Wahr ist, dass die Aufklärung des 18. Jahrhunderts eine Revolution für Freiheit, Mitbestimmung und Menschenrechte und damit ein Höhepunkt europäischer Geistesgeschichte ist. Ihre unsterbliche Formel lautet: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Ihre Forderungen nach Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung sind die politischen Werte, die heute die westliche Hemisphäre prägen und ihr Ausstrahlungskraft verleihen. Wahr ist, dass die katholische Kirche zu den Idealen von Freiheit, Mitbestimmung und Menschenrechten wenig beigetragen hat.

Wahr ist, dass der heutige deutsche Katholizismus als staatlich legitimierte und subventionierte "Körperschaft des öffentlichen Rechts" das Gegenteil von dem ist, was in den Evangelien als eigenständige Gemeinden mit urdemokratischer Verfassung zur Pflege der wahren Tugenden Christi beschrieben wird. Und es kann dem Christen seinen Glauben verleiden, wenn er hört, dass das Kölner Bistum auf einem Milliardenvermögen sitzt und die Hälfte der Kölner Haupteinkaufsstraße besitzt, während die Priester mit der Arroganz der Wohlgenährten zum Opfer für die Armen auffordern, ohne auch nur ein Grundstück zu verkaufen.

Religionen mit alleinigem Deutungsanspruch sind eher schädlich

Wahr ist, dass weder das Mittelalter noch die aktuelle Entwicklung geeignet sind, um aus der Verknüpfung von Staat und Religion einen Gewinn für die menschliche Gemeinschaft ableiten zu können. Denn Religionen besitzen, unabhängig von der Konfession, einen nicht konsensfähigen Gesinnungskern, der nur unter Aufgabe der religiösen Identität verhandelbar ist. Kritische Stimmen sprechen daher religiösen Systemen einen gemeinschaftsbildenden ethischen Wert ab, da sie keine Werte und Normen definieren, die für alle Menschen und zu allen Zeiten nachvollziehbar und verbindlich sind. Da sie zudem in verfassungsrelevanter Weise die große Gruppe der nicht konfessionell Gebundenen benachteiligt, sind Religionen wegen des Anspruchs auf alleinige Deutungshoheit für die Gesellschaft eher schädlich als nützlich, während sie dem Einzelnen mit Festen und Feierlichkeiten, mit Bildern und Symbolen Halt und Orientierung geben können. Aber es muss eine Entscheidung des Einzelnen bleiben.

Wahr ist, dass deutsche Politiker des 21. Jahrhunderts aus der von Religionen geprägten Epoche der Menschheitsgeschichte wenig gelernt haben und ihr Denken bedenklich hinter den kritischen Erkenntnisstand der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts zurückfällt. Ihr Versuch, den öffentlichen Raum zu sakralisieren, ist wegen der damit verbundenen Spaltung der Gesellschaft, der Einschränkung der freiheitlichen Entfaltung der Individuen und der Gefahr, sich von einer vernunftorientierten Vorgehensweise abzuwenden, gefährlich und ihre Empfehlung, dem rasend rasch wachsenden Einfluss des Islam durch vermehrten Kirchenbesuch zu begegnen und mit Weihnachtsliedern und Blockflöten gegen den Verlust spezifisch abendländischer Werte anzukämpfen (Bundeskanzlerin Merkel, Oktober 2016) einer Regierung unwürdig ist.

Wahr ist, dass die Absicht, den Islam als den christlichen Großkirchen gleichberechtigte Körperschaft des öffentlichen Rechts zu installieren, lediglich dazu führt, den Staat für religiöse Zwecke noch mehr zu melken als bisher, noch mehr Sitze in Fernsehräten und Ethikkommissionen zu installieren, noch mehr konfessionelle Kindergärten einzurichten, kurzum, eine weitere Bedrohung der Geistesfreiheit und der Aufklärung zu fördern, weil viele seiner Anhänger sich nicht mit Kritik vertraut machen wollen und mangels Widerstand meinen, überall religiöse und kulturelle Normen setzen zu dürfen.

Wahr ist, dass monotheistische Religionen am wenigstens geeignet sind, in einer hoch differenzierten Gesellschaft eine gemeinsame Lebensbasis zu schaffen. Religionen polarisieren und bilden nicht den "Kitt der Gesellschaft" (Bundesinnenminister Thomas de Maizière, 2017). Sie fördern mit ihrem Wahrheitsverständnis den Fundamentalismus. Gleich ob in Irland oder Jerusalem, in Bagdad oder Ohio, überall glimmt eine Zündschnur, die jederzeit das Fromme explodieren lassen kann. Der deutsche Staat ist deshalb gut beraten, eine weitere islamische Verankerung in Schulen und Hochschulen zu unterbinden und stattdessen alle Religionen auf sich selbst zurückzuführen und von allen Mitgliedern jedweder Religion strikte Verfassungstreue zu verlangen und diese durchzusetzen. Unter dem geht es nicht für den, der hier lebt und der bei uns bleiben möchte.

Und wenn deutsche Politiker diese in der Geschichte der Religionen tausendfach belegte Wahrheit nicht erkennen mögen, wenn die Bundesregierung noch nicht einmal in ihren konfusen "Thesen für eine Leitkultur" (Thomas de Maizière) das griechisch-römische Fundament erwähnt, auf dem Europa steht, wenn in diesem Erguss ministrabler Weisheit das Wort Freiheit nicht einmal vorkommt, dafür aber von der Religion als "Kitt der Gesellschaft" schwadroniert wird, wenn stattdessen über groteske Verordnungen zu Kaffeemaschinen und Maisanbau Europas Einheit gesucht wird, dann kann man ohne Scheu von eklatanten Bildungslücken der sogenannten politischen Eliten bei einfachsten historischen oder kulturgeschichtlichen Fragen und von einer intellektuellen Agonie quer durch alle Parteien sprechen. Sich auf die wahren Wurzeln europäischer Kultur zu besinnen, von der Kanzel herabzuspringen und sich der Aufklärung in die Arme zu werfen, an der sich Christen wie Nichtchristen unbehindert durch die geistliche Ebene gleichermaßen beteiligen können, das schaffen sie nicht, die deutschen Politiker.

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