Ein Kommentar von Horst Groschopp

Sachsen, das kirchenhörige Musterland

2. Zur sächsischen Sondersituation gehört, dass, nach Mecklenburg-Vorpommern, der Anteil an Konfessionsfreien in der Bevölkerung besonders hoch ist: mehr als drei Viertel der Bevölkerung. Diese Mehrheits-Gruppe und ihre "Glaubensverhältnisse" sind weitgehend unbekannt. Nicht nur, dass diese Menschen eine terra incognita sind – sie haben auch keine Stimme.

Es ist für jede Religionspolitik bedeutsam, ob die Humanisten und Atheisten unter den Konfessionsfreien wirklich "arbeitende" Organisationen haben. Das ist in Sachsen – einem ehemaligen Kernland der Freidenkerbewegung – nicht nur nicht der Fall, sondern regelrecht ein Trauerspiel. Selbst der größte Verein, die "Jugendweihe", neutralisiert sich selbst, gibt sich unpolitisch.

Die wichtigste Folgerung aus dem Parzellenbauerndasein der Nichtkirchlichen ist, dass eine politische Strategie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137,7 WRV, also die Gleichbehandlung von Weltanschauungs- mit Religionsgesellschaften wegen mangels an "Weltanschauungsgemeinschaften" unmöglich ist. Auf wen wollen sich die Linken stützen – auf freischwebende radikale Laizisten?

Diese Tatsache hat für die Konfessionsfreien tragische Folgen bis in die Kommunen hinein, wo die LINKE in Sachsen ja nicht einflusslos ist. Welche "Weltanschaulichen" sollten Stadträte fördern, wenn es keine organisierten gibt? Auch kommunale Haushalte fördern, weil entsprechende nichtkirchliche Verbände fehlen, Kirchengemeinden, religiöse Vereine und kirchliche Veranstaltungen. Das rechnet sich durch bis auf die Pflege- und Gesundheitseinrichtungen (Diakonie, Caritas).

Die "Kleinen Anfragen" geben hier zwei Beispiele dieses Dilemmas, a) die "Seelsorge" und b) der "Religionsunterricht".

a) Da ist, was die Finanzmittel für Seelsorge in Justizvollzugsanstalten betrifft, zunächst die Berechnungsgrundlage interessant, die sich [Achtung!] an der jeweiligen Höhe der Beamtenbesoldung (A 13, Dienstaltersstufe 5) orientiert. Die Evangelischen Kirchen erhielten seit 1995 über 4,5 Millionen Euro und 2014 fast 326.000 Euro (Drs 6/907) und die Katholische Kirche etwas über zwei Millionen und 2014 allein 157.000 Euro (Drs 6/908). Da die Zuwendungen jährlich gestiegen sind, könnte man (wenn man bösartig wäre) von einer Zunahme christlicher Straftäter ausgehen. Ähnlich stellt sich das für die Polizeiseelsorge dar, wo die Evangelischen Kirchen (Drs 6/909) seit 2008 (davor sind die Akten abgelegt) fast 90.000 Euro jährlich und die Katholische Kirche (Drs 6/910 fast 18.000 Euro erhalten.

Ein besonderer Bedarf an "weltlicher Seelsorge" scheint nicht zu bestehen – oder die Betroffenen nehmen normal den Psychologen vom Dienst, wenn dieser vor Ort vorrätig sind.

b) In der Bildungspolitik konnten die Kirchen nach dem Ende der DDR richtig zufassen. 3,6 Prozent der Bevölkerung Sachsens ist katholisch, aber sie haben drei Gymnasien und sieben andere Bekenntnis-Privatschulen. 20,7 Prozent der Bevölkerung Sachsens ist evangelisch. Sie haben eigene neun Gymnasien, 17 Mittelschulen und 25 Grundschulen. Für eine Minderheitenkirche ist das enorm.

Was den Religionsunterricht betrifft, so steht er hoch im staatlichen Kurs. Hier ist Sachsen wie auf keinem anderen Gebiet geschichtsvergessen. So hat es besonderer Finessen bedurft, dass in der Weimarer Republik überhaupt Religionsunterricht angeboten wurde, besonders aber: Es gab das Fach "Lebenskunde".

Sachsen hat nun – wie auf anderen Feldern – das konservative Modell Bayerns im Schulwesen dogmatisch übernommen, auch hinsichtlich Religion. Aber angesichts der hohen Zahl konfessionsfreier Kinder war es auch im Interesse der Kirchen, das Fach "Ethik" als durchgängige Alternative zum Fach "[christliche] Religion" anzubieten – als ob Ethik eine Art Gegenprogramm wäre. Nach Artikel 105 der Sächsischen Verfassung sind Ethik und Religion "ordentliche Lehrfächer". Die Kosten trägt demzufolge der Staat.

Damit nun aber niemand auf die Idee kommt, "Ethik" wäre eine Alternative zu "Religion", geht der Rahmenlehrplan ("Aufgaben und Ziele des Ethikunterrichts") von Klasse 1 bis 12, entgegen wissenschaftlichen Befunden, davon aus, dass Religionsverlust zu Leerstellen im ethischen Wertverhalten von Kindern führt. Arme Atheistenseelen.

Folgerichtig hat der Ethikunterricht "Verlust von Orientierung und Sinnhaftigkeit des Lebens weiter Teile der Jugend abzufangen". Deshalb haben Religionen, vermutlich an erster Stelle die christliche, in diesem Fach eine wichtige Aufgabe bei der "Weckung von Verständnis für verschiedene religiöse Weltdeutungen" – von Humanismus keine Spur, nirgends etwas zum Atheismus …

Zum Ethikunterricht wurden keine "Kleinen Anfragen" gestellt. Die Antworten zu den geldlichen Aufwendungen des Staates für den Religionsunterricht sprechen für sich. Die Aufwendungen bewegten sich 2008–2013 jährlich um die fünf Millionen Euro bei den Evangelischen Kirchen (Drs 6/328) und bei der Katholischen Kirche (Drs 6/331) gab es eine Senkung von 580.000 im Jahre 2008 auf 435.000 im Jahre 2013.

Doch durch die Tarifumstellung Mitte 2014 vergrößerten sich die Aufwendungen im Landeshaushalt beträchtlich. Bei den Evangelischen stieg die Summe um über drei Millionen auf 8,5 Millionen Euro (Drs 6/685), die für die Katholische Kirche auf 700.000 (Drs 6/686).

Was folgt daraus für eine Konfessionsfreienpolitik, angesichts der Tatsache, dass eine Lösung wie in Berlin-Brandenburg derzeit unmöglich und eine Änderung Artikel 7,3 GG, der den Religionsunterricht regelt, nicht absehbar ist? Es bleibt wohl eine Aufwertung des Ethikunterrichts und ein Kampf für einen modernen Rahmenlehrplan.