3. Es gehört zur sächsischen Sondersituation, dass die Kirchen, besonders die Evangelische Landeskirche, durch ihre Bevorrechtung nahezu ein Weltanschauungsmonopol haben, unterstützt von den Medien. Besonders die Regionalpresse ist der große Freund der Kirchen.
Es gibt in Sachsen fast keine Muslime. Juden haben sich nach Ihrer Vertreibung und Ermordung nur wenig wieder angesiedelt. Multikultur hat gar keinen sozialen Untergrund. Es gibt zwar traditionell im Erzgebirge und Vogtland Freikirchen, darunter Pfingstler, aber die stehen im öffentlichen Bewusstsein alle unter dem großen Christenschirm. Wer von ihnen "Staatsknete" erhält, da wäre nachzufragen.
Auf Nachfrage, Kirchensteuerzahler des Jahres 2014 betreffend, resultierend aus der Austrittswelle in dem betreffenden Jahr wegen des automatischen Einzugs der Kirchensteuer auf den Kapitalertrag, teilte die Staatsregierung mit, dazu keine Auskunft geben zu können (Drs 6/1028 bzw. (Drs 6/1029).
Hintergrund der Anfang März 2015 gestellten Frage war sicher die Mitteilung beider Kirchen, trotz der Austritte einen Zugewinn der Kirchensteuereinnahmen zu erwarten, so die "Freie Presse" am 14.11.2014.
Man wird doch mal fragen dürfen, warum die sächsischen Finanzämter zur Bereitstellung einer Logistik mittels Kirchensteuereinzug für eine Minderheitenkirche missbraucht werden und wie viel Geld sie für diese Dienstleistung bekommen und ob dies die Kosten deckt. Eine spezielle Frage wäre, ob sich die staatlichen Finanzämter an der "Rasterfahndung nach Kirchensteuerflüchtigen" beteiligen, also amtlich nach Leuten suchen, um sie zu veranlagen, die ihren Kirchenaustritt nicht mehr nachweisen können, generell, nur als Hilfe für die Brandenburgische Kirche in der schlesischen Oberlausitz oder gar nicht.
Jedenfalls belegen die auf die "Kleinen Anfragen" erhaltenen Antworten, dass auch in Sachsen die Remissionierung gründlich gescheitert ist. Durch nahezu 130.000 Kirchenaustritte seit 1995 ist die Zahl der Evangelischen Kirchenmitglieder auf knapp über 800.000 gesunken. (Drs 6/177. Das entspricht etwa der Zahl der ADAC-Mitglieder in Sachsen.
Die Zahl der Mitglieder der Katholischen Kirche sank von 189.000 im Jahre 1995 auf 150.000 im Jahre 2013 (Drs 6/178).
Wohlgemerkt: Auch hier gilt, dass nach dem Zuwendungsrecht jeder sonstige Verein oder x-beliebige Veranstalter, der öffentliche Mittel erhält, bei mehr Einnahmen als erwartet, die eingesparte Summe zurückzahlen muss, jedenfalls bei Fehlbedarfsfinanzierung. Die Kirchen haben aber formal keinen Fehlbedarf, denn sie bekommen das Geld sowieso, pauschal, auch wenn sie Vermögen und / oder Mehreinnahmen haben. Diese Sonderstellung gegenüber sonstigen Kulturanbietern – mehrfache Bevorteilung durch Privilegierung – ist änderungsbedürftig.
4. Es ist eine sächsische Besonderheit, dass die SPD in der Wählergunst wesentlich schwächer abschneidet als die LINKE. Beide suchen nach Alleinstellungsmerkmalen und Aufmerksamkeit. Was heißt dies für Religionspolitik? Sicher, für keine linke Partei gibt es ein Zurück zu ihrer Kirchenpolitik der 1920er. Gerade die sächsische Sozialdemokratie war in der Weimarer Zeit in Deutschland berühmt (und auch berüchtigt) wegen ihres radikalen Laizismus. Das erwies sich als nicht unbedingt hilfreich und schadete ihr in der Wählergunst. Doch scheint heute umgekehrt niemand zu fragen, ob die schlechten SPD-Wahlergebnisse im Osten, nicht zuletzt in Sachsen, auch irgendwie mit ihrer nahezu hörigen Kirchenpolitik zusammenhängen. Gegenwärtig ist die SPD in der Sächsischen Staatsregierung, also Juniorpartner der CDU, und da heißt es wie immer: mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen.
Umgekehrt bringt diese Rolle die LINKE in Versuchung und Verlegenheit, zumal entsprechende Verbände fehlen, sich auf diesem Gebiet zu profilieren. Religionspolitik ist zwar nicht unbedingt ein Minenfeld, jedenfalls nicht schlimmer als andere Politikbereiche, aber eines voller Fettnäpfe, Empfindlichkeiten und aufgerichteter Tabus. Ob man mit dem Thema Furore machen kann, das will überlegt sein. Die Flut "Kleiner Anfragen" sehe ich als Versuch, zunächst einmal Sachkunde zu erlangen.
Noch eine Anmerkung: Die hiesige Regierung gibt zurzeit einiges Geld aus für das Motto "So geht sächsisch – die Kampagne des Freistaates Sachsen" (die Losung heißt wirklich so). Neue Abschottungs-Pegida und alte Pfarrermentalität sind keine Zeichen der Moderne.
9 Kommentare
Kommentare
Sven Schultz am Permanenter Link
Vielen Dank für diese interessanten und sachkundigen Einsichten! Auch mir drängte sich schon länger der Eindruck auf, dass ein Zusammenhang zwischen sächsischer Religionspolitik und dem Aufkommen von Pegida besteht.
Horst Groschopp am Permanenter Link
Lieber Sven Schultz,
Viele Grüße
Horst Groschopp
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich lese auf der Ethik-Seite http://www.zum.de/Faecher/Eth/SA/START.HTM :
"Religiöse Begriffe sollten mit Einfühlungsvermögen und in toleranter Haltung vermittelt werden."
Gilt das eigentlich auch für den Religionsunterricht?
Z.B. so:
"Atheistische und humanistische Begriffe sollten mit Einfühlungsvermögen und in toleranter Haltung vermittelt werden."
Horst Groschopp am Permanenter Link
Hallo,
HG
Steve K am Permanenter Link
Werter Herr Groschopp,
vielen Dank für die hochinteressante Zusammenstellung der Infos und deren Kommentierung. Eine Kritik ist dennoch angebracht.
Horst Groschopp am Permanenter Link
Danke für den Hinweis, da wird er sich über die Beförderung aber gefreut haben: Jetzt steht das so da und ich muss damit leben, denn ich bin grundsätzlich gegen nachträgliche Korrekturen einmal gedruckter Texte in ein
HG
Kurt am Permanenter Link
Lieber Herr Groschopp,
Vielen Dank für die Details aus meinem Bundesland.
Ihr Klagen wegen mangelnder funktionierender humanistischer Organisationen hier ist begründet. Ebenso lässt sich begründen, warum dieser Zustand anhält. Auch wenn es auf hpd.de nicht gern gelesen werden wird, aber die Linken sind das Problem. Stichwort: Sachsen als Kernland der friedlichen Revolution 1989.
Auch ohne ein freischwebender radikaler Laizist zu sein, will ich und, wie man sieht, viele andere humanistische Sachsen ebenfalls nicht als Stütze der Linken fungieren. Als Vorfeldorganisation einer Partei, dieser Partei, zu dienen ist keine angenehme Vorstellung. Das Linkssein ist nach wie vor nicht wirklich en vogue in Sachsen.
Andererseits ist auch zu beobachten, daß die Linken sich auf jeden humanistischen Verein stürzen, der irgendwo sein Haupt zaghaft erhebt. Es dauert nie lange und der Verein ist von Linken dominiert. Die nichtlinken Humanisten, die meistens die Vereinsarbeit geleistet haben, wenden sich ab und in Folge dümpelt der Verein nur noch vor sich hin, wenn er nicht gleich ganz dichtmacht. Ein schönes Beispiel ist der Dresdner Ableger der Giordano-Bruno-Stiftung.
Ich vermute Methode.
PS: Neben der Antwort auf die Frage zur Finanzierung des Leipziger Kirchentages wäre auch die zur Finanzierung der neuen Probsteikirche interessant. Angeblich soll es nach dem Frauenkirchenmodell in Dresden gelaufen sein - jeweils zu einem Drittel Spenden, Kirche, Staat. Wer's glaubt...
Horst Groschopp am Permanenter Link
Lieber Herr Kurt,
Viele Grüße
Horst Groschopp
Kurt am Permanenter Link
Danke für die Antwort. Hoffen wir mal das Beste.