Seit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens durch die Kanzlei Westpfahl Silker Wastl ist der Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks (BR) verstärkt im Fokus der Öffentlichkeit. Das hängt vor allem mit dem Vorsitzenden des Rundfunkrats Dr. Lorenz Wolf zusammen. Ihm wird im Missbrauchsgutachten vorgeworfen, Missbrauchsfälle im Erzbistum vertuscht zu haben. Der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) nimmt die öffentliche Diskussion zum Anlass und fordert eine Reform des zentralen Entscheidungs- und Kontrollgremiums im BR und die überfällige Anpassung an gesellschaftliche Realitäten – angefangen beim Vorstand des Rundfunkrats und bei den Ausschüssen.
Der Vorstand des Rundfunkrats – 100 % christlich
Der Vorstand des Rundfunkrats besteht aus dem ersten Vorsitzenden, Dr. Lorenz Wolf, der von der katholischen Kirche entsandt wird. Wolf ist Leiter des Katholischen Büros Bayern. Als solcher vertritt er die Freisinger Bischofskonferenz und die sieben bayerischen Diözesen beim Landtag und bei der Staatsregierung. Man kann ihn als den Cheflobbyisten der Katholischen Kirche in Bayern bezeichnen. Und Wolf, wie wir spätestens seit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens wissen, ist auch der oberste Kirchenrichter im Erzbistum München und Freising. Inzwischen lässt Wolf alle seine öffentlichen Ämter ruhen.
Stellvertretender Vorsitzender ist Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert. Er sitzt, so liest man auf der Internetseite des BR, für die Bayerischen Hochschulen in dem Gremium. Man erfährt aber nicht, dass er ein katholischer Theologe ist und dass er bis 2018 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg der Lehrstuhlinhaber für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts am Institut für katholische Theologie war.
Schriftführerin im Vorstand ist Elke Beck-Flachsenberg, sie sitzt als Vertreterin der evangelischen kirchlichen Frauenorganisationen im Rundfunkrat.
"Es kann doch nicht sein, dass der Vorstand des Rundfunkrats ausschließlich aus Vertreter*innen der Kirchen und ihrer Organisationen beziehungsweise den Kirchen eng verbundenen Personen besteht", sagt Michael Wladarsch, Vorsitzender des bfg München. Wladarsch weiter: "Neben dem sofortigen Rücktritt von Lorenz Wolf, der im Münchner Missbrauchsgutachten schwer belastet wird, fordern wir, dass in der konstituierenden Sitzung des Rundfunkrats im Mai 2022 an die Spitze des Rundfunkrats keine Vertreter*innen mehr aus Kirche und kirchlichen Organisationen gewählt werden und sich der Vorstand in Zukunft weltanschaulich neutral zusammensetzt."
Von Staatsferne kann im Rundfunkrat keine Rede sein
"Der Rundfunkrat zählt insgesamt 50 Mitglieder, die von den in Art. 6 Absatz 3 Bayerisches Rundfunkgesetz festgelegten politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen für jeweils fünf Jahre dorthin entsandt werden", heißt es im Internetauftritt des BR. Klingt erst mal gut. Aber decken diese Gruppen wirklich das gesamte gesellschaftliche Spektrum ab?
Vom Bayerischen Landtag werden zwölf Abgeordnete (fünf von der CSU), von der Bayerischen Staatsregierung ein Vertreter entsandt – also 13 Berufspolitiker*innen von 50 Mitgliedern im Rundfunkrat. Das allein zeigt den großen Einfluss der Politik auf den Rundfunkrat. Aber auch die drei entsandten Vertreter von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag sind aktive Politiker und alle drei in der CSU.
Daneben gibt es im Rundfunkrat weitere zahlreiche Vertreter*innen, die zwar von bestimmten Organisationen oder Gruppen entsandt wurden, die aber auch in der Kommunalpolitik oder als Parteifunktionäre aktiv sind.
"Von Staats- und Politikferne, die das Bundesverfassungsgericht 2014 in einem Urteil gefordert hat, kann hier wirklich nicht die Rede sein. Die 2017 in Kraft getretene Neufassung des Bayerischen Rundfunkgesetzes und die Aufstockung der Anzahl der Mitglieder im Rundfunkrat von 47 auf 50 hat hier rein gar nichts geändert", moniert Michael Wladarsch. "Die Freien Wähler haben 2015 gefordert – damals noch in der Opposition – die Zahl der von den Landtagsfraktionen entsandten Mitglieder von zwölf auf fünf zu senken. Die Staatsregierung sollte keinen Vertreter mehr entsenden dürfen. Wir fordern die jetzige Regierungspartei auf, das auch umzusetzen."
Starke Stellung kirchlicher beziehungsweise kirchennaher Mitglieder und der CSU in den Ausschüssen
Kirchenrat Dieter Breit, entsandt von der evangelischen Kirche, ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Grundsatzfragen und Medienpolitik sowie Vorsitzender der wichtigen "Sachkommission Drei-Stufen-Test", die "neue und wesentlich veränderte Telemedienangebote einem besonderen Genehmigungsverfahren, dem sogenannten Drei-Stufen-Test" (BR-Internetauftritt) unterzieht und die Angebote anschließend prüft und genehmigt. Breit ist der Politikbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und damit zuständig für die Beziehungen der Kirchenleitung zur Bayerischen Staatsregierung und zum Bayerischen Landtag – wie Dr. Lorenz Wolf, sein katholisches Pendant, ein Lobbyist in Sachen evangelischer Belange.
Vorsitzender des Programmausschusses ist Matthias Fack, entsandt vom Bayerischen Jugendring, dessen Präsident er seit 2011 ist. Davor war er Landesvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und geschäftsführender Leiter der Landesstelle für Katholische Jugendarbeit in Bayern.
Und stellvertretende Vertreterin im Programmbeirat der ARD ist die bayerische Rundfunkrätin Susanne Zehetbauer, entsandt von den katholischen Frauenorganisationen.
Vorsitzender des Ausschusses für Grundsatzfragen und Medienpolitik im Rundfunkrat ist der CSU-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag Thomas Kreuzer. Stellvertretender Vorsitzender des Programmausschusses ist Christian Knauer. Der ehemalige CSU-Landtagsabgeordnete und CSU-Landrat wird vom Bund der Vertriebenen entsandt.
"Wir fordern, dass die starke Stellung von kirchlichen und kirchennahen Mitgliedern sowie der CSU in den insgesamt nur drei Ausschüssen und der Sachkommission Drei-Stufen-Test ein Ende hat. Dass sich an dieser Dominanz seit Jahren niemand stört, irritiert", stellt der Vorsitzende des bfg München fest.
Fehlende Informationen über die Mitglieder des Rundfunkrats
Wer im Rundfunkrat sitzt, wird nicht immer deutlich. So wird Sandra Schumann von den "Familienverbänden" entsandt. Mehr ist auf der Internetpräsenz des BR zu Sandra Schumann nicht zu entdecken. "Was bitte sind 'Familienverbände'? Kann man die Organisationen, die Frau Schumann entsendet haben, nicht auflisten – inklusive eines kurzen Lebenslaufs?", möchte Michael Wladarsch wissen.
"Mit einem Lebenslauf auf der Internetseite des BR würden wir erfahren, dass sie Vorständin des Diakonischen Werkes Bayern und erste Vorsitzende der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen in Bayern ist. Es kann doch nicht sein, dass man über die 50 Mitglieder des Rundfunkbeirats kaum etwas erfährt und selbst im Internet recherchieren muss."
Mehr Vielfalt im Rundfunkrat ist nötig und wichtig für einen demokratischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Am 8. Dezember 2016 verabschiedete der bayerische Landtag beziehungsweise die damalige CSU-Mehrheit die Novelle des Bayerischen Rundfunkgesetzes. Wichtigste Änderung war, dass der Rundfunkrat um drei Sitze von 47 auf 50 vergrößert wurde. Jeweils einen Sitz bekamen dabei Migrant*innen und Menschen mit Behinderung.
"Begrüßenswert, aber bei weitem nicht ausreichend, wenn man die gesellschaftlichen Realitäten betrachtet. Es fehlen zum Beispiel Bürger- und Menschenrechtsgruppen, nicht-kirchliche Frauenorganisationen, LGBTQIA+-Vertreter*innen, Senioren*innenverbände oder Muslim*innen", kritisiert Michael Wladarsch.
Ebenso wenig stellen säkulare und konfessionsfreie Verbände einen Rundfunkrat. Angesichts der Tatsache, dass in Bayern nur noch 64 Prozent – zumeist "Taufschein-Christen" – evangelisch oder katholisch sind, wäre das ein längst überfälliger Schritt, wie ihn Radio Bremen schon vor Jahren vollzogen hat. Dort sitzt im Gremium ein Vertreter der säkularen Humanistischen Union, zudem ein Vertreter des Lesben- und Schwulenverbands.
"Warum in Bayern nicht die Zahl der Vertreter*innen von Kirchen und kirchlichen Organisation reduzieren, warum nicht beispielsweise die zwei Vertreterinnen der kirchlichen Frauenorganisationen durch Vertreterinnen nicht-konfessioneller Frauenverbände ersetzen? Wünschenswert wäre zudem eine fünfzigprozentige Frauenquote, aktuell beträgt der Frauenanteil nur 34 Prozent", stellt Wladarsch fest.
Wladarsch weiter: "Der Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt bei null Prozent. Warum nicht mindestens die Hälfte der zwölf Landtagsabgeordneten ersetzen und sechs nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger*innen jeder Altersgruppe in das Gremium wählen? Denn für die wird das Programm schließlich gemacht. Mehr gesellschaftliche Vielfalt und eine echte Teilhabe von Zivilgesellschaft und Bürger*innen im Rundfunkrat könnten einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den BR bunter zu machen und die Kontroll- und Beratungsfunktion des Gremiums zu stärken. Das würde zudem die gesellschaftliche Relevanz und Wahrnehmung dieses Gremiums erhöhen", zeigt sich der erste Vorsitzende des bfg München überzeugt.