Ein Kommentar von Horst Groschopp

Sachsen, das kirchenhörige Musterland

ZWICKAU. (hpd) Nach dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird sich die religiös-weltanschauliche Landschaft in Deutschland weiter pluralisieren – wahrscheinlich an Sachsen vorbei. Das Feld der Religionspolitik ist dort konservativ bestellt. Man wird überhaupt sehen, welche Kräfte in welchen Parteien hier Positionen entwickeln. Die LINKE in Sachsen robbt sich als erste Fraktion in einem deutschen Landesparlament an diesen angeliebten Sektor heran. Ihr Fraktionschef André Schollbach hat zwischen Anfang November 2014 und Mitte März 2015 immerhin 23 "Kleine Anfragen" gestellt, vorwiegend zur Kirchenfinanzierung.

Das Thema Kirchen und Kirchenfinanzen ist innerhalb der Religionspolitik ein ganz spezielles Gebiet. Gewöhnlich werden in den Landesparlamenten die Ausgaben für Kirchliches durchgewunken. Es geht um "Kultur" und in Sachsen um "Wiedergutmachung". Gründe für eine eigene Religionspolitik der Linken liegen – und Linke meint hier mehr die LINKE – vor allem in der sächsischen Sondersituation.

1. Kein anderes Bundesland besitzt eine derart kirchenfreundliche Verfassung wie Sachsen (Artikel 109–112). Artikel 109,4 anerkennt zwar die Gültigkeit der Verfassungsartikel der Weimarer Reichsverfassung (WRV-Artikel 136–139 und 141). Das ist aber eher ein formaler Verweis auf das Grundgesetz (GG) und seinen Artikel 140, faktisch allerdings nur ein Appendix, denn Artikel 112 anerkennt ausdrücklich die "Staatsverpflichtungen" gegenüber den Religionsgemeinschaften. Die Sächsische Verfassung stellt sich also direkt gegen die "Ablösung der Staatsleistungen" wie sie in Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 138 WRV, Satz 1, gefordert wird.

Wer, wie es Schollbach in den Haushaltsberatungen getan hat, die "Ablösung der Staatsleistungen" einfordert, muss auf die – im GG vorgesehenen, aber nicht erwartbaren – "Grundsätze" des Bundes dringen und zugleich die Sächsische Verfassung ändern, um ein "Landesgesetz" überhaupt zu ermöglichen. Will die LINKE hier den Herkules spielen und sich im Grundsätzlichen verkämpfen?

Es wird wohl kleinteiliger verlaufen. Die Antworten der Sächsischen Regierung auf Fragen nach den Staatsleistungen geben hier Hinweise, denn sie müsste eigentlich begründen, warum die Kirchen immer mehr Geld erhalten, obwohl, worauf noch eingegangen wird, die Zahl der Kirchenmitglieder beständig sinkt. Seit dem ersten Landeshaushalt 1993 sind die Ausgaben für beide Kirchen jährlich gestiegen. So erhalten die Evangelischen Kirchen (Drs 6/478) derzeit 21,7 Millionen und die Katholische Kirche bekommt (Drs 6/479) fast 870.000 Euro. Im Jahr 2014 hat eine erneute Steigerung stattgefunden, bei den Katholiken (Drs 6/638) auf 915.000 und den Evangelischen (Drs 6/639) auf fast 23 Millionen.

Wohlgemerkt: Das sind allgemeine Zuwendungen, die bis auf den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 [sic!] zurückgehen. Auch Konfessionsfreie zahlen Pfarrergehälter. Das sind keine zweckgebundenen Leistungen, etwa für Kirchenbauten. Diese kommen noch hinzu. Darin ebenfalls nicht enthalten ist – z.B. – die Förderung des "Deutschen Katholikentages" 2016 in Leipzig. Die Antwort der Staatsregierung zeigt – in meiner Übersetzung – die Kirche wollte drei Millionen, also gab man ihr diese Summe (Drs 6/327).

Eine Auskunft, wie hoch der Haushalt dieses Kirchentages insgesamt ist, kann die Staatsregierung nicht geben. Das führt zum Kern, zum nicht hinterfragbaren Privileg der Kirchen: Jeder sonstige öffentlich geförderte freie Träger hat seine "Eigenmittel" zu benennen, um den öffentlichen Anteil festzustellen. Den Kirchen scheint dies erlassen, denn sonst wüsste die Staatsregierung ihren Anteil. Das Kirchentheater ist eben kein Leipziger Gewandhaus.

Auch in anderen Bundesländern besitzen die Kirchen Privilegien. Aber in Sachsen haben die "Schwarzen" während der Alleinherrschaft der CDU unter Kurt Biedenkopf nach dem Ende der DDR und der Bezirke Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt kräftig Pflöcke eingeschlagen für die Kirchen, Verträge gemacht, Gesetze und Haushalte beschlossen. Nirgendwo geht es den Kirchen so gut wie in Sachsen – trotz kirchlicher Minderheit in der Bevölkerung.

Das zeigt sich besonders im Einfluss der Kirchen auf den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und die Fernsehanstalten. Die Hörfunksendezeit der Katholischen Kirche (Drs 6/1171) bei den Öffentlichen (hier der MDR) betrug jährlich über dreißig Stunden und die der Evangelischen (Drs 6/1169 über siebzig Stunden. Das hat Entsprechungen in der Fernsehsendezeit: fast achtzig Minuten für die Katholiken (Drs 6/1172 und 162 Minuten für die Protestanten (Drs 6/1170).

Wohlgemerkt: Hier geht es um Verkündigungssendungen. Die Zeit, in denen Kirchliches berichtet wird, ist selbstredend größer. Ob für das Erstellen der Kirchensendungen noch Honorare gezahlt werden, wie in einigen anderen Bundesländern, wäre spannend zu wissen.

Jedenfalls wird die kirchliche Doppelvertretung (ein Sachse plus ein Thüringer) der Evangelischen Kirchen in Aufsichts- und Programmorganen öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten (Drs 6/1199) und die der Katholischen Kirche (noch mal zwei) (Drs 6/1200) schon für Kontinuität sorgen.

Für eine politische Strategie der Konfessionsfreien stellt sich die Frage, wer sie denn vertreten soll, da Politiker in diesen Gremien, auch wenn sie kirchenfreundlich handeln, per Definition als "säkular" gelten. Man könnte auch Sendezeit für ein "Humanistisches Wort" fordern, wie es ähnlich der Humanistische Verband in Bayern und Niedersachsen hat – doch setzt dies eine "Weltanschauungsgemeinschaft" voraus; dazu jetzt.