Filmkritik

"Wer gefährlich ist, das sind die normalen Menschen."

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MAINZ. (hpd) Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzkys Dokumentarfilm "Das radikal Böse" feiert heute im Spätprogramm des ZDF seine deutsche Free-TV-Premiere.

Zwei Millionen Menschen ließen bei den Massenexekutionen des nationalsozialistischen Terrorregimes im Osten Europas zwischen 1940 und 1945 ihr Leben. Spezialeinheiten der Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes und der Waffen-SS, sogenannte Einsatzgruppen, erschossen in etlichen Ortschaften zu hunderten oder gar tausenden die Teile der Bevölkerung, die sie als "Staatsfeinde" oder "minderwertig" betrachteten, allen voran Juden, Roma und Kommunisten. Die Opfer wurden im Anschluss meist in Gruben, die sie zuvor selbst ausheben mussten, verscharrt. Doch was bringt einen Menschen dazu, derart grausam zu morden? Was ging in Offizieren, häufig selbst Ehemänner und Familienväter, vor, die sogar nicht davor zurückschreckten, Kleinkinder und Säuglinge zu erschießen?

Stefan Ruzowitzky, der für sein Drama "Die Fälscher" 2008 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film geehrt wurde, geht dieser Frage in seinem Dokumentarfilm "Das radikal Böse" auf den Grund. Neben Interviews mit Zeitzeugen, Psychiatern und Historikern beeindrucken vor allem die Aufnahmen junger Laiendarsteller, die den Alltag der Soldaten nachstellen. Im Voice-over erklingen dazu die Stimmen bekannter deutscher Schauspieler, unter anderem Devid Striesow und Benno Fürmann, die aus originalen Tagebüchern und Briefen jener Soldaten vorlesen. Dabei arbeitet Ruzowitzky gekonnt historische Aufnahmen aus jener Zeit ein, neben Auszügen der Protokolle, in denen die Exekutionen penibel festgehalten wurden. Sein Material arrangiert er dabei häufig in Split Screens zu den minimalistischen Klängen des DJs Patrick Pulsinger.

Tatsächlich hatten viele Soldaten Skrupel, betäubten diese aber mit Alkohol, sahen sich durch ihre menschenverachtende Ideologie gerechtfertigt oder die mögliche Häme ihrer Kameraden gezwungen. Mittels der Erläuterung berühmter Versuche wie dem Stanford-Prison- oder dem Milgram-Experiment führt Ruzowitzky in gruppendynamische Effekte ein und versucht, sich der Psyche der Täter anzunähern. Berechtigterweise belässt er es jedoch nicht allein bei Gruppenzwang als Rechtfertigung ihrer Verbrechen. Gerade die Interviewpassagen mit Experten machen deutlich, dass konkretes Handeln letztlich in der Verantwortung des Einzelnen liegt. Ruzowitzky gelangt so zu einer universellen und gerade angesichts der aktuellen Angriffe auf Flüchtlingsheime und der Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa auch hochaktuellen Mahnung:

Rassismus kann sich, einmal etabliert und vorangetrieben, stets aufs Neue zu Gewalt an Minderheiten steigern und die Gefahr von Völkermorden ist eine reale Gefahr, die es immer wieder zu bekämpfen gilt.

Ein sehr wichtiger und sehenswerter Film, der von der Filmbewertungsstelle auch mit dem Prädikat "besonders wertvoll" versehen wurde, und nun erstmals im TV zu sehen ist.

"Das radikal Böse", Regie: Stefan Ruzowitzky, heute um 23:15 Uhr im ZDF.