Vom Anfang und Ende aller Dinge

Über die allgegenwärtig stattfindenden Mutationen der Organismen findet der Autor schließlich sehr eingängig zum großen Konzept der Evolution allen Lebens und überschreibt das Kapitel in seiner witzelnden Sprache mit "Nobody’s perfect". Und richtig köstlich erst ist der Witz in dem Bonmot, das Voß bei der amerikanischen Schriftstellerin Sylvia Plath gefunden hat und dem Kapitel voranstellt: "Sie sind das Ergebnis von vier Milliarden Jahren evolutionärem Erfolg. Benehmen Sie sich entsprechend!"

Natürlich werden Darwin und Wallace, die großen Entdecker des Evolutionsprinzips, in der Folge erwähnt. Vor allem aber die zahlreichen untrüglichen Belege aus der Naturforschung helfen dem Leser letzte Zweifel an der großen Theorie auszuräumen und lassen absolut keinen Platz mehr für die letzten Reste von Schöpfungsglauben und Kreationismus. Klug zeigt der Autor auf, dass der Evolution jegliche Teleologie, also alle Gerichtetheit auf ein vorgegebenes Planziel hin, abgeht. Selbst Naturforscher saßen diesem Trugschluss in der Vergangenheit immer wieder auf, weiß Voß: "Auch die Wissenschaft hat in ihrer langen Geschichte eine Evolution durchgemacht."

Der bekannte Evolutionsbiologe Ernst Mayr (1904–2005) hat allerdings zu seinen Lebzeiten wiederholt darauf hingewiesen, dass es anders als im Bereich des Anorganischen in der belebten Welt sehr wohl zielgerichtete Abläufe gibt, etwa die Entwicklungsprozesse in einer Zelle, die nach den kodierten Informationen eines genetischen Programms ablaufen. Solche programmgesteuerten Abläufe lassen sich aus Sicht der Biologie nicht auf physikalische oder chemische Grundgesetze reduzieren, wie viele Physiker und Chemiker behaupten. Immerhin resultiert aus diesem Gegensatz der Anspruch der modernen Biologie auf Ablösung der bis ins 20. Jahrhundert hinein gültigen Deutungshoheit der Physik und eine Sonderstellung der Lebenswissenschaften unter den Fakultäten. Heutige Biologen fordern gar die Anerkennung ihres Fachs als Leitwissenschaft des 21. Jahrhunderts. Auf diesen Widerspruch hätte der Verfasser durchaus noch eingehen können.

Am Ende des Buchs greift Voß beherzt gesellschaftliche Themen wie Fundamentalismus und Homosexualität, aber auch Philosophisches wie Zufall und Wahrscheinlichkeit oder Religion und Todesfurcht auf, stets jedoch aus naturalistischem Blickwinkel, und macht Vorschläge, wie man unter Berücksichtigung wissenschaftlich begründeter Einsichten nach Antworten suchen sollte.

Mit einer Philosophie, die die Ergebnisse der Wissenschaft ignoriert, geht der Autor sehr süffig ins Gericht, als Beispiel: "Der Existenzphilosoph von heute, promoviert oder nicht, kann es sich nicht mehr leisten, mit wehendem Mantel an einer sturmgeschüttelten Klippe zu stehen und mit zerknirschtem Blick und erhobener Faust das Wesen des Seins an sich ergründen zu wollen", schreibt Voß, "er muss sich auf den Stand der naturwissenschaftlichen Forschung bringen, wenn er mitreden will."

"Schöpfer ade" ist das Kapitel überschrieben, in dem sich der Naturwissenschaftler Voß eine bewundernswerte Auseinandersetzung mit dem Schöpfungsglauben leistet, wie er vor allem bei störrischen "Kreationisten" und den Anhängern des "Intelligent Design" noch anzutreffen ist. Verständnisvoll zwar, aber gnadenlos logisch führt der Autor alle Gläubigkeit ins Absurde. Knallhart sein Urteil: "Religion entspringt aus dem Eigennutz und ist nur ein organisierter Aberglaube, eine Auswucherung aus der evolutionär geformten Psyche des Menschen". Und zum Schluss folgt noch einmal das Lob auf die Wissenschaft: Sie "lebt von ihrem respektvoll vorsichtigen Umgang mit den Dingen, die sie noch nicht weiß. Und hier ehrt sie sich in viel größerem Maße als es einer Religion jemals möglich sein wird."

Burger Voß ist hier eine kluge und leichtfüßig dargebrachte Eloge gelungen, aus der ganz sicher auch der wissenschaftlich Gebildete noch Honig saugen wird und bei aller Gelehrigkeit das Schmunzeln nicht verlernt. Schade, dass der studierende Leser nicht mit Hilfe eines Registers auf Begriffe und Personen im Text zurückgreifen kann. Ein solches Register sollte der Verlag in die folgenden Auflagen, die dem Autor sehr zu wünschen sind, unbedingt mit aufnehmen.


Burger Voß, Vom Anfang und Ende aller Dinge. Eine Entdeckungsreise durch die Geschichte der Wissenschaften, Marburg 2015 (Tectum-Verlag), 320 S., ISBN 978–3–8288–3455–2, 19,95 Euro