Bericht vom Humanistischen Forum Köln

Das Recht muss eine religionsfreie Zone sein

Religiöse Dogmen und ihr Ausfluss in real existierende Institutionen und Gebräuche sind dennoch rechtlich überaus relevant. Denn das liegt daran, dass die Amtskirchen dafür gesorgt haben, dass das Rechtswesen von Religionsvorrechten durchwuchert ist – von der Verfassung über das Strafrecht, Öffentliche Recht, Zivilrecht, Vertragsrecht, Verwaltungsrecht bis hin zum Steuerrecht.

In Anlehnung an ein bekanntes Motto der humanistischen Szene stellte Dr. Neumann fest: "Recht ist religionsfreie Zone!". Da aber, wie beispielhaft beschrieben, die bundesrepublikanische Wirklichkeit sich anders darstellt, gilt es, diese Maxime als Auftrag zu verstehen: Recht muss vor Ort zu eine religionsfreien Zone erst noch gemacht werden.

"Christentum ist gleicher" gilt nicht mehr

Die vom IBKA vor Jahren aufgestellte Faustformel "Alle Religionen und Weltanschauungen sind gleich, aber das Christentum ist gleicher" gilt nicht mehr. Sie ist in negativer Hinsicht überholt. Denn jetzt ist auch der Islam gleicher. Das Bundesverfassungsgericht erteilte 2015 mit dem Kopftuch-Urteil der alleinigen Bevorrechtung der christlichen Religion im Klassenzimmer eine Absage.

Letztlich ist der Urteilsspruch als eine Folge verfehlter Religionsrechtspolitik der Gesetzgeber bei Bund und Ländern zu werten. Denn diese halten an althergebrachten christlichen Religionsvorrechten zu Lasten der Allgemeinheit fest. Die Grundlage für eine vollständige Trennung von Kirche und Staat als Voraussetzung für einen offenen und diskriminierungsfreien Umgang mit der wachsenden Pluralität unseres Gemeinwesens ist weiterhin nicht gegeben.

Das Tragen eines Kopftuches, so die Richter, dürfe erst untersagt werden, wenn der "Schulfrieden" hierdurch gestört würde. Doch was konstituiert eigentlich diesen "Schulfrieden" und wer würde ihn "stören" im Falle von Protesten von Eltern, Kollegen oder Schülern? Wer wäre hier "Opfer" und wer "Täter"? Und welches Ausmaß müssten etwaige Proteste annehmen, um als Friedensstörung qualifiziert zu werden?

Fundierte wissenschaftliche Gutachten lagen dem Gericht weder zu den Maßstäben der Friedensstörung noch zur politischen Rolle des Kopftuches vor. Kenntnisreiche Islamkritikerinnen wie Ayan Hirsi Ali, Mina Ahadi und Necla Kelek raufen sich vermutlich die nicht von einem Kopftuch bedeckten Haare.

Die Referenten wiesen auf die sehr lesenswerten Entscheidungen der Vorinstanzen hin. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und das Bundesarbeitsgericht hatten eigentlich schon Belege für eine positive Entwicklung der Rechtsprechung zur Auflösung des Konfliktes zwischen Menschen- und Religionsvorrechten zugunsten der Menschenrechte gefunden. Die religiöse Vielfalt in der Gesellschaft habe zu einem vermehrten Potenzial von Konflikten auch in der Schule geführt. In dieser Lage sei der Schulfrieden schon durch die berechtigte Sorge der Eltern vor einer ungewollten religiösen Beeinflussung ihrer Kinder gefährdet. Dazu könne das religiös bedeutungsvolle Erscheinungsbild des pädagogischen Personals Anlass geben.

Dr. Neumann: "Die Entscheidung, wann der Schulfrieden gestört wird, wird in die Hände der am System Schule beteiligten Akteure gelegt. Können wir in Zukunft also mit mehr Streit zwischen Schulleitern und Eltern, oder Eltern und Lehrern oder auch der Lehrer untereinander rechnen? Damit haben wir eine ähnlich absurde Situation und eine Umkehrung des Opfer-Täter-Verhältnisses wie bei der Regelung zum Blasphemieparagrafen. Fordert unsere Rechtspolitik letztlich also auch zum Faustrecht an den Schulen in unserem Land auf, da für eine Lösung erst der öffentliche Frieden durch Schüler und Eltern gestört sein oder damit gedroht werden muss?"

Was zuversichtlich stimmt: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vertritt offenbar eine andere Rechtsauffassung als das höchste deutsche Gericht. Nur die besondere Fallkonstellation verhinderte den Fortgang des Prozesses in Straßburg. Und auch die Entscheidung selbst war in Karlsruhe nicht unumstritten. Ein neuer Kopftuch-Fall ist nur eine Frage der Zeit. Außerdem wurden in den letzten Jahren wichtige Grundsatzentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts erstritten. Muslimische Mädchen müssen am gemeinsamen Schwimmunterricht teilnehmen, die Pflicht zur Teilnahme am Sexualkundeunterricht wurde bestätigt, und Kinder der Zeugen Jehovas müssen im Unterricht den Film "Krabat" mitgucken, in dem es um schwarze Magie geht.