KÖLN. (hpd) Zum Thema "Menschenrechte und Religionsrechte auf Kollisionskurs? Vom Blasphemieparagrafen bis zum Kopftuchurteil" fand das Humanistische Forum Köln (HFK) im Mai 2015 statt. Das Forum hatte Dr. Jacqueline Neumann und Eberhard Reinecke aus einer Kölner Rechtsanwaltskanzlei eingeladen, um aktuelle Entwicklungen der Rechtspraxis zu diskutieren.
Was zählt in der Bundesrepublik mehr: Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Freiheiten der Meinungsäußerung, Kunst und Presse oder hingegen die aus einer Religion abgeleiteten Rechte?
Nach Ansicht vieler Teilnehmer war es nicht nur ein informativer, sondern auch unterhaltsamer Diskussionsabend. Hierfür sorgten zum einen die Referenten Rechtsanwältin Dr. Neumann mit einem kenntnisreichen Überblicksvortrag und Rechtsanwalt Reinecke mit einer bunten Palette und teilweise skurrilen Beispielen aus der Rechtspraxis der Religionsrechte in Deutschland. Zum anderen waren rund 50 Mitglieder und Gäste der Veranstalter gekommen, die teilweise von langjährigen Übergriffen religiöser Normen und Praktiken in ihr berufliches oder privates Leben zu berichten wussten.
Das Humanistische Forum Köln (HFK) ist ein offener, säkular-humanistischer Gesprächskreis verschiedener Gruppierungen (gbs Köln, ehk, IBKA, HVD, Skeptiker), zu welchem selbstredend interessierte Gäste gern gesehen werden. Dort kann ebenso selbstverständlich auch jeder zu Wort kommen.
Diesmal hatte sich – wie sich später herausstellte – sogar ein Vertreter der koptischen Christen (Pax Europa/Kögida) eingefunden. Wieder einmal zeigte es sich, wie wichtig es ist, differenziert zu argumentieren und genau zuzuhören. Es mag zunächst einnehmend sein, wenn eine Person ägyptischer Abstammung aus seiner persönlich erlebten Sicht die Problematik "des Islam" thematisiert und Aufmerksamkeit bekommt, gar (zwischenzeitlich) Applaus erntet. Aber Pauschalargumentation und Verharmlosung christlicher Problematiken ließen alsbald aufhorchen. Das Verteilen "seiner" Flugblätter 'klärte' den Rest. Die Veranstalter distanzierten sich deutlich davon und wiesen erneut auf die humanistische Position "Gegen Islamismus UND Fremdenfeindlichkeit" hin.
Einig waren sich die Teilnehmer darin, wie sehr alte Fronten ins Wanken gekommen sind. In wenigen Jahren wird die Mehrheit der Bevölkerung konfessionsfrei sein. Was jedoch kein Garant dafür ist, dass die etablierten Religionen nicht weiterhin in die Lebenswirklichkeit der Konfessionsfreien in Kitas, Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen eingreifen, auf die allgemeinen (und eben nicht nur Kirchen-) Steuergelder zugreifen und auf mannigfaltige Art die Medienlandschaft beeinflussen.
Die Gottesbezüge in Grundgesetz und Landesverfassungen sind rechtspolitisch seltsam in einem modernen Staat, der sich zumindest nach außen hin säkular und aufgeklärt geben will. Denn der Nachweis des zentralen Gegenstandes der Religion – des Gottes – ist keiner Religion bislang gelungen. Juristisch spielt der Gottesbezug bei der Verfassungsauslegung heute keine Rolle. Auf politischer Ebene und bei manchen Gerichten unterer Instanzen sorgt das jedoch immer für Irrungen. Dabei kann die Religion nicht grundsätzlich strafverschärfend oder strafmildernd gelten.
Rechtsanwalt Reinecke: "Religionsfreiheit ist eine zivilisatorische Leistung und nicht in Frage zu stellen. Was und an wen jemand in seinem Kämmerlein glaubt, ist jedem selbst überlassen. Wenn religiöse Bekenntnisse jedoch dergestalt nach außen getragen werden, dass sie über die Grund- und Menschenrechte der Mitmenschen gestellt würden, muss eine Gewichtung mit den dadurch betroffenen Rechten stattfinden."
Menschenrechte universal gültig
Menschenrechte sind gemäß eines Abkommens der Vereinten Nationen universal gültig und überprüfbar. Hingegen ist in Religionsfragen der Glaube des Einen immer der Aberglaube des Anderen.
Nicht nur in Deutschland sind Religionsrechte von den Privilegien der jeweiligen Mehrheitsreligion geprägt. Insofern ist auch auf diesem Gebiet Recht geronnene Macht, und verändert sich unter den jeweiligen Machtverhältnissen. Was das Rechtsgut eines Religionsbekenntnisses im Einzelnen sein soll, ist und bleibt unklar. Kein deutsches Gericht ist in der Lage, zwischen unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen und daraus abgeleiteten Gebräuchen und Einrichtungen zu unterscheiden, die sämtlich auf übernatürlichen oder jenseitigen Ansichten beruhen, und deren Wahrheitsgehalt jeglicher empirischen Evidenz entbehrt.
Ihren gesellschaftlichen und rechtspolitischen Anspruch erheben die Religionsgemeinschaften aus ihrem mutmaßlich besonderen Zugang zum mutmaßlich Übernatürlichen. Gläubige gehen in vielen Fällen davon aus, dass sie mit jenseitsgefälligem Bitten oder Verhalten individuelle Eingriffe des Übernatürlichen in die natürliche Weltordnung veranlassen können, und sie von diesen Eingriffen dann profitieren können. Ironisch stellten die Referenten fest: Gerichtsrelevante Sachverhalte sind aus den religiös propagierten übernatürlichen Eingriffen in das Weltgeschehen bislang in keinem Fall entstanden. Wenn die hiesigen religiösen Bekenntnisse wahr wären, wären von diesen übernatürlichen Eingriffen nicht nur das Strafrecht, sondern alle Rechtsgebiete betroffen.
8 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schöner Beitrag, Burkhard!
Frank Herhausen am Permanenter Link
Erst wenn es Deutschland gelingt, daß sich die Thora, der Koran und die Bibel bedingungslos dem Grundgesetz unterwerfen, erst dann kann ich von Freiheit in Deutschland reden.
Dr. Nathan Wars... am Permanenter Link
Über die christliche Bibel und den islamischen Koran will ich mich nicht äußern. Die jüdische Thora akzeptiert alle Gesetze des demokratischen Staates.
Nachzulesen im Talmud, der von einem "gerechten" Staat spricht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ah ja, dann waren also Knabenbeschneidungen nach dem bewussten Kölner Urteil NICHT rechtens, bis sie wieder 'legalisiert' wurden?
Dr. Nathan Wars... am Permanenter Link
Die Knabenbeschneidungen waren nicht relevant. Nach dem Holocaust tendiert die Anzahl der jüdischen Beschneidungen in Deutschland gegen Null.
Das Gerichtsurteil von Köln ist kein Gesetz, sondern eine Meinung in einer deutschen Stadt, die von einflussreichen Antisemiten durchsetzt ist.
Frank Herhausen am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Dr. Nathan Wars..., Ich danke Ihnen für Ihre Antwort auf meinen Kommentar zur Pinchas Woche.
Dr. Nathan Wars... am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Herhausen,
endlich ein vernünftiger Vorschlag, der Missverständnisse ausräumen wird. Allerdings sollten wir nicht übereilt handeln. Der Teufel liegt im Detail!
In allen jüdischen Gemeinden liegen Bücher vor, die die Thora beinhalten, die keineswegs der christlichen Bibel entspricht. Die Thora ist auf Hebräisch verfasst und verfügt nicht in allen anderen Sprachen über eine autorisierte Übersetzung, genau genommen in den wenigsten Sprachen. Deshalb wird meist eine englische oder russische Übersetzung beigefügt, falls überhaupt.
Die wenigsten Juden außerhalb Israels verstehen hebräisch, einige mehr sind imstande, die Schrift zu buchstabieren. Man sollte deshalb das Vorwort in der Landessprache abfassen, um es dem Leser verständlich zu machen. Leider werden die wenigsten jüdischen Leser etwas damit anfangen können, da sie die Thora kaum kennen. Da die selben Thora-Bücher weltweit zirkulieren, ziehe ich ein loses Beiblatt einem fest verankertem Vorwort vor. Ansonsten ist zu befürchten, dass kaum jemand dieses Vorwort versteht.
Die Thora ist die Basis des Judentums. Nur einige Gesetze sind hierin klar formuliert. "Wenn ein Mann bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so muss er sofort getötet werden, damit das Böse aus Israel ausgerottet werde".
Wenn Sie diesen Satz erneut lesen, werden Sie bemerken, dass er sich nicht auf Deutschland, sondern auf Israel bezieht, welches nicht dem GG untersteht. In Israel werden trotz (wegen?) der Thora keine Todesurteile mehr gefällt, mit Ausnahme von Nazi-Verbrechen, die Millionen von Juden das Leben gekostet haben. Dies ist bisher ein einziges Mal geschehen und wird sich nach menschlichem Ermessen nicht wiederholen.
In Israel ist im Gegensatz zu Deutschland die gleichgeschlechtliche Ehe mit allen Vor- und Nachteilen anerkannt. Ihr Vorwort erübrigt sich also und sollte lieber in islamischen Ländern verteilt werden, wo Notwendigkeit besteht.
Neben der Thora gibt es weitere Bücher im selben Rang wie „Könige“ und „Propheten“. Die dort aufgeführten „Gebote“ gelten nicht! Sie müssen erst die Mischna (mündliche Überlieferung), die seit Jahrhunderten schriftlich fixiert ist, und die Gemarrah, zum Teil auf Aramäisch, beide zusammen als „Talmud“ bekannt, durchlaufen, bevor sie als „Schulchan Aruch“ (nur wenige Jahrhunderte alt, wird laufend der Zeit angepasst) Gesetzeskraft erlangen. Das von Ihren vorgeschlagenen Vorwort sollte dort platziert werden! Leider wird es dann kaum gelesen werden.
Orthodoxe Juden beschäftigen sich Zeit ihres Lebens mit den o.g. Büchern in den Originalsprachen! Ein Vorwort auf Aramäisch wäre toll! Um Ihrem Vorschlag Sinn zu geben, müsste dafür gesorgt werden, dass die Mehrheit der nicht-orthodoxen Juden sich mit den jüdischen Büchern befasst, um Ihr Ansinnen zu begreifen. Dass Ihr Beispiel wie oben erwähnt deplatziert ist, tut nichts zu Sache. Dieser atheistische Vorschlag wird fromme Juden entzücken!
LG NW
PS: Das „Vorwort“ muss ja den Staaten angepasst werden. Nicht überall wird die gleichgeschlechtliche Liebe toleriert. In Polen und Ungarn greifen das bundesdeutsche GG nicht. Was sollte man da schreiben, um gesetzeskonform zu bleiben?
Dr. Nathan Wars... am Permanenter Link
Oh, ich habe etwas Wichtiges vergessen.
In einer Demokratie wie Deutschland wechseln zuweilen die Regierungen, alte Gesetzte werden abgeschafft und durch neue ersetzt. Es ist ein ziemlicher Aufwand, nach jedem neue eingeführten Gesetzt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu entscheiden, ob ein neues „Thora“-Vorwort fällig ist. Wären die atheistischen Gesellschaften bereit, diese Sisyphus-Arbeit zu übernehmen?