Damit wir klüger werden…

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STUTTGART. (hpd) Das Leitmotiv einer fünftägigen Veranstaltungsreihe "Aufklärung im 21. Jahrhundert" war: "Damit wir klüger werden". Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Motto "damit wir klug werden", das sich der Anfang Juni in Stuttgart stattfindende Evangelische Kirchentag gewählt hat. Die Reihe wurde von der GBS Stuttgart/Mittlerer Neckar e.V., den Humanisten Baden-Württemberg und den AnStiftern organisiert.

Insgesamt nahmen ca. 300 Besucher teil. Auf das größte Publikumsinteresse stieß Prof. Uwe Lehnert mit seinem Vortrag über die (un-)heimliche Macht der Kirchen. Mit etwa 90 Besuchern war der Saal im Humanistischen Zentrum bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet. Auch beim astronomischen Vortrag von Florian Freistetter, der sich mit der Entdeckung von Planeten und Leben außerhalb des Sonnensystems beschäftigte, war der Saal mit 60 Gästen gut gefüllt. Ähnlich viele Gäste zog auch Ralf König an, der die Veranstaltungsreihe auf humorvolle Weise durch religionskritische Comics eröffnete, die, was nicht überraschte, nicht ganz frei von sündhaftem Treiben waren. Für die Musikfreunde gab es einen Klavierabend mit Martin Münch. Am gleichen Abend konnte man auch eine Vernissage mit Jaques Tilly - Karikaturen bewundern. Kontrovers wurde am Freitag Max Kochers sehr weit gehende Auslegung des Effektiven Altruismus aufgenommen. In der Folge distanzierten sich die AnStifter öffentlich von diesem Vortrag. Trotz dieses Wermutstropfens, war die Veranstaltungsreihe insgesamt eine kulturelle Bereicherung und Begegnungsstätte für humanistisch denkende Menschen.

Gottes Werk und Königs Beitrag

Ralf König, der auch außerhalb der Schwulenszene durch die Verfilmung seines Comics "Der bewegte Mann" von 1987 große Bekanntheit erlangte, eröffnete die Vortragsreihe am Montag. Er präsentierte religionskritische Comics, die zum Teil 2009 in der FAZ unter dem Titel Archetyp erschienen sind und Proteste aus evangelikalen Kreisen nach sich zogen. Wenig verständlich, denn wer würde Sahras vegetarische Suppe verschmähen, für die Gott auf die Opferung Isaaks verzichtet? Wer könnte schon etwas dagegen haben, wenn David lieber eine homoerotische Beziehung zu Goliath eingeht als Krieg zu führen? Gott jedenfalls nicht mehr, denn der ist durch einen Unfall gestorben, weil David schon bei den Bundesjungendspielen nicht gut mit der Schleuder umgehen konnte? Paulus trifft auf Jünger, die sich kaum mehr an ihren Meister erinnern, aber alle Suggestivfragen im Sinne von Paulus beantworten, damit dieser Irre endlich seine Missionsreise fortsetzt. Lotta weigert sich standhaft, fremden Götzen zu dienen, obwohl sie dafür immer schlimmer geschändet wird. Sie erträgt ihr Martyrium heldenhaft, man könnte fast sagen euphorisch. Noch härter wird der Humor bei den göttlichen Tests an Adams Penis. Aber der Humor bewegte sich nicht immer unterhalb der Gürtellinie, so entdeckt Adam kurz nach dem Biss in den Apfel das platonische Höhlengleichnis, das Gravitationsgesetz und vieles mehr. Dadurch gerät die Schlange unter Druck, die vermeiden will, dass Gott vom Sündenfall erfährt.

Ralf König im Gespräch
Ralf König im Gespräch

In seinem Vortrag wandte sich König aber auch nicht biblischen Themen zu. Als Homage an Wilhelm Busch spielen Max und Moritz dem frommen Pastor Schlomm, erfolgreich einen Streich, was in einer anderen Geschichte beim Homopärchen Plüsch und Plum in mitleiderregender Weise misslingt. König gewährte auch neue Einsichten in die evolutionäre Frühgeschichte der Menschheit. Lucy träumt von der guten alten Zeit auf den Bäumen. Sie hat wenig Verständnis für den Forscherdrang ihres Mannes, der sich irgendwann einer experimentierfreudigeren Frau zuwendet, nachdem diese ihm die Vorzüge von Frontalsex für die Paarbindung erklärt hat.

Der Vortrag war eines Königs würdig. Die große Aufmerksamkeit seines Volkes wurde aber oft durch Ausbrüche von Heiterkeit unterbrochen.

Die Neuentdeckung des Himmels – Auf der Suche nach Leben im Universum

Gleich zu Beginn seines Vortrags am Dienstag, wies Florian Freistetter darauf hin, dass er leider keine schönen Bilder hätte, denn die Nachweismethoden für Planeten außerhalb des Sonnensystems (Exoplaneten) sind indirekter Art. Der Vortragende kompensierte das durch erkennbare wissenschaftliche Begeisterung. Er fing bei den Vorstellungen der Griechen an. Demokrit glaubte an viele Welten, Aristoteles nur an eine. Giordano Bruno hielt Sterne für weit entfernte Sonnen die ewig existieren. Die Entdeckung des Uranus 1786 war für Theologen verwirrend. Warum sollte Gott Dinge geschaffen haben, die der Mensch mit freiem Auge nicht erkennen kann?

Florian Freistetter
Florian Freistetter

Durch Bahnstörungen des Uranus wurde Neptun gefunden. Ähnlich weist man heute die Existenz von Exoplaneten durch das "Wackeln" des Muttersterns nach. Dabei beobachtete man zunächst die Veränderung der Farbe des Sterns, je nachdem ob er sich auf die Erde zu oder von ihr wegbewegt (Dopplereffekt). Später wurde auch direkt das seitliche "Wackeln" beobachtet. Weil man große Gasriesen nicht in der Nähe ihres Sterns erwartete und mit langen Umlaufzeiten rechnete, die das Wackeln langsam gemacht hätten, richtete man sich auf lange Beobachtungszeiträume ein. Man speicherte große Datenmengen für eine spätere Auswertung. Dadurch gelang zwei Schweizern, die ihre Daten sofort auswerteten, 1995 der erste definitive Beweis eines Exoplaneten. Ein Gasriese der in nur 4 Tagen seinen Stern umkreist. Damit war die Jahrtausendealte Frage ob es Planeten außerhalb des Sonnensystems gibt, endlich geklärt. Freistetter betont, was es ihm bedeutet, dass diese Menschheitsfrage zu seinen Lebzeiten geklärt wurde. 2006 wurde die Suche nach Exoplaneten mit Satelliten in den Weltraum verlagert. Seit 2009 untersucht der Satellit Kepler den Himmel. Inzwischen sind etwa 2000 Exoplaneten bekannt. Neuerdings bemüht man sich nicht nur Planeten zu finden, sondern auf ihnen auch Zeichen von Leben zu suchen.

Klavierabend "Schwarze Messe" & Vernissage Jacques Tilly

Am Mittwoch präsentierte der Komponist und Pianist Martin Münch eigene Stücke sowie die 2., 4., 5. und 9. Sonate des im April 1915, verstorbenen russischen Komponisten Alexander Skrjabin. Leider fanden sich nur wenige Besucher ein. Die Anwesenden konnten aber berichten, dass die Klavierkunst Martin Münchs sehr beeindruckend war und dass sie durch seine dazwischen eingestreuten musiktheoretischen Details ein zusätzliches Verständnis für die gespielte Musik entwickelten. Anschließend konnte im ersten Stock die Vernissage mit Jaques Tilly - kirchenkritischen Karikaturen betrachtet werden. David Farago, der seit einiger Zeit mit Tilly eng zusammenarbeitet, war eigens angereist, um über dessen Arbeitsweise interessante Details zu verraten.

Martin Münch
Martin Münch

Die (un)heimliche Macht der Kirchen – Über den unverändert hohen Einfluss der Kirchen in Deutschland

Am Donnerstag präsentierte Prof. Uwe Lehnert seinen übersichtlich strukturierten, mit unglaublichen Fakten dicht gepackten Vortrag. In einem ersten Teil wendete er sich den institutionellen Verflechtungen von Kirche und Staat zu. Im zweiten Teil ging er auf die personellen Verflechtungen zwischen Politik und Kirche ein.

Beispielsweise gibt es bei nur 1660 Theologiestudenten 720 Professoren und 940 wissenschaftliche Mitarbeiter. Prof. Lehnert meinte, das käme einer Art “von-Mund-zu-Mund-Beatmung” gleich. Es gibt 21 Konkordatslehrstühle, in Bayern für Pädagogik, bei deren Besetzung die katholische Kirche ein Vetorecht hat. 1.7 Mrd. Euro wendet ein angeblich säkularer Staat für den Religionsunterricht auf. Bei der Bundeswehr gibt es lebenskundlichen Unterricht, der ebenso verpflichtend ist wie der berufsethische Unterricht bei der Polizei. Abgehalten wird dieser Unterricht jedoch ausschließlich von Pfarrern.

Enteignungen geistlicher Besitztümer aus dem Jahre 1803 als Folge der napoleonischen Kriege haben noch heute staatliche Zahlungen von 480 Mio. Euro jährlich zur Folge. U.a. für die Gehälter von Bischöfen. Der aus der Weimarer Reichsverfassung übernommene Auftrag, diese Zahlungen abzulösen, ist aber bis heute nicht umgesetzt. Kirchliche Veranstaltungen werden mit zum Teil mehrstelligen Millionenbeträgen staatlich subventioniert. Es gibt nicht kündbare Verträge zwischen Staat und Kirche (Konkordate). Darunter das Reichskonkordat, das 1933 mit dem NS-Regime geschlossen wurde und noch heute gilt. Kirchen zahlen keine Körperschaftssteuer, Erbschaftssteuer, Umsatzsteuern und keine Zinsabschläge, die sich normalerweise aus der Kapitalertragssteuer ergeben würden. Finanzamt und Rechnungshof haben keine Prüfberechtigung. Mehrstellige Milliardenbeträge gehen an konfessionelle Schulen, Caritas und Diakonie. In diesen Einrichtungen gibt es kein Streikrecht, keinen Betriebsrat, dafür aber den Zwang zur Kirchenmitgliedschaft. Das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht. Mit staatlichen Geldern gebaute Immobilien gehen in den Kirchenbesitz über. In NRW sind alle Krankenhäuser konfessionell gebunden. Lehnert vergleicht das mit der SED in der ehemaligen DDR, die als Überpartei in allen gesellschaftlichen und politischen Institutionen aktiv war. Der entscheidende Unterschied sei aber, dass sich dessen in der ehemaligen DDR alle bewusst waren, während man sich über die Omnipräsenz der Kirchen in Westdeutschland längst nicht so im Klaren ist.

Uwe Lehnert
Uwe Lehnert

Die personellen Verstrickungen der Mitglieder der Bundesregierung mit den Kirchen sind offenkundig. Zum Teil haben sie sogar kirchliche Ämter inne. Unter den Ministerpräsidenten gibt es nur einen Atheisten. Dadurch sitzen bei Verhandlungen zwischen Kirche und Staat häufig Kirchenvertreter auf beiden Seiten des Tisches. Bezeichnend auch, dass Manuela Schwesig erst als Politikerin der Kirche beitrat, weil es "schön sei zu Wissen, das jemand seine schützende Hand über uns hält". Führende Figuren des ZDF, Intendant Bellut, Chefredakteur Frey und Programmdirektor Himmler sind katholisch. Lehnert betont, dass die Kirche in allen gesellschaftlich relevanten Institutionen führende Vertreter sitzen hat und so in verdeckter Weise Einfluss ausübt.

Bei der anschließenden Diskussionen machte Lehnert deutlich, dass seine Kritik sich weniger gegen die Kirchen richtet, deren Wunsch nach Einfluss ja zu verstehen sei, sondern gegen den Staat der diese Einflussnahme zulässt.

Effektiver Altruismus - Wie wir mit kritisch-rationalem Denken hunderte Menschen und Tiere retten können

Am Freitag stellte Max Kocher die Prinzipien des effektiven Altruismus vor. Dabei geht es darum, den Altruismus durch besondere Fokussierung auf Rationalität effektiv zu gestalten. Emotionale Entscheidungen gelten dabei als irrational, wenn sie Handlungen mit vergleichbarer Wirkung unterschiedlich bewerten (Cognitive Bias). So skaliere die Spendenbereitschaft bei einem Unglück nicht linear mit der Zahl der Opfer (Scope Insensitivity Bias), sinkt aber mit steigender Distanz zum Ort des Geschehens. Eine aktive Schädigung von Personen zum Zweck des Gelderwerbs wird als schlimmer empfunden als fehlende Spendenbereitschaft (Omission Bias).

Es folgten Überlegungen zur Kosten-Effektivität verschiedener Aktivitäten. Beispielsweise seien Bettnetze, die eine Infektion mit Malaria verhindern, 10 mal billiger als entsprechende Medikamente. Da Forschung und Entwicklung zu nachhaltigen Problemlösungen führen können, spielt die Frage nach Investitionen in diesem Bereich auch für den effektiven Altruismus eine Rolle. Durch Extrapolation exponentielle Kurvenverläufe entwickelte Kocher einige sehr optimistische Zukunftsvisionen, wies aber auch auf die Schwierigkeiten hin diese zu kontrollieren.

Schließlich warf Kocher die Frage auf, durch welchen Karriereweg man am meisten im Sinne des effektiven Altruismus erreichen könne. Wegen der Austauschbarkeit von Arbeitskräften kam es ihm dabei weniger auf eine ethische Wertigkeit des Berufs selbst, sondern eher auf die Möglichkeit an, im Sinne des effektiven Altruismus über die reine Joberfüllung hinaus aktiv werden zu können. Diesbezüglich biete der Arztberuf wenig Freiraum. Hingegen könne man als Banker viel bewirken, wenn man den erwirtschafteten Reichtum, anders als andere ähnlich wirtschaftende Banker, nicht für sich behalte. Das gelte selbst dann, wenn das Geld auf ethisch fragwürdige Art gewonnen wird, da der Gesamteinfluss positiv bliebe.

Max Kocher
Max Kocher

Die Akzeptanz von Spendenmitteln auch aus ethisch fragwürdiger Quellen führte zu Unmut und trug wesentlich zur öffentlichen Distanzierung der AnStiftern von diesem Vortrag bei. Nach dem Vortrag wurde u.a. auch über die Rolle von Intuition und Mitgefühl diskutiert, die Kocher als Grundimpulse für ethische Überlegungen betrachtete, die aber, zur Vermeidung der genannten kognitiven Verzerrungen, um rationale Betrachtungen erweitert werden sollten. Darüber hinaus wurden einige Visionen, wie z.B. die Kernfusion in Frage gestellt.

Trotz verständlicher Kritik an Kochers sehr weitgehender Auslegung des effektiven Altruismus ist der Grundgedanke interessant und kann als praktisch gelebter Utilitarismus verstanden werden.