Veranstaltungsbericht

LSBTIQ* – von einer "psychischen Störung" zum Menschenrecht

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Der Referent: Axel Hochrein. Er war 18 Jahre Bundesvorsitzender des Lesben und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD) und führt zur Zeit die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die sich weltweit für die Stärkung der Rechte queerer Menschen einsetzt.
Axel Hochrein

Offen transgeschlechtliche Abgeordnete im Bundestag, Mitglieder der Regierung, die ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen müssen: die LSBTIQ*-Community scheint in der Öffentlichkeit Akzeptanz zu erfahren. Ist es daher noch notwendig, Sichtbarkeit von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität zu thematisieren?

Axel Hochrein beantwortet diese Frage klar mit "ja". In seinem Vortrag vor der Giordano-Bruno Stiftung (gbs) Unterfranken an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) sprach er über die Entwicklungen und Probleme der LGBTIQ Szene in Deutschland.

Die rechtliche Gleichstellung von nicht-heterosexuellen Menschen in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten positive Wege genommen. Gleichzeitig kann auch ein gesellschaftlicher Backlash wahrgenommen werden. Selbst in der demokratischen Bundesrepublik galt 45 Jahre lang der Paragraf 175 StGB, der Homosexualität unter Strafe stellte. Dies zeigt sich zum Beispiel an der "Ehe für alle", wie die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare genannt wird. Eine einfache Gesetzesänderung, die mit einfacher Mehrheit – sollten die politischen Verhältnisse umschlagen – sehr einfach rückabzuwickeln wäre, wie es die AfD im Bundestag auch bereits gefordert hat.

Diese Forderungen und noch schlimmere, nicht laut postulierte Ideen von rechten und ultrarechten Parteien vergiften den sinnvollen öffentlichen Diskurs. Man versucht, durch diskriminierende Äußerungen wie "Homolobby", "Gendergaga" und Ähnlichem den Weg der sexuellen Emanzipation und Selbstbestimmung zu torpedieren. Die schrille Tonlage dieser Debatte ist aktuell – national wie international – eine sehr große Gefahr.

Doch die Gefahr ist nicht nur akademischer Natur; so lässt die Kriminalstatistik einen sehr klaren Schluss zu: Die Zahl der transfeindlichen und homophoben Straftaten nimmt erschreckend zu. Aber nicht nur in Deutschland sind diese Entwicklungen sichtbar, in manchen europäischen Staaten geht es der Community weit schlechter: Regierungen versuchen über neue Gesetze diese wieder in die Unsichtbarkeit zu treiben und das Rad der Zeit zurückzudrehen. In vielen der östlichen Staaten der EU gibt es weder die gleichgeschlechtliche Ehe noch die eingetragene Lebenspartnerschaft. Hier geben die Wahlergebnisse in Polen ein wenig Grund zur Hoffnung. Doch noch steht Homosexualität in 66 Staaten der Welt unter Strafe. In zwölf Ländern wird man dafür sogar mit dem Tode bedroht. Dies meist in Staaten, in welchen die Scharia als Rechtsgrundsatz gilt beziehungsweise welche eine starke islamische Prägung aufweisen. Iran, Nigeria, Saudi-Arabien, Somalia und Jemen führen noch immer Hinrichtungen wegen Verurteilungen aufgrund von homosexuellen Handlungen durch. Erschreckende Szenen konnte man auch in diesem Jahr sehen – in Uganda, wo unter Applaus des Parlaments das Strafrecht verschärft und die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen eingeführt wurde.

Die Ursachen für die homophoben Strömungen und sonstige LGBTIQ-feindliche Haltungen sind sehr vielschichtig, aber in ihrem Ursprung ähnlich gelagert. Die Wurzeln in Europa liegen in der Frühen Neuzeit: Geprägt von seiner katholischen Erziehung erließ Kaiser Karl V. ein Edikt, welchem zufolge gleichgeschlechtliche Unzucht beider Geschlechter strafbar sei. Die Strafe war der Tod auf dem Scheiterhaufen. Man stellte homosexuelle Handlungen und die sexuellen Handlungen an Tieren rechtlich gleich.

Mit dem Kolonialismus wurde auch die christliche Sexualmoral zum Exportgut und bis in die entlegensten Winkel der Erde getragen. Die sogenannte Moral der katholischen Kirche ist hier allem voran zu nennen. In die Gesetzgebung des geeinten deutschen Reiches von 1871 zog der Paragraf 175 StGB ein, welchen man aus der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes übernommen hatte. Für die folgenden 123 Jahre sollte man abseits des sexuellen Mainstreams diskriminiert und verurteilt werden. In Paragraf 175 StGB wurde nur die männliche homosexuelle Handlung unter Strafe gestellt – denn die allgemeine Geisteshaltung war, dass Frauen keinen eigenen Willen hätten und daher nur der richtige Ehemann kommen müsse, um diese "unsittlichen" Umtriebe zu vertreiben.

Foto: © gbs Unterfranken
Foto: © Pascal Häusinger

Einen Rückschritt stellte Paragraf 175 für das Königreich Bayern dar, denn ab 1813 stand hier Homosexualität nicht mehr unter Strafe. In der Weimarer Republik regte sich der erste konkrete Widerstand gegen die Rechtsnorm. Diesen Widerstand gab es nicht nur in der realen Lebenspraxis, sondern auch im akademischen Bereich. Magnus Hirschfeld erforschte die menschliche Sexualität und aus seinen Studien ist nicht erkennbar, dass eine freie Entfaltung der Sexualität in LGBTIQ eine psychische Störung ist. 1933, mit Beginn der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, wurde Paragraf 175 verschärft. Die besonnene und wenig offensive Verfolgung durch die Sittendezernate war vorbei, die Verurteilungszahlen explodierten. Hirschfeld emigrierte im Jahr 1933 während einer Forschungsreise und sollte im Ausland noch vor Ausbruch des Weltkrieges sterben. Seine Schriften wurden verbrannt und als schädlich für das Volk verboten.

Die kommenden Jahre waren von Angst und Schrecken geprägt. Kamen doch Zehntausende ins KZ und viele von ihnen erlebten den Tag der Befreiung nicht.

Die lokale kulturelle Szene wurde schon 1933 gezielt zerschlagen. In der Bonner Republik schloss man sich nicht der zurückhaltenden Weimarer Idee an, sondern folgte der überkommenen Sexualmoral beider großen Kirchen. Das Leben der Community war in dieser Phase geprägt von sogenannten "Rosa Listen", Razzien und sozialer Ächtung.

Das Schlimmste war, dass im NS-Staat Verurteilte erneut in Haft genommen wurden und ihre Strafen zur Gänze verbüßen mussten. Als man 1969 den Paragrafen 175 etwas entschärfte, fielen noch Aussagen, welche heutzutage ekelerregend wirken: "widerwärtig", "abnorm", "moralisch verwerflich" sind nur einige Beispiele, womit die (Schein-)"Argumente" gespickt wurden.

Erst 1994 konnte mit der Streichung des Paragrafen 175 und einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift in Paragraf 182 die Community ihren Emanzipationskampf beginnen. Zwar aus der Strafbarkeit entlassen, bleibt sie aber immer noch der gesellschaftlichen Schmähung und rechtlichen Ungleichbehandlung ausgesetzt. Erst in den letzten 20 Jahren wandte sich der Diskurs hier einem richtigen Weg zu, aber es wird noch viel zu tun sein, um neben der rechtlichen Gleichstellung auch die gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Die wissenschaftlichen Studien der letzten Jahrzehnte haben die Ergebnisse von Magnus Hirschfeld mehrfach belegt und weiter vorangetrieben. So entwickelt sich nach und nach eine positive Atmosphäre für die LGBTIQ-Community.

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