Monotheistische Männerbünde in Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung"

Humanismus und Teigtasche

Als Leser_in muss man stets vorsichtig sein mit allzu einseitigen Deutungen von Houellebecqs Romanen. In einem Spiegel-Interview [3] weist er darauf hin, dass er keine Position vertritt, sondern Optionen ausprobieren will. Dem kann man getrost glauben. Aber eine Pointe von Unterwerfung ist sicherlich diese: Die Gefahr für eine offene Gesellschaft geht hier weniger von radikalen Islamisten als von einem drohenden religiösen Bündnis der Monotheisten aus, insbesondere Christentum und Islam. Denn diese stimmen in Vielem überein: Frömmigkeit, traditionelle Moralvorstellungen – insbesondere die Bedeutung von Familie, Bedürfnis nach Ordnung, nationale Gefühle.

Roman und Realität

Sicher, Frankreich ist nicht Deutschland, und vor allem: Ein Roman ist nicht die Wirklichkeit. Dennoch sind die Fragen zu stellen: Würde nicht eine islamisch dominierte monotheistische Front bei vielen Männern Gefallen finden? Eine Konversion primär aus Hedonismus und Bequemlichkeit, und nur sekundär aufgrund metaphysischer Bedürfnisse? Und die Frauen? Was sagen eigentlich die Frauen dazu? In Unterwerfung scheinen sie sich ihrer Rolle zufrieden zu fügen und Houellebecq gibt sich in vielen Szenen gar alle erdenkliche Mühe zu zeigen, dass der Islam ihnen womöglich nicht nur Nachteile bringt. Dem Spiegel-Interviewer sind die realen Frauen der letzte Trumpf, auf dem er verzweifelt gegenüber dem pessimistischen Autor beharrt. Die Emanzipation sei irreversibel, das würden die Frauen nicht mehr mitmachen. Houellebecq: Man weiß nie…

Interessant zu sehen, dass sich in Deutschland im April 2015 das Muslimische Forum Deutschland gegründet hat, ein Zusammenschluss liberaler Muslime und Muslima, als Gegengewicht zu anderen, eher konservativen Islam-Verbänden. Die Initiative ging von der Konrad-Adenauer-Stiftung aus, die einer christlichen Volkspartei und nicht gerade dem Atheismus nahesteht. Ähnlich wie in Houellebecqs Roman der islamische Präsident Ben Abbes nimmt auch dieses Forum in seiner Gründungserklärung für sich das Ziel in Anspruch, "den humanistisch orientierten Muslimen eine Stimme zu verleihen". [4]

Eigentlich kann die Gründung eines solchen Forums aus humanistischer Sicht nur begrüßt werden. Und dennoch bleibt ein merkwürdiges Gefühl. Sorgt nicht eine von den christlichen Kirchen protegierte Etablierung des Islams für eine allzu einseitige Dominanz des Religiösen im öffentlichen Raum, für eine monotheistische Front - ob nun nur mit Männern oder "gegendert"? Wenn in Deutschland von konfessionsfreier und humanistischer Seite mit guten Gründen die Gleichbehandlung des Islams oder anderer Religionen gegenüber dem Christentum befürwortet wird, so muss das deutlich an die Bedingung einer Gleichbehandlung nicht-religiöser Weltanschauungen geknüpft sein.

Houellebecqs hidden humanism


Wie auch in anderen seiner Romane beschimpft Houellebecq in Unterwerfung den Humanismus. Im Spiegel-Interview verkündet er inbrünstig dessen Tod. Allerdings liegt dem ein spezifisch reduziertes Verständnis von Humanismus zugrunde. Humanismus ist ihm erstens eine erhabene Vorstellung von menschlicher Freiheit und Würde, nach der der Mensch den Thron Gottes besteigt und sein Leben auf das Vortrefflichste meistert. Das wirkliche Leben der Menschen und der wirkliche Zustand der Welt werden dabei nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Dies entspricht also einer durchaus existenten, vermessenen und elitären Linie innerhalb des historischen Humanismus. Humanismus ist ihm zweitens eine solche materialistische Weltanschauung, die das Bedürfnis der Menschen nach seelisch-geistiger "Nahrung" resp. Orientierung verhöhnt und keinen anderen Lebenssinn als den des materiellen Florierens kennt. Auch dies entspricht einer ebenfalls existenten, naturalistisch reduzierten Linie des Humanismus. In beiden Fällen ist es sehr zweifelhaft, ob der Tod solcher Humanismen ein Grund zur Trauer wäre.

Drittens aber ist Humanismus bei Houellebecq die "Last des eigenen Lebens" (S. 88), die Last der Freiheit und der Individualität. Im Spiegel-Interview spitzt er sein Problem zu: "Wozu soll es gut sein, autonom sein zu wollen, wenn man das nicht schafft? Mein Diskurs ist nicht ideologisch, sondern realistisch." [5]

Autonomie wird hier nicht grundsätzlich abgelehnt, aber ihre Verwirklichung pessimistisch eingeschätzt. Zugleich kritisiert Houellebecq die moderne – liberale und kapitalistische – Gesellschaft, weil sie die Verwirklichung von Autonomie erschwert: Sie bietet zum einen keine wirklichen Sinn- und Orientierungsangebote und zum anderen eine auf Konsum, Rentabilität und Zerstreuung reduzierte Form von Freiheit und Individualität. Vor diesem Hintergrund erscheinen ihm die Religionen desillusioniert als eine in gesellschaftlicher Hinsicht realistische Lösungsoption, in der viele die Möglichkeit der Befreiung vom Lastcharakter des Lebens und der gesellschaftlichen Sinnleere sehen könnten. Die Möglichkeit eines "dritten Weges" zwischen Religiosität und Sinnlosigkeit sieht er anscheinend nicht.

Dennoch ist Houellebecq kein antihumanistischer, wohl aber ein humanismuskritischer Autor. Einer Kritik des Humanismus liegt oftmals eine humanistische Haltung zu Grunde. Auch bei Houellebecq lassen sich Spuren eines solchen hidden humanism ausmachen: Der alle seine Bücher durchziehende "romantische" Impuls nach einer Verbesserung des menschlichen Lebens, die verzweifelte Suche nach Glück und Sinn jenseits von Profit und Konsum; eine das Sinnproblem diagnostizierende Gesellschaftskritik bei gleichzeitiger Skepsis gegenüber den Religionen; und speziell in Unterwerfung die Freiheit der Forschung und der "freie geistige Umgang mit einem Freund" (S. 11) sowie das Aufscheinen eines einfachen – spießigen? – bürgerlichen Glücks: Essen und Trinken an einem warmen Ofen, gemeinsam mit Freunden und einem Menschen, den man liebt und von dem man geliebt wird (S. 254).

Im ZDF-Interview bezeichnet sich Houellebecq als Agnostiker, als jemand, der ganz und gar nicht davon überzeugt ist, dass es da ein übergeordnetes Prinzip gibt. Er gesteht: "Aber mit jedem nahen Menschen, der stirbt, wird dies eine zunehmend schmerzlichere Haltung." Die Frage, wie man diese und andere Schmerzen am besten aushält, ohne sich einer Sache zu verschreiben oder gar zu unterwerfen, an die man doch nicht wirklich glaubt, ist eine genuin humanistische Frage, selbst wenn sie nicht jede_n Humanist_in interessieren sollte.

Houellebecqs Unterwerfung ist ein großartiges Buch: Unterhaltsam, witzig, tiefsinnig, politisch relevant, doppeldeutig und multi-anstößig. Was will man mehr von einem Roman? Wer allerdings in der Prosa Identifikationsfiguren sucht, weder Francois noch der Autor taugen dazu, oder aber eine klare politische oder weltanschauliche Position, der wird enttäuscht sein.


  1. Eine Einschätzung dieser These findet sich auf: http://www.diesseits.de/menschen/kommentar/1426719600/humanismus-nicht-t..., zuletzt abgerufen am 4.5.15.  ↩

  2. https://www.youtube.com/watch?v=pebFR_bmqdY, zuletzt abgerufen am 4.5.2015.  ↩

  3. Der Spiegel, 10/2015, S. 126–135.  ↩

  4. http://www.kas.de/wf/de/33.41088/, zuletzt abgerufen am 5.5.15.  ↩

  5. Ebda. S. 130.  ↩