Der Preis der Gesundheit

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BERLIN. (hpd/press) Pharmazeutischen Unternehmen stecken jahrelange Arbeit und viel Geld in die Erforschung von Krankheiten, in die Suche nach wirksamen Substanzen zur Therapie, in die toxikologischen Untersuchungen von Medikamentenkandidaten, klinischen Studien und die Einführung der Produkte auf dem Markt in Verhandlung mit den Gesundheitsbehörden. Forschende pharmazeutische Unternehmen nehmen dafür in Anspruch, dass sie den Preis der Medikamente selbst bestimmen können und einen Patentschutz für 20 Jahre geniessen, in denen sie das Monopol über die Vermarktung haben. Sie argumentieren, dass sonst die Innovation im medizinischen Bereich nicht bezahlbar wäre und keine Neuentwicklung möglich wäre. Aber stimmt das?

Innovation bei der Krankheitsbekämpfung oder Kreativität bei der Krankheitserfindung?

Ein breit diskutiertes Problem ist, dass viele Menschen sterben, obwohl es eine Behandlung ihrer Krankheit gibt, weil die entsprechenden Medikamente für sie unbezahlbar sind.

Ein weiteres Problem ist, dass sich die Pharmaindustrie zur Neuentwicklung von Medikamenten auf Krankheiten konzentriert, die in reichen Ländern mit einem funktionierenden Gesundheitssystem vorkommen und Krankheiten aus ärmeren Ländern vernachlässigt. Es gibt einen Überfluss an Produkten gegen alle tatsächlichen und erdachten Krankheiten von Bewohnern reicher Länder, die finanziell auch unsere Gesundheitssysteme immer wieder vor große Herausforderungen stellen. Sie sind manchmal zweifelhaft, was ihre Zielkrankheiten angeht, wie Medikamente gegen Wechseljahresymptome des Mannes, Psychopharmaka für hyperaktive Kinder und gestresste Arbeitnehmer oder Beruhigungsmittel für unausgeglichene Erstweltbewohnern. Im Gegensatz dazu gibt es seit 1965 keine neue Tuberkulose-Therapie, obwohl die alte Kombinationstherapie häufig wegen multiresistenter Keime nicht wirksam und darüber hinaus sehr unverträglich ist. An Tuberkulose erkranken 9 Millionen Menschen pro Jahr und es sterben 1,5 Millionen. Multiresistente Keime tragen schätzungsweise 480 000 Tuberkuloseerkrankte, bei denen die herkömmliche Therapie nicht anschlägt. Aber es ist eine Krankheit der Armen. In Deutschland kommen pro Jahr nur etwas über 4000 Erkrankungen vor.

Auch an Krankheiten, die nur einen kleinen Prozentsatz Menschen betreffen, so genannte orphan disease oder Waisen-Krankheiten, wird durch die Industrie nicht geforscht. Zu hoher Aufwand, zu kleiner Markt.

Die unabhängige Organisation Prescrire klassifiziert seit 30 Jahren Medikamente anhand ihres tatsächlichen Nutzens in sieben Gruppen, die von "ein wirklicher Fortschritt" bis zu "nicht akzeptabel" reichen. Im Zeitraum von 2000 bis 2013 konnte keines der neuen Medikamente dabei der Klasse "Bravo" zugeordnet worden. Hierzu würden Produkte gehören, die bisher nicht behandelbare Krankheiten therapieren. Über die Hälfte der neuen Medikamente gehören zu der Klasse "nichts Neues". Dazu zählen sogenannte "Me too!"-Präparate, die durch minimale Modifikationen schon bestehender erfolgreicher Medikamente als Neuentwicklung gelten. Oder man kombiniert zwei Präparate, welche dann wiederum als neu gelten: Vitamin C und Aspirin in einer Tablette statt zwei. 14 Prozent der neuen Medikamente sind laut Prescrire "nicht akzeptabel", das heisst, sie haben keinen oder geringen Nutzen und sind darüber hinaus potentiell schädlich für die Gesundheit.

Der Preis der Gesundheit

Die Preisfestlegung der Firmen ist völlig intransparent. Im Jahr 2014 hat eine Studie des Tufts Center for the Study of Drug Development ermittelt, dass bis zur Marktreife eines Medikamentes 2,56 Milliarden US-Dollar notwendig seien. Dieser Betrag wird seitdem in den Diskussionen von den Vertretern der Pharmaindustrie und den politischen Entscheidungsträgern genannt, um die häufig horrenden Preise neuer Produkte zu rechtfertigen. Verbände wie Ärzte ohne Grenzen kritisieren, dass die Studie ihre Methodik nicht transparent mache, man also nicht nachvollziehen könne, wie sie auf diese Summe kommen. Sie haben ernste Zweifel an dieser Zahl. Erfahrungen aus der Entwicklung von Medikamenten mit öffentlichen Geldern zeigen, dass die Kosten wahrscheinlich etwa zehnfach niedriger liegen. Aber Bemühungen, eine Transparenz in die Kosten und Preisfestlegungen zu bekommen, sind bislang vergeblich.

Aktuell besonders brisant ist die Diskussion um die "One Thousand Dollar Pill", wie die neue Tablette gegen Hepatitis C genannt wird. Dieses Präparat ist so teuer, dass Länder wie die Schweiz beschlossen haben, dass nur im fortgeschrittenen Stadium Erkrankte damit behandelt werden dürfen, was nicht nur unethisch, sondern auch unsinnig ist. Aber das Dilemma zeigt, dass selbst Staaten mit funktionierendem Krankenkassensystem durch die Forderungen der Pharmaindustrie auf der einen Seite und die moralische Verantwortung gegenüber kranken Bürgern auf der anderen Seite in die Enge getrieben werden.