Intelligent Design 2.0 - Teil 2

Ist Religiosität angeboren?

An dem Beispiel Glauben bzw. Aberglauben lässt sich dies gut zeigen, da in den Religionswissenschaften nicht unterschieden wird. Aber-/Glauben entsteht aus der Fähigkeit Sachverhalte miteinander zu kombinieren. Angeboren ist hier der Wunsch Ursache und Wirkung zu erkennen sowie die Fähigkeit zum assoziativen Lernen. Dass Raubtiere oder hilfreiche Vaterfiguren für Akteure mit Absichten gehalten werden, ist ebenfalls natürlich. Die schwarzen Katzen und über-empirischen Akteure sind jedoch lediglich Denkfehler, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorkommen. Ohne Bestätigung und Verstärkung durch die Gesellschaft werden solche stochastisch auftretenden Fehlassoziationen jedoch meistens sehr schnell wieder revidiert. Religiöse Wissenschaftler, die behaupten, dass mit Zwillingsstudien zu beweisen sei, dass diese Art des Glaubens angeboren sei, verwechseln die angeborenen Fähigkeiten zum assoziativen Lernen mit dem Ergebnis des Fehlurteils.

Würde hier konsequent von Fehlassoziationen gesprochen, so wären solche Sophistereien durch Kategorienfehler nicht möglich. Die Vertreter des Intelligent Designs 2.0 wissen dies und sprechen daher davon, dass der Glauben und das Religiöse irgendwie (irreduzible?) hochkomplex auf tausend Genen basiert [Quarks & Co. 2014]. Aber welches Verhalten basiert nicht “irgendwie” auf Genen?

Religiöse Musikalität?

Manche Wissenschaftler vergleichen die individuell unterschiedlich ausgeprägte Religiosität gerne mit der Intelligenz oder der Musikalität [Blume 2007]. Auch hier wären ja nicht alle Menschen gleich begabt. Abgesehen davon, dass hier zwei Fähigkeiten mit einem Verhalten verglichen werden und somit ein Kategorienfehler in der Logik vorliegt, hinkt dieser Vergleich auch sonst gewaltig. Denn ein musikalischer Mensch ist auf vielen Gebieten und Zeit seines Lebens musikalisch. Auch wenn er bestimmte Musikrichtungen in Abhängigkeit von seinem Alter bevorzugen wird.

Dr. rer. nat. Andreas E. Kilian

Dr. rer. nat. Andreas E. Kilian

Ist aber ein religiöser Mensch gegenüber allen anderen Glaubensinhalten offen und kann deren religiöse Erfahrungen genießen? Die Frage könnte auch lauten, ob der Papst Voodoo betreibt oder heimlich noch Thor und Odin anbetet. Selbstverständlich gilt die Musikalität der Religiösen nur für die Religion, die sie erlernt haben oder von der sie sich angezogen fühlen. Andere Musikrichtungen werden nicht nur abgelehnt, sondern sogar als unmusikalisch bezeichnet, müssen missioniert oder vernichtet werden. Religiöse Musikalität scheint sich in erster Linie durch ihre Taubheit und Unmusikalität gegenüber anderen Musikstilen auszuzeichnen. Da wird nicht experimentiert.

Auch ist festzustellen, dass viele ältere Atheisten ehemals religiös waren und viele Christen ihre frühkindlichen Vorstellungen im Laufe ihres Lebens mehrfach revidieren. Könnte man angeborene Fähigkeiten wie Intelligenz oder Musikalität durch Nachdenken los werden? Dies spricht eher dafür, dass Religiosität auf Fehlassoziationen basiert, derer man sich bewusst wird. Ein musikalischer Mensch hingegen wird immer den Takt hören und spüren, unabhängig davon, ob er die Musik mag oder nicht.

Neurotheologie?

Unser Gehirn arbeitet elektro-biochemisch. Es ist daher selbstredend, dass Drogen, elektrische Reize und elektromagnetische Felder Wirkung zeigen können. Häufig werden Gehirnfunktionen jedoch durch Stimulationen nicht verstärkt, sondern inhibiert. Ein abgeschwächter Gleichgewichtssinn führt zu einem Schwebegefühl, ein gestörtes Ich- und Körpergrenzengefühl resultiert in Entgrenzungserfahrungen und eine inhibierte optische Verarbeitungskontrolle führt zu Erscheinungen von Wesen oder Erinnerungen.

Um zu zeigen, dass religiöse Vorstellungen auf Fehlassoziationen basieren, hielten Naturwissenschaftler den Gläubigen den Narrenspiegel vor das Gesicht. Burrhus Frederic Skinner nannte die Ergebnisse der Selbstkonditonierung von Tauben Aberglauben [Skinner 1948] und Michael Persinger erlaubte sich einen Werbegag [Persinger 2003], als er seinen Magnetfeldgenerator Gotteshelm taufte.

Jeder wissenschaftlich denkende Mensch fragte sich sofort, woher die Probanden denn wussten, dass die Erscheinungen Engel oder Götter waren. Wenn Christen meist Jesus und Hinduisten bevorzugt Krishna zu sehen meinen, dann liegt der Verdacht sehr nahe, dass es sich hierbei um Gedächtnisinhalte handelt, die bei den Stimulationen angeregt wurden. Die vermeintlichen Gotteserfahrungen entsprangen also nicht dem Gehirnaufbau, sondern dem, was die Versuchspersonen vorher gelernt hatten und religiös umschreiben konnten.

Noch deutlicher wurde der Scherz, als Placebo-Versuche unternommen wurden. Die Probanden dachten, dass sie Erfahrungen mit dem Gotteshelm machen sollten, und hatten transzendente Erlebnisse, ohne dass der Helm überhaupt eingeschaltet war [Granqvist 2005]. Einfache Entspannung und eine gewisse Erwartungshaltung reichten bei manchen Menschen aus, um Bilder und Gefühle zu erleben. Die Gläubigen phantasierten von alleine drauf los, wenn sie durften.

Doch kein Narrenspiegel ist so gut, dass er nicht falsch verstanden werden kann. So etablierte sich die Neurotheologie als starker Arm der Religionswissenschaftler und Theologen [Blume 2009-b]. In dieser neuen Fachrichtung sollen “aufgrund von Ergebnissen in der Hirnforschung Aussagen getroffen werden über Gott, die Seele und den freien Willen, also über Konzepte, die die Erkenntnisgrenzen der Neurowissenschaften übersteigen”, sagen jetzt auf einmal einzelne Religionswissenschaftler [Peter 2008]. Hier sollen also nicht nur Erkenntnisse erzielt werden, die die Grenzen des Wissens verschieben, hier sollen die Grenzen sogar – wie auch immer – überstiegen werden. Hier werden Erfahrungen, für die die Probanden nur Umschreibungen haben können, bereits im Vorfeld als "Gott", "Seele" und "freier Willen" bezeichnet, den Probanden in den Mund gelegt, anschließend abgefragt und dann als wissenschaftliche Ergebnisse vertreten.

Dieser Zirkelschluss wird dann anschließend dafür verwendet, um die Bevölkerung medienwirksam darüber aufzuklären, dass es angeborene Gehirnfunktionen geben soll, die die Menschen zum Glauben und zu religiösen Erfahrungen nahezu zwingen.

Würde in Einklang mit den Naturwissenschaften gearbeitet; würde die Inhibierung des Gleichgewichtssinn auch als Inhibierung bezeichnet und nicht als transzendente Levitation; würde die Inhibierung der Körpergrenzkontrolle als Inhibierung definiert und nicht als Einswerden-mit-Gott-oder-dem All; würden verschwommene Vorstellungen, die aus Erinnerungen generiert werden, auch als Traumbilder bezeichnet werden, und nicht als Engel oder Götter; so würde sich die ganze Neurotheologie in Luft auflösen.

Wir müssen nach dem cui bono fragen, wenn solche Ergebnisse mit esoterisch-transzendenten Füllwörtern an deutschen Universitäten als Stand der Wissenschaft unterrichtet werden.


Intelligent Design 2.0 - Teil 1: Religions- oder Pseudowissenschaft


Literatur

Bering, Jesse M. & Bjorklund, David F.: The natural emergence of reasoning about the afterlife as a developmental regularity. Developmental Psychology, 40 (2004). S. 217–233.

Blume, Michael: Gehirn, Evolution, Religion. Präsentation einer neuen interdisziplinären Perspektive. 09.03.2007. http://www.blume-religionswissenschaft.de/pdf/Gehirn_Evolution_Religion_...

Blume, Michael: Zum Glauben geboren? Forscher ergründen die Evolution der Religion. 07.03.2009-a. http://www.scilogs.de/natur-des-glaubens/zum-glauben-geboren-forscher-er...

Blume, Michael: Neurotheologie: Hirnforscher erkunden den Glauben. Tectum, Marburg 2009-b.

Blume, Dr. Michael: Ist Religiosität eine Adaption? 09.10.2010. http://www.scilogs.de/natur-des-glaubens/ist-religiosit-t-eine-adaption/

Granqvist, Pehr; Fredrikson, Mats; Unge, Patrik; Hagenfeldt, Andrea; Valind, Sven; Larhammar, Dan und Larsson, Marcus: Sensed presence and mystical experiences are predicted by suggestibility, not by the application of transcranial weak complex magnetic fields. Neuroscience Letters Vol 379 (2005). S. 1–6.

Persinger, Michael A.: Experimental simulation of the god experience. In: Joseph, Rawn (Hrsg.): Neuroethology (2003). S. 267–284.

Peter, Lisa: Religion – Hirngespinst oder evolutionärer Vorteil? In Put, Wissen für junge Köpfe (2008). https://vitruv.uni-tuebingen.de/ilias3/data/pr01/lm_data/lm_1171/Artikel...

Quarks & Co. Was wir über den Glauben wissen. WDR, Sendung vom 22.04.2014. http://www.youtube.com/watch?v=Z86zG0_lvVc

Skinner, Burrhus Frederic: Superstition in the Pigeon. Journal of Experi­mental Psychology 38 (1948). S. 168–172.

Thomson, J. Anderson: Warum wir (an Gott) glauben. Eine kompakte Einführung in die Wissenschaft der Religion. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg, 2014.