Intelligent Design 2.0 - Teil 2

Ist Religiosität angeboren?

RONNENBERG. (hpd) Welchen Charakter und welch hohe Intelligenz müssen Gott und Allah haben? Nach Ansicht einiger Religionswissenschaftler schmuggeln sie erst den Aberglauben an Götzen und Geister in die Gene, um die Gläubigen dann bei Gebrauch dieser Gene mit dem ewigen Fegefeuer zu bestrafen. Dann schicken sie Jesus und Mohammed auf die Erde um festzustellen, dass sich an diesen Genen nicht nur nichts mehr ändern lässt, sondern dass sich auch noch die falschen Religionen weltweit ausbreiten.

Willkommen im Intelligent Design 2.0! Willkommen in der Welt des angeborenen Theismus [Quarks & Co. 2014], der angeborenen Religiosität [Blume 2009-a].

Angeborene Religiosität?

Ob Religiosität angeboren ist, lässt sich nach biologischen Maßstäben methodisch leicht überprüfen. Laut religionswissenschaftlicher Definition handelt es sich bei Religiosität um ein Verhalten gegenüber über-empirischen Akteuren [Blume 2010]. Dies ist zwar schon ein Widerspruch in sich, da diese Akteure über Wunder agieren und somit indirekt empirisch in Erscheinung treten, aber gut, bleiben wir beim Verhalten der Gläubigen. Wird von angeborener Religiosität gesprochen, so muss auch ein angeborenes Verhalten existieren! Wenn dieses Verhalten zudem auch noch eine soziale Funktion haben soll, dann muss es für Artgenossen erkennbar sein. Die wissenschaftlich notwendige Frage lautet daher: Wie sieht dieses Verhalten aus, welches in allen Religionen der Welt identisch ist und ohne willentliches Zutun der Betroffenen bei religiösen Gefühlen auftritt? Ein unbewusstes Verhalten, welches nicht als kulturell erlernte Modifikation auf phylogenetisch älteren Bewegungsabläufen – wie zum Beispiel Angstverhalten, Demuts- oder Bettelgesten von Primaten – basiert?

Jeder Ethologe kann Körpersprache und Lautäußerungen seiner Versuchstiere imitieren oder zumindest erklären, jeder Psychologe menschliches Verhalten nachmachen und jeder Psychiater die Grenzen zum Wahn gemäß dem medizinischen Kriterienkatalog definieren. Wer von einem angeborenen Verhalten redet, wer behauptet, dass es eine Funktion hat, der muss dieses Verhalten zeigen können! Soviel wissenschaftliche Redlichkeit kann verlangt werden. Denn sonst könnte ein Verhalten nicht definiert, in Videoaufnahmen aufgezeichnet und gemessen werden. Wissenschaft setzt Falsifizierbarkeit voraus! Fragen wir unsere religiös motivierten Wissenschaftler also, wie die von ihnen postulierte universell vorkommende, angeborene Religiosität als Verhaltenssequenz aussieht, die ihre neue Artbezeichnung Homo religiosus für den Menschen rechtfertigen soll.

Denn selbst, wenn die Definition falsch und Religiosität kein Verhalten – sondern das Ergebnis eines Denk- oder Lernprozesses – sein sollte, so würde doch auch das dazugehörige Gefühl Mimik und Gestik hervorrufen, die von den Artgenossen erkannt werden könnten. Wie sieht diese religiöse Entzückung wissenschaftlich beschrieben aus?

Angeborene Proto-Religiosität?

Warum regnet es es? Damit die Blumen Wasser bekommen! Diese Art des Denkens wird teleologisch genannt, weil es auf ein Ziel ausgerichtet ist. Kleine Kinder lernen Ursache und Wirkung zunächst so kennen, weil es für Organismen evolutionär sinnvoller ist, zuerst Ziele zu erfassen. Erst später in der Ontogenese lernen Menschen analytisch und reduktionistisch in Richtung Ursache zu forschen.

Das teleologische Denken behalten wir ein Leben lang bei. Jedes mal, wenn wir ein Ziel erreichen wollen, müssen wir uns zuerst fragen, was wir damit erreichen wollen. Erst kommt das Träumen, dann stellt sich die Frage nach der reduktionistischen Analyse, wie wir dort hinkommen.

Intelligent Designer interpretieren das teleologische Denken als Proto-Religiosität, weil für Menschen alles auf ein Ziel hinaus laufen müsse. Aus der Existenz dieser Proto-Religiosität wird dann abgeleitet, dass Religiosität in den Genen liege. Anders wäre das weltweite Vorkommen und die Akzeptanz von Religionen nicht zu erklären.

Doch stop! Würden wir nicht den Begriff der Proto-Religiosität akzeptieren, sondern weiterhin von teleologischem oder frühkindlichem Denken sprechen, so hätte sich nicht "die" Religiosität, sondern das zielgerichtete Denken seinen Platz in Evolution und Kultur erobert. Und weil dies kindliche Denken so vertraut ist, aber auch so bequem und fehleranfällig ist, geht es mit dem assoziativen Lernen und dem Aberglauben einher. Ab einem gewissen Freiheitsgrad ist einfach die Wahrscheinlichkeit auf Denkfehler höher und die präzise Analyse kostet den meisten Menschen zu viel Zeit und Mühen.

Angeborener Theismus?

Werden kleine Kinder nach einer Aufführung in einem Kasperletheater gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dass etwas von einer Maus noch weiterlebt, nachdem sie von einem bösen Krokodil gefressen worden ist, so ziehen sie diese Möglichkeit zunächst in Betracht [Bering 2004]. Religionswissenschaftler sprechen hier von einem angeborenen Theismus [Quarks & Co. 2014].

Nun muss aber jeder Atheist zugeben, dass er in einem Kindertheater wohl auch in Versuchung gekommen wäre, den Helden nicht sterben zu lassen. Außerdem ist eine solche Handpuppe morgen beim Spielen eh wieder "lebendig"! Selbst erwachsene Schachspieler gehen ja davon aus, dass ihre Spielfiguren am nächsten Tag wieder zu verwenden sind. Für eine Spezies, die durch Spielen und Wiederholung lernt, ist es logisch, diese Option des Weiterexistierens von Spielzeug zunächst einmal in Betracht zu ziehen.

Auch Atheisten denken wiederholt über Gott und das Jenseits nach. Sie kommen aber im Laufe der Zeit zu anderen Ergebnissen als religiöse Denker. Denn sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Menschen verfügen über die gleichen Fähigkeiten sich zur-Zeit-nicht-sichtbare Wesen oder eine Anderswelt als Dimension vorstellen zu können. Solche evolutiv entstandenen neurologischen Programme zum Imaginieren sind notwendig, um in bestimmten Altersphasen die Umwelt im Kopf zu simulieren, ohne eventuell letale Kontakte zu Raubtieren und Feinden zu provozieren. Sie kommen höchstwahrscheinlich bereits rudimentär bei vielen Tierarten – insbesondere bei Beutetieren – vor. Laut J. Anderson Thomson teilen sich Atheisten und Religiöse über zwanzig angeborene Programme, ohne dass Erstere zwangsläufig religiös werden [Thomson 2014]. Denn dafür sind diese Fähigkeiten gar nicht evolviert.

Ohne Beweise für Theismus-Gene für Gläubige und dem Beweis des Verlustes dieser bei Ungläubigen, ist wissenschaftlich redlicher Weise zunächst davon auszugehen, dass Theismus ebenso wie Religiosität lediglich kulturelle Nebenprodukte sind. Ohne eine frühkindliche Konditionierung auf theologische Vorstellungswelten würde das Jenseitige von den meisten Menschen als Lösung für weltliche Probleme recht schnell in ihrer Ontogenese wieder verworfen. Doch manche Wissenschaftler trennen nicht zwischen der Fähigkeit zu imaginieren und dem anerzogenen Aberglauben. Statt dessen setzen sie darauf, dass der Begriff des angeborenen Theismus werbewirksamer ist und hängen bleibt.

Zwillingsstudien

Äußerst beliebt sind auch Studien an eineiigen Zwillingen, mit deren Hilfe manche Wissenschaftler beweisen wollen, dass religiöser Glauben oder Religiosität als Verhalten angeboren sind [Quarks & Co 2014]. Doch halt! Studien an Zwillingen sagen nämlich nichts darüber aus, ob ein Glauben oder ein Verhalten angeboren sind. Sie sagen nur etwas darüber aus, ob etwas auf genetischen Komponenten basiert. Dies ist ein riesiger Unterschied, der den Laien gerne verschwiegen wird.