25 Jahre "Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben"

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Am Mittwoch, 17. Mai 2023, feiert der gemeinnützig tätige Verein Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben den 25. Jahrestag seiner Gründung. In den 25 Jahren seines Bestehens hat der Verein Zehntausende von Menschen in Fragen bezüglich ihrer Optionen in der selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebensendes beraten und hat bedeutende Erfolge erzielt für die Wahlfreiheit und Selbstbestimmung im Leben und am Lebensende – in der Schweiz und weltweit.

Dignitas blickt auf 25 erfolgreiche Jahre zurück, in denen der Verein viel mehr erreicht hat, als man bei seiner Gründung am 17. Mai 1998 zu träumen wagte. Heute nutzen täglich Dutzende von Hilfesuchenden und deren Angehörige aus aller Welt, Experten aus Politik, Recht und Medizin, Studierende, Forschende und weitere mehr die Erfahrung und das Fachwissen von Dignitas. Der Verein hat zudem in zahlreichen Ländern dazu beigetragen, das Recht des Menschen auf Wahlfreiheit und Selbstbestimmung über das eigene Lebensende durchzusetzen. Niemand soll die Reise in die Schweiz antreten müssen, um von diesem Recht Gebrauch zu machen; diesem Ziel bleibt der Verein weiterhin verpflichtet.

Die Anfänge des Vereins und Pionierarbeit in der Prävention von Suizidversuchen

Am 16. Mai 1998 fand im Zürcher Kongresshaus eine Generalversammlung von Exit (Deutsche Schweiz) statt. Der damalige Geschäftsführer von Exit, Peter Holenstein, hatte dem Vorstand beantragt, Exit solle sich auch für die Verringerung der Zahl der Suizide und Suizidversuche einsetzen. Der visionäre Vorschlag stieß auf Unverständnis und vehemente Ablehnung, es kam zum Eklat und Holenstein wurde abgewählt. Die kleine, unterlegene Gruppe entschied, am Konzept der Suizidversuchsprävention festzuhalten und dieses in einen neuen Verein einzubringen. Über Nacht verfasste Rechtsanwalt Ludwig A. Minelli die Statuten, und am Sonntag, 17. Mai 1998, wurde Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben gegründet. Einen Tag später war der Verein bereits operativ.

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Die Suizidversuchsprävention ist bis heute Kern der umfassenden Beratungstätigkeit von Dignitas: Wenn ein Mensch in seinem Wunsch, sein Leiden und Leben aus was für Gründen auch immer selbst zu beenden, ernst genommen wird, er sich in einem ergebnisoffenen Gespräch über alle möglichen Optionen informieren kann und ihm ein realer Notausgang aufgezeigt wird, verringert sich der Druck von Aussichtslosigkeit und Verzweiflung und damit auch die Wahrscheinlichkeit eines riskanten einsamen Suizidversuchs.

Täglich wenden sich Dutzende von Menschen aus dem In- und Ausland telefonisch oder schriftlich an Dignitas. Rund ein Drittel der telefonischen Auskünfte erfolgen für Nicht-Mitglieder; diese erhalten eine kostenlose Erstberatung. Oft fehlen Hilfesuchenden die für eine Entscheidung notwendigen Informationen zu verschiedenen Optionen und Wegen zur Verbesserung ihrer Lebensqualität. Im ergebnisoffenen Beratungsgespräch zu Suizidversuchsprävention, Vorsorge mittels Patientenverfügung, Palliativmedizin und Freitodbegleitung bietet Dignitas seinen Mitgliedern, Angehörigen und weiteren Interessierten die dafür benötigten Entscheidungsgrundlagen. Die Suizidhilfe ist nur ein Thema unter anderen.

Die Suizidversuchsprävention ist heute anerkannter Teil der Tätigkeit von Suizidhilfe-Organisationen, genauso wie Beratung zu Palliativmedizin, Patientenverfügung usw. In der Publikation "Nationale Strategie Palliative Care 2013–2015" hält das Bundesamt für Gesundheit mit Verweis auf den Bericht "Palliative Care, Suizidprävention und organisierte Suizidhilfe" der Schweizer Regierung vom Juni 2011 fest, dass: "… heute in der Gesellschaft in erster Linie Suizidhilfeorganisationen als Möglichkeit zur Wahrung der Selbstbestimmung am Lebensende wahrgenommen werden." Dignitas ist mit ein Wegbereiter dieser Entwicklung.

Meilensteine vor Gericht

Einen ersten bedeutenden Gerichtserfolg verzeichnete Dignitas am 3. November 2006: In einem Rechtsfall eines Dignitas-Mitglieds anerkannte das Schweizer Bundesgericht das Recht eines Menschen, Art und Zeitpunkt der Beendigung seines eigenen Lebens zu bestimmen, als durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt. Der Fall ging weiter an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, welcher diesen Kernsatz am 20. Januar 2011 bestätigte. Die Freiheit und das Recht, über sein eigenes Lebensende zu entscheiden, wurden in diesem Urteil zum ersten Mal als Menschenrecht anerkannt.

Seit vielen Jahren engagiert sich Dignitas auch in Deutschland für das Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende; besonders wichtig war der Entscheid des deutschen Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, welches am 2. März 2017 einer Klage im Prinzip stattgegeben hat, welche verlangte, Schwerstkranken in Deutschland dürfe der Zugang zu einem wirksamen Mittel zum Zwecke der selbstbestimmten, eigenen Leidens- und Lebensbeendigung nicht verwehrt werden. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat dabei auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen anerkannt, selbst zu entscheiden, wann und wie er sterben will. Dignitas arbeitete viele Jahre an diesem Fall und durchbrach damit die bevormundende und menschenrechtswidrige Mauer, welche 2015 von der deutschen Politik errichtet wurde. Der Durchbruch gelang am 26. Februar 2020: die juristische Arbeit der beiden Dignitas-Vereine in der Schweiz und in Deutschland sowie weiterer beteiligter Personen und Organisationen führte zur Nichtigerklärung des Verbots der professionellen Suizidhilfe durch das deutsche Bundesverfassungsgericht. Seither ist Suizidhilfe in Deutschland wieder möglich.

Einen weiteren Erfolg konnte Dignitas in Österreich verbuchen. Am 11. Dezember 2020 erklärte der österreichische Verfassungsgerichtshof in einem von Dignitas in Auftrag gegebenen Gerichtsverfahren das Blanko-Verbot der Suizidhilfe als verfassungswidrig. Suizidhilfe ist deshalb in Österreich seit dem 1. Januar 2022 unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

Meilensteine in Politik und Rechtsfortentwicklung

Der Verein Dignitas teilt sein Wissen und seine Erfahrung bei Vernehmlassungen zu Gesetzesprojekten, parlamentarischen Debatten, in der Vorbereitung von Gerichtsfällen und politischen Vorstößen. Bereits 2005 empfing Dignitas eine Delegation des britischen House of Lords, das "Select Committee on Assisted Dying for the Terminally Ill Bill", um die Erfahrungen von Dignitas im Hinblick auf eine Legalisierung der Suizidhilfe in Großbritannien zu nutzen. Vertreter von Parlamenten und Kommissionen aus vielen weiteren Ländern folgten.

Dignitas war auch an einem Präzedenzfall beteiligt, durch den der kanadische Supreme Court im Jahr 2015 das strafrechtliche Verbot der Suizidhilfe für verfassungswidrig erklärte. Dies ebnete den Weg zu deren Legalisierung. Ein bedeutender Erfolg unter der Mitwirkung von Dignitas war zudem im Jahr 2017 die Zustimmung des Parlaments von Victoria, Australien, zur "Voluntary Assisted Dying Bill". Mittlerweile ist Sterbehilfe in sämtlichen australischen Bundesstaaten möglich.

Auch in der Schweiz, wo Suizidhilfe seit bald 40 Jahren gefestigte Praxis ist, geht es immer wieder darum, die Wahlfreiheit über das eigene Lebensende zu wahren und die Voraussetzungen zu schaffen, dass jeder Mensch über sein Lebensende selbst bestimmen und dazu professionelle Beratung, Unterstützung und Begleitung in Anspruch nehmen kann, wenn dies seinem Wunsch entspricht. Am 15. Mai 2011 feierte Dignitas mit Verbündeten einen Doppelsieg in der Kantonal-Zürcherischen Volksabstimmung: Die Abstimmenden bestätigten mit fast 85 Prozent beziehungsweise mit mehr als 78 Prozent sowohl die Tätigkeit im Bereich der Suizidhilfe als auch das Bestreben, diese Freiheit Menschen zur Verfügung zu stellen, die jenseits der Schweizer Grenzen leben.

Bereit für die nächsten 25 Jahre

Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben dankt allen Vereinsmitgliedern, Unterstützern, Mitarbeitenden und Mitdenkenden für die Treue und die Kraft, die sie dem Verein verleihen, den Gedanken von echter Wahlfreiheit und Selbstbestimmung, verbunden mit Eigenverantwortung, im Leben und am Lebensende international umzusetzen. Dignitas dankt auch den Kritikern, die den Verein immer wieder herausfordern. Von ihnen hat Dignitas viel gelernt, und ohne sie wäre der Verein nicht zu dem geworden, was er heute ist.

Die Vereinsleitung und die über 30 Teilzeitmitarbeitenden sowie externe unterstützende Fachpersonen aus verschiedenen Bereichen blicken zuversichtlich in die Zukunft. Fundiertes gesellschaftspolitisches, juristisches und medizinisches Know-how, Beratungskompetenz, weltweite Vernetzung und unermüdlicher Gestaltungswille machen Dignitas zu einer einzigartigen Organisation, die ihre Ziele auch in den kommenden Jahren engagiert, ideenreich und mit der gebotenen Hartnäckigkeit verfolgen wird – in der Schweiz und international.

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