BERLIN. (hpd) Auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor wurde weit und hoch gesprungen und auch das Bundeskanzleramt konnte am Samstag besichtigt werden. Zwischen diesen Punkten bewegte sich jedoch ein Demonstrationszug, der mehr Datenschutz und ein Ende der (digitalen) Überwachung forderte. “Freiheit statt Angst” hieß es auch in diesem Jahr wieder in Berlin.
Offiziell ist die Rede davon, dass rund 5.000 Menschen sich vor der Bühne auf der Strasse des 17. Juni trafen; die Veranstalter sprechen von rund 6.500, die dann vom Brandenburger Tor durch die Innenstadt vorbei am Bundeskanzleramt zogen. Ein Jahr nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden scheint die Bevölkerung an dem Thema nicht mehr ganz so brennend interessiert zu sein - waren doch noch im vergangenen Jahr rund 15.000 Teilnehmer zusammen gekommen. Dabei hat das Thema in diesem Jahr nichts an Brisanz verloren. Im Gegenteil zeigte sich - auch aufgrund weiterer Enthüllungen - dass die Überwachung ein weit größeres Ausmaß hat, als im vergangenen September bekannt war.
Trotzdem zeigte sich Organisator und Moderator padeluun (Digitalcourage) zufrieden: “Es sind mehr als doppelt so viele gekommen, wie ich befürchtet hatte.” Er rief dazu auf, das Thema nicht aus den Augen zu verlieren: “Gesellschaftliche Veränderungen”, so padeluun, “brauchen zehn Jahre. Und wir sind kurz davor, diese Veränderungen zu schaffen.”
Bei der Auftaktkundgebung wurde von allen Rednern betont, dass die Überwachung nicht allein von den USA vorgenommen wird. Auch die eigenen Dienste - BND und Verfassungsschutz - rüsten auf, um die Bevölkerung anlasslos und flächendeckend zu überwachen.
Digitale Durchleuchtung
Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar brachte es auf den Punkt, als er seine Rede damit begann, dass er über die am gleichen Tage eingeschulten Kinder sprach und fragte, in welcher Welt sie aufwachsen werden, wenn wir heute nicht gegen die Totalüberwachung vorgehen. Er wies darauf hin, dass den staatlichen Behörden bereits heute Unmengen an personengebundenen Daten zur Verfügung stehen. “Trotzdem wiederholen Befürworter der Vorratsdatenspeicherung gebetsmühlenartig, dass die Sicherheitsbehörden ohne Vorratsdatenspeicherung im Digitalzeitalter blind seien.” Das nennt Schaar “grobe Irreführung”, denn wenn hier von Blindheit gesprochen werden kann, dann aus ganz anderen Gründen und das “vielleicht auch nur auf einem Auge – dafür stehen die durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse zu Tage geförderten Erkenntnisse über das Versagen bei der Aufklärung des Terrors der rechtsextremen NSU.”
Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk forderte daher mutige Menschen dazu auf, als Whistleblower tätig zu werden. Sie fragte: “Gibt es nichts, was die deutschen Geheimdienste zu verbergen hätten? Keinen Verstoß gegen Art. 10 des GG, der das Post- und Fernmeldegeheimnis, die freie Kommunikation in diesem Land schützt? Gegen das G10-Gesetz? Gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention?” Weshalb also bewundern wir Edward Snowden und Chelsea (Bredley) Manning und schauen nur auf NSA und GCHQ? Weshalb “hat noch kein deutscher Whistleblower den BND verpfiffen?”
“Die digitale Durchleuchtung ganzer Gesellschaften im Namen von Sicherheit und Terrorbekämpfung stellt Millionen von Menschen unter Generalverdacht, unterhöhlt die Unschuldsvermutung, führt zu massenhafter Verletzung von Persönlichkeitsrechten, stellt die Kommunikationsfreiheit, ja die Demokratie insgesamt in Frage. Unkontrollierte freie Kommunikation ist Quintessenz freiheitlich demokratischer Gesellschaften. Denn überwachte Menschen sind niemals frei, sie ändern ihr Verhalten, werden unsicher, entwickeln Ängste, passen sich an – Auswirkungen, die den demokratischen Rechtsstaat schädigen, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor über dreißig Jahren in seinem berühmten Volkszählungsurteil festgestellt hat.” Diese Warnung kam von Dr. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte. Diese hat deshalb gemeinsam mit dem Chaos Computer Club und Digitalcourage beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen die Bundesregierung und gegen Geheimdienst-Verantwortliche erstattet. Mit seiner Forderung: “Die einzig funktionierende demokratische Kontrolle über demokratiewidrige Geheimdienste besteht in deren vollständiger Auflösung”, stimmt er mit denen der Humanistischen Union überein.
Leak more documents!
Eine mitreißende und auf deutsch gehaltene Rede des IT-Sicherheitsexperten Jacob Appelbaum (Tor-Project) forderte: “Leak more documents!” Er wurde sehr deutlich (deutlicher, als es Annegret Falter werden durfte): “Sind Sie bei der NSA, bei der CIA, beim BND, beim Verfassungsschutz? We need more documents! Sie sind nicht bei NSA, BND, CIA? Geht dort hin! Arbeitet dort. Denn dort sind die Dokumente.” Er schloss die Zuhörer ein, als er sagte: “Wir müssen Widerstand leisten! Wir müssen die Welt verändern!”
“Schon in seinem ersten Interview zur Veröffentlichung des NSA-Überwachungsskandals sagte Edward Snowden: ‘Meine größte Furcht ist, dass es nichts verändert’. Heute, ein Jahr später, müssen wir konsterniert feststellen. Genau das ist passiert: NSA, BND, GCHQ – sie machen einfach weiter …” Mit diesen Worten begann Christoph Bautz (Campact). “Massenüberwachung – das ist Gift für eine parlamentarische Demokratie und Honig für das Totalitäre.” Er erinnerte auch an die Gefahren, die von den geheimen Verhandlungen zum Freihandels-Abkommen mit den USA - TTIP - ausgehen: “Wenn TTIP kommt, dann können wir mit unseren Datenschutzstandards einpacken. Mit TTIP kommt noch mehr Freihandel mit Daten. Wenn Regierungen trotzdem strengere Datenschutzstandards verabschieden, dann können sie von US-Konzernen vor private Schiedsgerichte gezerrt werden.” Für ihn ist klar: “Die Antwort auf den NSA-Skandal darf nicht ein Abkommen sein, das den Datenschutz und unseren Rechtsstaat weiter unterhöhlt. Die Antwort auf den NSA-Skandal ist ein sofortiger Stopp der TTIP-Verhandlungen!”
Wir können uns wehren!
Bei der Abschlusskundgebung nach dem Marsch durch das Berliner Regierungsviertel sprachen Wieland Dietrich (Freie Ärzteschaft), Astrid Goltz (Humanistische Union), Sebastian Schweda (Amnesty International), Emy Fem (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) und Matthias Spielkamp (Reporter ohne Grenzen).
Wieland Dietrich wies dabei auf die Gefahren der elektronischen Gesundheitskarte hin, Astrid Goltz auf die Kampagne der HU “ausgeschnüffelt”. Emy Fem wehrte sich gegen die Pläne der Großen Koalition, eine Zwangsregistrierung von SexarbeiterInnen einzuführen.
Die staatliche Überwachung stellt für Sebastian Schweda “eine massive Verletzung des Menschenrechts auf Privatsphäre dar” und Matthias Spielkamp machte für die Reporter ohne Grenzen klar, dass “wir überhaupt keine Geheimdienste wollen, wenn unsere Regierung und unsere gewählten Vertreter in den Parlamenten nicht in der Lage sind, dafür zu sorgen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten.” Doch er machte auch Mut: “Wir sind nicht hilflos und ohnmächtig. Wir können uns wehren, indem wir unsere E-Mails verschlüsseln. Indem wir unsere Internetverbindungen verschlüsseln. Indem wir unsere Daten auf unseren USB-Sticks und Festplatten verschlüsseln. Indem wir die Kosten für die Dienste erhöhen, uns auszuspionieren.”
Alle Reden sind auf der Webseite freiheitstattangst.de dokumentiert.