Afghanistan: Frauen müssen wieder um ihre Rechte bangen

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Human Rights Watch stellt eklatante Mängel in der Umsetzung des Gesetzes zum Schutz von Frauen vor Gewalt fest. Durch das Vorrücken der Taliban spitzt sich die Lage der betroffenen Frauen jetzt noch einmal drastisch zu.

Das Vorrücken der Taliban in Afghanistan gefährdet all jene Teile der Bevölkerung, die ihr Leben nicht vollständig nach einem ultrareligiösen Wertekorsett des Islams ausrichten wollen. Nach den rapiden Gebietsgewinnen der islamistischen Glaubenskämpfer lässt sich die menschenrechtliche Situation im Land wohl bald wieder am besten als prekär beschreiben. Der Abzug der ausländischen Streitkräfte hinterlässt ein Machtvakuum, welches die afghanischen Truppen selbst nur unzureichend ausfüllen können.

Während man in den Medien viel von den einheimischen Hilfskräften hört, welche unter einer Taliban-Herrschaft als "Kollaborateure" in akuter Lebensgefahr schweben, werden jedoch auch Frauenrechte zu den ersten Dingen zählen, die in den Taliban-Gebieten ihren Geltungsbereich vollständig verlieren werden.

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Organisation Human Rights Watch heißt es, dass es der afghanischen Regierung nicht gelungen sei, eine ausreichende Rechenschaftspflicht im Falle von Gewalt gegen Mädchen und Frauen zu etablieren. Der Report mit dem Titel "'I Thought Our Life Might Get Better': Implementing Afghanistan's Elimination of Violence against Women Law" berichtet auf 32 Seiten von den Versuchen afghanischer Frauen gegen Gewaltdelikte, häufig auch aus der familiären Umgebung, juristisch vorzugehen.

Human Rights Watch fand bei Recherchen heraus, dass das eigentlich bahnbrechende Gesetz zum Schutz von Frauen vor Gewalttaten (Elimination of Violence against Women, kurz: EVAW) in seiner realen Umsetzung starke Defizite aufweist, da viele Betroffene keinen ausreichenden Zugang zu den nötigen Schutzmaßnahmen sowie den zuständigen juristischen Organen haben.

Die Konklusion des Berichts basiert auf 61 Interviews, welche mit betroffenen Frauen und Mädchen, aber auch mit Staatsanwält*innen, Richter*innen, Rechtsanwält*innen, Anbietern von Rechtshilfe und Interessengruppen geführt wurden. Dabei kam heraus, dass Anzeigen oft aufgrund familiären Drucks wieder zurückgezogen wurden oder Anwälte, Polizei und Richter den Betroffenen häufig sogar von einer Anzeige abrieten und stattdessen wohl zu einer Aussöhnung mit dem oft häuslichen Gewalttäter aufforderten. Die generelle Umsetzung des Gesetzes, besonders im ländlichen Raum, ist daher ohnehin mehr als dürftig. Durch den Ausbau der Einflussgebiete der Taliban drohen nun Frauenrechte in vielen Teilen Afghanistans de facto abgeschafft zu werden.

Durch den Abzug der internationalen Truppen versiegen auch viele Quellen der Hilfsgelder für Afghanistan. Außerdem befürchtet Human Rights Watch, dass durch fehlende Berichterstattung aus den Taliban-Gebieten auch das weltweite Interesse an der Durchsetzung von Frauenrechten in Afghanistan zurückgehen könnte. Patricia Gossman, die stellvertretende Asien-Direktorin der Menschenrechtsorganisation, appelliert nun an die ausländischen Geldgeber, die den Fokus auf das Frauenrechtsproblem lenken könnten: "Die internationalen Geber müssen ihr Engagement für den Schutz der afghanischen Frauen verstärken, die unter der Untätigkeit der Regierung und der zunehmenden Kontrolle durch die Taliban leiden. Regierungen, die seit langem die Rechte der Frauen in Afghanistan unterstützen, sollten sich mit Nachdruck für die Durchsetzung des EVAW-Gesetzes einsetzen", so Gossmann; sie fügt hinzu, dass nur so ein langsamer, aber konstanter echter Wandel stattfinden könne.

Der Weg der mit dem Frauenschutzgesetz eingeschlagen wurde, war ein enormer Schritt in Richtung einer Gleichberechtigung der Geschlechter. Bereits zuvor war die reale Umsetzung des Gesetzes jedoch von eklatanten Lücken durchzogen. Nun, mit dem Gebietsgewinn der Taliban, stehen Frauenrechte in Afghanistan vor einem weiteren bedrohlichen Härtetest. Der hängt besonders davon ab, ob es den Islamisten gelingt, die erneute Kontrolle über die afghanische Gesellschaft zu erlangen oder nicht.

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