Rezension

Eine Anleitung zur zivilisierten Gesprächsführung

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Der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsey legen mit "How to Have Impossible Conversations: A Very Practical Guide" eine interessante und nützliche Anleitung zur Gesprächsführung vor. Das Buch kann durchaus als Weiterentwicklung von Boghossians Buch "A Manual for Creating Atheists" verstanden werden, ist aber vielmehr eine Antwort auf die aktuelle gesellschaftliche Situation der USA, wo die politische Mitte schrumpft und sich ideologische Gruppen immer unversöhnlicher gegenüberstehen. Die Autoren bieten 36 Konversationstechniken mit guten Beispielen und Ratschlägen, um "unmögliche Gespräche" in diesem gesellschaftlichen Klima zu führen.

Boghossian und Lindsey haben ein Buch darübergeschrieben, wie man mit jedem Sprechen kann, der radikal andere Ansichten als man selbst hat. Gespräche über Politik, Religion oder Werte, die schon immer schwierig waren, scheinen heutzutage unmöglich zu sein. Unter diesen "impossible conversations" verstehen die beiden Autoren, "conversations that feel futile because they take place across a seemingly unbridgeable gulf of disagreement in ideas, beliefs, morals, politics, or worldviews." (S. 3)

Beide Autoren können selbst auch aus einem reichen Erfahrungsschatz solch unmöglicher Konversationen schöpfen, sind doch beide bereits in der Atheist Community Amerikas bekannt, besonders Boghossian durch sein "Manual for Creating Atheists" (Durham, North Carolina 2013) und seine Tätigkeit für die Richard Dawkins Foundation for Reason and Science. Ab 2015 prangerte er öffentlich an, dass die regressive Linke Teile der Wissenschaft übernommen haben. Um deutlich auf diesen Missstand hinzuweisen, haben er und Lindsey zusammen mit Helen Pluckrose insgesamt 20 Hoax-Artikel bei wissenschaftlichen Zeitschriften aus den Gebieten der cultural, queer, race, gender, fat and sexuality studies, von ihnen als "grievance studies" bezeichnet, eingereicht. Zum Zeitpunkt der Enthüllung des Projekts durch das Wall Street Journal waren lediglich sechs der Fake-Aufsätze von den Zeitschriften zurückgewiesen worden, vier waren veröffentlicht, drei weitere sollten veröffentlicht werden und die restlichen sieben waren noch im Review-Prozess. Damit konnten Boghossian, Lindsey und Pluckrose zeigen, dass in einem gewissen akademischen Milieu Amerikas ideologischer Bias wichtiger ist als wissenschaftliche Redlichkeit. Die Ausläufer dieses ideologischen Biases sind mittlerweile auch im akademischen Milieu Deutschlands zu spüren.

Cover

"How to Have Impossible Conversations" ist auch als Folge dieser Entwicklung an den amerikanischen Universitäten zu sehen. In ihrem Buch vereinen Boghossian und Lindsey nun 36 Techniken, um diese anscheinend "unmöglichen Gespräche" mit Anhängern radikaler Ansichten führen zu können. Sie gehen davon aus, dass beide Gesprächspartner trotz stark divergierender Ansichten doch immer guten Willens in ein Gespräch eintreten. Daher sollte man sein Gegenüber stets als Partner in der Gesprächsführung betrachten, nicht als Gegner, den es zu besiegen gilt. Das Buch unterteilt sich in acht Kapitel, wovon Kapitel eins als Einleitung und Kapitel acht als Konklusion sehr kurz gehalten sind. Ihre 36 Techniken verteilen beide Autoren hierarchisch auf die sechs restlichen Kapitel, aufbauend mit den sieben Grundlagen einer guten Konversation, über Beginner-, Intermediate-, Advanced-, Expert- bis hin zu Master-Level-Techniken. Unübersehbar ist der Einfluss der sokratischen Methode und dessen Anwendung in der sogenannten Street Epistemology, die in Boghossians vorigem Buch schon eine wichtige Rolle spielte. Ausführungen zur Rhetorik und Argumentationstheorie wird man vergebens suchen, gemäß der sokratischen Methode stehen Zuhören und Fragen, ein respektvoller Umgang und das Suchen nach Gemeinsamkeiten im Mittelpunkt.

Dafür schöpfen sie aus einem reichhaltigen Schatz philosophischer und psychologischer Forschung, wobei oftmals Letzteres im Vordergrund ihrer Argumentation steht. Dies wird zum Beispiel in Kapitel 5.3 "Seek Disconfirmation" (S. 104–119) deutlich: Wie soll man mit jemandem ein Gespräch führen, der davon überzeugt ist, seine Überzeugungen könnten nicht widerlegt werden. Die Autoren sprechen hierbei von "epistemic closure" bzw. von "doxastic closure". Sie gehen davon aus, dass eine Person solche Überzeugungen nicht revidiert, weil dies bedeuten würde, ihre (moralische) Identität würde dadurch kompromittiert. Hier offenbart sich eine deutliche Schwäche des Buches, denn wir erfahren an dieser Stelle nicht, was (moralische) Identität ist. Eine solche (unzureichende) Erklärung findet sich erst in Endnote zwei zu Kapitel sieben (S. 212), da die beiden Autoren Gespräche mit so jemandem – sie nennen ihn Ideologen (S. 157), der seine Überzeugungen für unwiderlegbar hält, als Master Level ansehen. Ausführliche und klare Definitionen sind nicht Sache der Autoren, was bei einem Philosophen als Autor schon überrascht; der Schwerpunkt liegt klar auf der praktischen Gesprächsführung. Das schmälert den sonst guten Eindruck des Buches.

Das Buch wird durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat, eine Bibliographie und einen Index abgerundet. Bisher ist es nur auf Englisch erschienen, eine deutsche Übersetzung ist nicht angekündigt. Das Englisch ist aber gut verständlich und ein Abschluss in Philosophie wird definitiv auch nicht vorausgesetzt.

Peter Boghossian und James Lindsey: How to Have Impossible Conversations: A Very Practical Guide, Lifelong Books, New York, 2019. 248 Seiten. 16,99 US-Dollar (15,99 Euro bei Amazon Deutschland); E-Book 9,99 Euro.