150 Jahre Trennung von Staat und Kirche in Hamburg

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Der Hamburger Hafen
Der Hamburger Hafen

Heute vor 150 Jahren trat eine neue Kirchenverfassung im Hamburgischen Staat in Kraft, die der Forderung der Hamburgischen Verfassung von 1860 Rechnung trug, Staat und Kirche zu trennen. Diese Trennung war jedoch keineswegs vollständig und auch in den 150 Jahren nach dieser Trennung kam es immer wieder zu Spannungen und neuen Austarierungen des Verhältnisses von Hamburgischer Kirche und Hamburgischem Staat. Diesem Verhältnis soll hier in aller Kürze nachgegangen werden.

Hamburg: "Die unkirchlichste Stadt des Reiches"

Bereits um 1800 war ein Rückgang an Gottesdienstbesuchen und der Teilnahme am Abendmahl in der evangelisch geprägten Stadt vorhanden, sodass 1802 einige der sonn- und feiertäglichen Gottesdienste aufgehoben wurden. Außerdem wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts einige Kirchen abgerissen, darunter der – allerdings katholische – Hamburger Dom, da diese nicht mehr ausreichend genutzt wurden. Es predigten von den Hamburger Kanzeln zu dieser Zeit fast ausschließlich Rationalisten, Anhänger einer liberalen Strömung innerhalb der Kirche. Das Hamburg vor dem ersten Weltkrieg als "die unkirchlichste Stadt des Reiches"1 galt, mag also kaum verwundern.

Als sich Hamburg 1860 als späte Reaktion auf die Märzrevolution von 1848 eine neue Verfassung gab, wurde auch die Trennung von Staat und Kirche auf den Weg gebracht. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist und fand auch viele Befürworter innerhalb der evangelisch-lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate, die es gerne sahen, wenn das Kirchenregime nicht länger in der Hand der Senatoren, sondern ausschließlich von Geistlichen in Selbstverwaltung ausgeübt würde. Es dauerte jedoch noch gut 15 Jahre bis alle diesbezüglichen Regelungen verabschiedet wurden. Die wichtigste darunter war die Verabschiedung einer Kirchenverfassung, die am 9. Dezember 1870 in Kraft trat und damit die Trennung von Staat und Kirche markierte.

Die Trennung wurde jedoch keineswegs konsequent vollzogen. Die Kirche wurde erneut mit dem Senat verbunden, indem der Tradition gemäß zwei evangelisch-lutherische Senatsmitglieder in die Synode entsandt wurden. Das sogenannte "Patronat" hatte das Recht zur Bestätigung kirchlicher Gesetze, zur Bestätigung der Pastorenwahl und zur Ernennung der Präsidialmitglieder für die Gemeindevorstände, die Synode und den Kirchenrat. Diese Institution wurde in Hamburg als "Patronat" bezeichnet, obgleich es mit dem kirchenrechtlichen Begriff des "Kirchenpatronats", verstanden als landesherrliche Schutzherrschaft über die Kirche, praktisch nichts gemein hatte. Die Regelung fand Eingang in die neue Kirchenverfassung, damit lag sie auf einer innerkirchlichen Ebene und bedurfte nicht der Genehmigung durch die Bürgerschaft. Dieses Patronat wurde 1923 mit einer neuen Kirchenverfassung aufgegeben.

Durch die neue Verfassung von 1860 wurde auch der Religionsunterricht geregelt und unter staatliche Aufsicht gestellt. Die Inhalte wurden nun durch eine Kommission der Schulbehörde festgelegt, der lediglich zwei Vertreter der Kirche angehörten. Von einer konsequenten Trennung war Hamburg also noch deutlich entfernt, hatte aber große Schritte unternommen.

Die Trennung von 1860/70 bedeutete auch eine finanzielle Entflechtung von Staat und Kirche. In Hamburg bestand bis zur Trennung eine Einheit von Stadtstaat(sapparat) und staatstädtischen Gemeinden, die – meist in bestem gegenseitigen Einvernehmen – zu einer "regelmäßig-unregelmäßigen Subventionierung der Kirche in zahlreichen Einzelfällen, typischerweise im Falle von Baumaßnahmen"2

führte und 1857 sogar eine alljährliche Beihilfe zu den Pastorengehältern aus dem Staatssäckel zur Folge hatte. Aber mit der neuen Verfassung von 1860 versiegte dieses Strom des Geldes für die Kirche zusehends, sodass mit der neuen Kirchenverfassung von 1870 auch eine "Städtische Kirchenhauptkasse" eingerichtet wurde.

Ein Problem für die neue Kirche stellte die Erhebung der regelmäßigen Abgaben der Kirchenmitglieder dar. Bereits 1879 machte sich der Staat der Kirche dienlich, indem er sich verpflichtete, über das "Gesetz betreffend das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtspflege" Leistungen der Kirchenmitglieder an die Kirche mit einzuziehen. Erst am 18. Februar 1914 wurde von der Bürgerschaft ein formales Kirchensteuergesetz erlassen, das vorsah, dass auf Antrag einer anerkannten Religionsgemeinschaft dem Senat die Erhebung und Veranlagung ihrer Steuer gegen einen kostendeckenden Pauschalbetrag übertragen werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Hamburgische Kirche ihre Steuern auch noch über ein eigenes Büro eingezogen, allerdings mit den Daten der Steuerverwaltung. Das erste Kirchensteuergesetz auf innerkirchlicher Ebene war erst 1887/88 erlassen worden. Noch 1881 hatte der Theologe und Kirchenhistoriker Pastor Carl Mönckeberg die Ansicht vertreten, "die Kirche, die frei vom Staate ist, müßte sich schämen, den Staat um Hilfe anzusprechen, um mit Gewalt von ihren Gliedern Abgaben zu erzwingen. Eine Kirchensteuer widerspricht dem Evangelium".3

Die Kirchenpolitik des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats

Hamburgs politisches Verhältnis zu seiner Kirche änderte sich im Zuge der Novemberrevolution 1918/19 schlagartig. Als in Hamburg 1918 die Revolution ausbrach, übernahm ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht in der Stadt. Dieser erließ während seines Bestehens drei Verordnungen bezüglich der Kirche: Erstens die Abschaffung des Religionsunterrichts, zweitens die Abschaffung der Kirchensteuer und drittens die Vereinfachung des Kirchenaustritts.

Am 7. Dezember wurde folgender Antrag in den Arbeiter- und Soldatenrat eingebracht: "Der Religionsunterricht fällt vom 1. Januar 1919 ab in allen öffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten des ehemaligen hamburgischen Staates fort. Religiöse Schulandachten werden nicht mehr abgehalten. Es bleibt den Eltern und Vormündern unbenommen, ihren Kindern und Pflegebefohlenen außerhalb der Schule Religionsunterricht erteilen zu lassen. Über die Verwendung der durch den Fortfall des Religionsunterrichts freiwerdenden Stunden entscheidet das Lehrerkollegium."4 Der Antrag wurde noch in der Sitzung einstimmig und ohne Aussprache angenommen, um einem weniger weit gehenden Beschluss des Oberschulrats – dieser wollte die Entscheidung über die Teilnahme am Religionsunterricht den Eltern überlassen – zuvorzukommen. Carl Eulert, von Beruf Versicherungsbeamter und als Betriebsdelegierter Mitglied im Rat, kommentierte den Antrag damit, dass die Lehrerschaft einstimmig für die Abschaffung des Religionsunterrichts sei und "für einen Sozialdemokraten ist die ganze Geschichte selbstverständlich."5

Mit der Abschaffung des Religionsunterrichts am 7. Dezember 1918 sah sich der Arbeiter- und Soldatenrat starker, unerwarteter Kritik gegenüber. Die politische Mobilisierungskraft des Beschlusses war unterschätzt worden. Kirche und christliches Bürgertum vereinigten sich in dieser Angelegenheit in ihrer grundsätzlichen Ablehnung der durch die Revolution verursachten Demokratisierung. Am 9. Dezember fühlte sich der Rat genötigt, in einer Presseerklärung zu erläutern, dass nur durch die Abschaffung des Religionsunterrichts "der Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit in vollem Umfang" verwirklicht werden kann. "Getroffen wird durch den Beschluß des Arbeiter- und Soldatenrats lediglich eine kleine Gruppe von Personen, die bislang der Bevölkerung die Glaubens- und Gewissensfreiheit vorenthielt und auch die Schule, beziehungsweise den in ihr erteilten Religionsunterricht ihren Zwecken nutzbar machte."6

Auch die Hamburger Bürgerschaft befasste sich in ihrer 30. Sitzung am 18. Dezember 1918 mit der Verordnung des Arbeiter- und Soldatenrats, die allgemein verurteilt wurde. Am 19. Dezember befasste sich der Arbeiter- und Soldatenrat wegen der Bürgerschaftssitzung notgedrungen erneut mit dem Religionsunterricht. Eulert bemerkte, dass die Proteste gegen die Abschaffung weniger mit der Religion zu tun, sondern vielmehr einen politischen Charakter haben. "Wir bekommen von allen Seiten flammende Proteste, die, was die Form anlangt, einen Mut, ich möchte sagen, eine Frechheit beweisen, die man früher von diesen kirchlichen Herren nicht erwartet hätte." Und mit Bezug auf die am Vortag stattgefundene Sitzung der Bürgerschaft fuhr er fort: "Es wird einfach verlangt, daß der Beschluß wieder aufgehoben wird. Diese hohen Herrschaften glauben immer noch, daß sie am Ruder sind."7 Kalweit fügte hinzu, die Reaktion der Bürgerlichen sei "verständlich und es ist nur bedauerlich, daß wir nicht gleich weiter gegangen sind und die Kirchensteuer abgeschafft haben."8

Das holte der Rat zwei Tage später nach. Am 21. Dezember wurde der Antrag zur Abschaffung der Kirchensteuer ohne Diskussion angenommen und der Antrag zum vereinfachten Kirchenaustritt nach kurzer Diskussion über das Austrittsalter mit Mehrheitsentscheid beschlossen. Fortan reichte eine einfache Erklärung gegenüber dem zuständigen Standesamt zum Kirchenaustritt. Beide Verordnungen wurden am 24. Dezember veröffentlicht und traten in Kraft. Das Datum verfügt über eine eindeutige Symbolkraft und ist sicherlich nicht zufällig gewählt worden. Während die Proteste gegen die Abschaffung des Religionsunterrichts anhielten, riefen die beiden neuen Verordnungen des Arbeiter- und Soldatenrats in der Öffentlichkeit praktisch kein Echo hervor. Die neue Gesetzeslage blieb auch über die Auflösung des Arbeiter- und Soldatenrats und die Wahl einer neuen, demokratischen Bürgerschaft hinaus bestehen.

Gemälde im Festsaal des Hamburger Rathauses
Ein Gemälde im Festsaal des Hamburger Rathauses zeigt die Christianisierung der Stadt. Ursprünglich kniete Hamburg, symbolisiert durch einen Jungen, vor dem abgebildeten Bischof Ansgar in Segnungspose. Das wollten die Ratsherren so nicht stehen lassen. Als sie das Bild 1896 zum ersten Mal sahen, sollen sie gesagt haben: "Ein Hamburger kniet vor niemandem, auch nicht vor der Kirche". Der Junge wurde daraufhin übermalt. So ist das Bild auch heute noch zu sehen. (Foto: James Steakley via Wikimedia Commons,

CC BY-SA 3.0)

Die erste demokratisch gewählte Bürgerschaft Hamburgs beschloss nach einer Überprüfung, die drei Verordnungen trotz Widerständen der alten Eliten beizubehalten. Doch als ein Schreiben des Reichsinnenministers Erich Koch, in dem er die Abschaffung des Religionsunterrichts als nicht verfassungsgemäß beurteilte, vom Kirchenrat an die Öffentlichkeit gegeben wurde, führte der Hamburger Senat auf eigene Initiative eine endgültige Entscheidung des Problems durch das Reichsgericht herbei. Dieses urteilte zum Hamburger Antrag und einem Antrag zum Religionsunterricht in Sachsen, dass die Abschaffung des Religionsunterrichts im Widerspruch zu den Artikeln 146, 149 und 174 der Verfassung stünde. Das Urteil besaß Gesetzeskraft, daher musste Hamburg den Religionsunterricht zum 1. Januar 1921 wieder einführen. Damit fiel die Entscheidung für die Wiedereinführung nicht auf Landesebene, sondern auf Reichsebene. Der Verordnung zur Abschaffung der Kirchensteuer war ein ähnliches Schicksal beschieden. Mit dem Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 1919 änderte sich die Rechtslage, weshalb sie im Oktober 1919 für gegenstandslos erklärt wurde.

Auf die Wiedereinführung des Religionsunterrichts reagierte die SPD mit einer Kampagne, die Kinder nicht zur Teilnahme am Religionsunterricht anzumelden, was bei einer Teilnahmequote von rund 75 Prozent wohl durchaus als bescheidener Erfolg zu betrachten ist. Die Quote hielt sich mit leichten Schwankungen über die nächsten Jahre. Daneben forderten die Sozialdemokraten und Freidenkerverbände, allen voran der Lehrer und Schulrat Max Zelck, die Einführung eines Lebenskundeunterrichts. Dieser wurde tatsächlich 1927 gleichberechtigt neben dem Religionsunterricht in den Schulen eingeführt. 1928 nahmen im Stadtgebiet 77,89 Prozent am Religionsunterricht teil, 16,75 Prozent am Lebenskundeunterricht und 5,36 Prozent der Schüler und Schülerinnen an sonstigem Ersatzunterricht. Im weniger proletarisch geprägten Landgebiet entsprechend 89,61 Prozent am Religionsunterricht, 7,18 Prozent am Lebenskundeunterricht und 3,21 an sonstigem Ersatzunterricht. Die Freidenkerverbände wurden von den Nationalsozialisten 1933 verboten und der Lebenskundeunterricht abgeschafft. Bis heute wurde der Lebenskundeunterricht in Hamburg nicht wieder eingeführt.

Führerstaat und Führerkirche

1933 brachte auch für die Hamburgische Kirche tiefgreifende Veränderungen mit sich. Die obersten Geistlichen der Hamburger Kirche arrangierten sich nicht nur mit dem neuen Regime in Deutschland, sondern begrüßten und förderten es sogar ausdrücklich. Bereits in den 1920er Jahren sprachen sich einzelne Theologen für die Einführung eines Bischofsamts in Hamburg aus. Sie sahen dieses Kirchenamt als wesensmäßig für die evangelisch-lutherische Kirche an. Doch die Hamburgische Kirche war stets kollegial organisiert gewesen, ein Senioritätsprinzip bestimmte eine hierarchische Struktur. Doch mit der Wahl Hitlers zum Reichskanzler änderte sich die Organisation der Kirche rasch und passte sich den neuen Gegebenheiten an.

Simon Schöffel, ab 1922 Hauptpastor in St. Michaelis und ab 1929 Synodalpräsident, war als orthodoxer Lutheraner, der sich gegen die liberale Hauptströmung Hamburgs zu behaupten hatte und wusste, der lautstärkste Befürworter der Einführung des Bischofsamts. Mithilfe der jungreformatorischen Bewegung und konfessionellen Lutheranern sowie den Deutschen Christen gelang es ihm in einer außerordentlichen Landessynode, den liberalen Senior Karl Horn abzusetzen. Die Landessynode schuf das Amt des Landesbischofs. Mit einem Ermächtigungsgesetz baute sie die Kirche nach dem "Führerprinzip" um, sodass die wichtigen Entscheidungen allein vom Landesbischof getroffen werden konnten.

Simon Schöffel wurde der erste Landesbischof Hamburgs und richtete nach seiner Wahl folgende Worte an die Synode: "Wir begrüßen den Staat, der neu geworden ist, und danken ihm, daß er Mut und Kraft gefunden und bewiesen hat, um unserem Volke den Aufbruch und den Weg zur Freiheit zu bahnen."9 Auch Theodor Knolle, der die Synode mit der Feststellung "Die Befreiung von der undeutschen Fremdgestelt westdemokratischer Verfassungen wirkt sich auch als Befreiung der Kirche von ihr wesensfremden parlamentarischen Methoden und Mächten aus."10 eröffnete, wirft ein klares Bild auf die Hamburgische Kirche in den 1930er Jahren. Nationalisitsch und konservativ präsentierte sich die neue Kirche im Hamburgischen Staate, die liberale Theologie, die im 19. Jahrhunderte vorherrschte, war abgelöst worden.

Simon Schöffel sollte das Amt des Landesbischofs allerdings nicht lange ausüben. Bereits 1934 wurde er von Franz Tügel ersetzt, da es schnell zu Spannungen zwischen Schöffel und den Deutschen Christen kam. Als er 1934 ein Gesetz des neuen Reichsbischofs kritisierte, nutzten dies die Deutschen Christen, um ihn im Amt zu ersetzen.

"'Hitler ist Reichskanzler!' Noch heute höre ich den Freudenruf, der mich auf das tiefste durchdrang" erinnerte sich Franz Tügel in seinen Lebenserinnerungen, die erst posthum 1972 erschienen, an den Beginn von zwölf Jahren "tausendjähriges Reich". Er war 1931 in die NSDAP eingetreten und vertrat einen völkischen Antisemitismus, der ihn auch die Judenverfolgung gutheißen ließ, obgleich er sich gegen eine "Entjudung" des Christentums aussprach. Bemerkenswert ist seine Schrift "Wer bist du? Fragen der Kirche an den Nationalsozialismus" von 1932, in der er gegenüber seinen Kirchengenossen vehement die Position der Nationalsozialisten vertrat.

Auch bei Franz Tügel kam es zu Spannungen mit den Deutschen Christen und der Partei, diese führten jedoch nicht zu einem vorzeitigen Rücktritt. Die Mobilmachung für den Krieg unterstützte er zusammen mit der Kirche. Unter anderem schrieb er einen monatlichen Kriegsbrief für die Erbauung der Truppen und die Unterstützung der Kriegsanstrengungen. Sein Amt behielt er bis 1946. Erst dann trat er auf starken Druck vor allem durch die britische Besatzungsmacht zurück. Von starkem Gelenkrheumatismus geplagt, verstarb er nur kurze Zeit später.

Seinen Platz nahm sein Vorgänger Simon Schöffel ein, was die Kontinuitäten der NS-Zeit in die Nachkriegszeit nur zu deutlich vor Augen führt. Schöffels eigener Nachfolger 1954 war übrigens Theodor Knolle. Schöffel stellte sich als Opfer der Deutschen Christen dar und verschwieg seine eigenen Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus. In seiner neuen alten Position setzte er sich für nationalsozialistische Pastoren ein und sorgte dafür, dass diese hohe Pensionen bekamen und ab den 50er Jahren wieder ihrer Beschäftigung in der Kirche nachgehen konnten. Beides versagte er den liberalen Dissidenten innerhalb der Kirche, die ab 1933 aus ihren Ämtern gedrängt worden waren. Das Amt des Landesbischofs blieb bis 1977 bestehen, obgleich mit einer neuen Kirchenverfassung eine Abkehr vom "Führerprinzip" stattfand, als die evangelisch-lutherische Kirche im Hamburgischen Staate in der neu gegründeten Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche aufging.

Teilweise Ablösung der Hamburger Staatsleistungen

In den 1960er Jahren kam neue Bewegung in die finanziellen Verbindungen von Staat und Kirche, denn der Hamburger Senat entschied sich dazu, die Staatsleistungen an die Kirchen einer Revision zu unterziehen und nach Möglichkeit abzulösen. Die Hamburger Staatsleistungen sind im allgemeinen Gedächtnis längst vergessen. Selbst Carsten Frerk, der sich wie kein Zweiter mit den Finanzen der Kirchen auseinander gesetzt hat, schreibt in seinem "Violettbuch Kirchenfinanzen", es habe in Hamburg keine Staatsleistungen gegeben. Jedoch gab es zum Einen Staatsleistungen in Gebieten, die durch das Groß-Hamburg-Gesetz 1937 auf den Hamburger Staat übergegangen sind. Diese wurden 1965 nach Verhandlungen der Senatskanzlei mit den jeweils zuständigen Kirchenbehörden durch eine einmalige Zahlung in Höhe des 18-fachen Betrags abgelöst. Zum Anderen gab es originär Hamburger Staatsleistungen, die im Zuge der Trennung und dazugehörigen Säkularisierungsprozesse im 19. Jahrhundert entstanden sind. Dazu muss zunächst geklärt werden, was unter Staatsleistungen zu verstehen ist.

Staatsleistungen sind auf Dauer angelegte Leistungsverpflichtungen des Staates gegenüber den Kirchen, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen. Staatsleistungen sind vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses entstanden, als kirchliches Vermögen und Eigentum verstaatlicht – also säkularisiert – wurde. Aufgeworfen wurde die Frage nach den Staatsleistungen im Zuge der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung, die in Artikel 138 eine Ablösung dieser Staatsleistungen forderte. Das bedeutete, dass die einzelnen Länder ihre Leistungen an die Kirchen erfassen und bewerten mussten, ob diese als Staatsleistungen aufzufassen sind.

Nach kurzer Recherche meldete der Hamburger Kirchenrat 1919 an den Senat, dass beruhend auf Gesetz nur die Kirchensteuer unter die Staatsleistungen falle. Diese wurde jedoch bereits durch die Weimarer Reichsverfassung geregelt. Des Weiteren gäbe es Staatsleistungen, die auf Verträgen beruhten. Allen voran eine jährliche Zahlung für die per Vertrag vom 23. April 1875 vereinbarte Übereignung von Grundeigentum des St.-Johannis-Klosters an den Staat und damit in Verbindung stehende weitere Leistungen. Außerdem zählte der Kirchenrat vier weitere Staatsleistungen an einzelne Kirchen auf, die ebenfalls auf Verträgen beruhten. Auf besonderen Rechtstiteln beruhten Überlassungsvereinbarungen, bei denen der Staat der Kirche für eine geringe jährliche "Recognitionsgebühr" Grundstücke überließ, um darauf Bauten für kirchliche Zwecke zu errichten. Da die Grundstücke dabei im Eigentum des Staates verblieben, sah der Kirchenrat diese Überlassungen nicht als Staatsleistungen im Sinne von Artikel 138 WRV an.

Zu diesen Staatsleistungen an die evangelisch-lutherische Kirche im Hamburgischen Staate gesellten sich noch weitere Staatsleistungen an die Evangelisch-Reformierte Gemeinde in Hamburg und den Römisch-Katholischen Gemeindeverband Hamburg „als Entschädigung für den Wegfall der Einnahmen aus dem Beerdigungswesen“,11 welches in den 1870er und 1880er Jahren vom Staat übernommen worden war.

Hamburg wollte 1975 sämtliche Staatsleistungen an die evangelisch-lutherische Kirche im Hamburgischen Staate ablösen, vor allem auch weil eine Zusammenlegung der Hamburger Kirche mit den anderen Nordelbischen Kirchen bevorstand, was eine Ablösung zu einem späteren Zeitpunkt deutlich verkompliziert hätte. Doch die Kirche lehnte das ab und so wurden nach einigen Verhandlungen lediglich zwei Staatsleistungen für knapp drei Millionen Mark abgelöst. Erstens wurden die Zuschüsse für Gefängnisgeistliche und zweitens die Wartung, Instandsetzung und Erneuerung der Turmuhren von 27 Kirchengebäuden für das jeweils zwanzigfache der jeweiligen jährlichen Zahlung abgelöst.

Noch heute zahlt der Staat eine "immerwährende jährliche Rente" von 50.000 Euro an den Kirchenkreis Hamburg-Ost, die auf den Vertrag von 1875 zum St.-Johannis-Kloster zurückgeht. Sowohl die Senatskanzlei als auch die Nordkirche verneinen heute, dass es sich dabei um Staatsleistungen handelt, obwohl beide dies in den 1920er Jahren, als die Frage erstmals aufgeworfen wurde, durchaus so einschätzten und dieser Sachverhalt 1965 auch nochmals bestätigt wurde, als es tatsächlich zu Ablöseverhandlungen kam.

Die Politik der Staat-Kirche-Verträge

1973 stellte Hamburg sein Verhältnis zu den städtischen Religionsgemeinschaften auf eine neue Grundlage, indem sämtliche 23 seit 1785 verliehenen Konzessionen und Körperschaftsrechte aufgehoben und durch ein neues Gesetz für alle Religionsgemeinschaften geregelt wurden. Damit wurde eine einfache Grundlage geschaffen, die bisherigen Privilegien der Kirche auf weitere Religionsgemeinschaften auszuweiten. Nach der Wiedervereinigung kam es von den neuen Bundesländern ausgehend zu einem verstärkten Verabschieden von sogenannten Staat-Kirche-Verträgen. Dabei handelten die Kirchen, später auch andere Religionsgemeinschaften, ihr Verhältnis zum Staat in einem Vertrag aus, der später vom Staat als Gesetz erlassen wurde.

Die ersten Verträge dieser Art wurden in der Weimarer Republik geschlossen und dienten auch damals schon der Sicherung kirchlicher Pfründe. Denn auch die neu von Hamburg geschlossenen Verträge mit der evangelischen und katholischen Kirche aus dem Jahr 2005 gelten auf unbegrenzte Zeit. Sie haben keine Kündigungsklausel und zementieren damit das aktuelle Verhältnis von Staat und Kirche. Das ist vor allem angesichts der stark sinkenden Anzahl von Kirchenmitgliedern bemerkenswert.

Diese beiden Verträge dienten auch als Vorlage weiterer Verträge mit Religionsgemeinschaften: 2007 wurde ein Vertrag mit der jüdischen Gemeinde in Hamburg geschlossen, in dem erstmals auch wieder Staatsleistungen an eine Religionsgemeinschaft in Hamburg festgelegt wurden. 2013 folgten zwei weitere Verträge mit der alevitischen Gemeinde in Hamburg und Hamburger Islamverbänden. Gerade der Vertrag mit den Islamverbänden ist aus vielerlei Sicht noch kritischer zu sehen als die bisherigen Verträge, da es sich hier nicht um einen Vertrag mit einer Religionsgemeinschaft, sondern mit mehreren Verbänden unterschiedlicher Ausrichtung handelt. Außerdem erfolgt dadurch eine bedenkliche Aufwertung des konservativen und politischen Islams in Hamburg, vor allem da immer wieder Vertragspartner über die Jahre Schlagzeilen gemacht haben, mit denen die im Vertrag vereinbarte Wertegrundlage deutlich in Frage gestellt wird. Dieses kooperative Modell wird gerade auch von den säkularen Vereinigungen in Hamburg in Frage gestellt, eine eingehende Kritik kann an dieser Stelle leider nicht geleistet werden.

Zusammenfassung

1860/70 trennte sich der Hamburgische Staat von seiner Kirche. Seitdem ist das Verhältnis nicht spannungsfrei gewesen und musste immer wieder neu festgelegt werden. Denn die Trennung war keineswegs konsequent und ist es heute immer noch nicht. Heute besteht eine sogenannte "hinkende Trennung" auf Bundes-, aber eben auch auf Landesebene. Hamburg ist aktuell mit knapp 60 Prozent Konfessionsfreien eine der, wenn nicht die säkularste Stadt Deutschlands. Eine Tradition möchte man sagen, galt sie doch schon im 19. Jahrhundert als die "unkirchlichste Stadt des Reiches". Doch von der Kirche lassen kann der Staat keineswegs. Die gründlichste Trennung wurde 1918/19 im Zuge der Novemberrevolution erreicht, als nicht nur die Kirchensteuern, sondern auch der Religionsunterricht durch den Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat abgeschafft und dies von der ersten demokratisch gewählten Bürgerschaft bestätigt wurde. Beides wurde auf Reichsebene rückgängig gemacht. Mittlerweile hat sich die Hamburger Politik mit der Kirche arrangiert. Dazu zählen auch große Teile der Hamburger SPD, deren Mitglieder einst am entschiedensten für eine konsequente Trennung eintraten. Doch eine kritische, gar konfrontative Haltung ist nicht mehr auszumachen – gegenüber keiner Religionsgemeinschaft. Es bleibt die Frage, wie sich bei einer weiteren Säkularisierung Hamburgs und weiterem Bedeutungsverlust der Kirchen das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften neu definieren wird.

Zu dieser Thematik existiert bisher nur ein guter Aufsatz von Helmut Stubbe da Luz: Hamburger Staats-Säkularisierung. Die Trennung von Einkirchenstaat und Staatskirche (1848-1860-1923) und ihr Verhältnis seither, in: Isa Lübbers, Martin Rössler, Joachim Stüben (Hrsg.): Säkularisierung – ein weltgeschichtlicher Prozess in Hamburg. Staat und Kirchen von Napoleon bis zum Reformationsjubiläum (2017) (=Hamburg, Europa und die Welt, Band 4), S. 151-217, auf dem auch viele der hier getätigten Ausführungen basieren.

Am Dienstag, den 15. Dezember 2020 um 19:00 Uhr wird Helmut Stubbe da Luz für die gbs Hamburg zu "150 Jahre Trennung von Staat und Kirche in Hamburg" online einen Vortrag mit Diskussion über "Jitsi" halten. Alle weiteren Infos dazu finden sich unter gbs-hh.de.

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  1. Marie Elisabeth Hilger, Die unkirchlichste Stadt des Reiches?, in: Volker Plagemann (Hrsg.), Industriekultur in Hamburg. Des Deutschen Reiches Tor zur Welt (= Industriekultur deutscher Städte und Regionen), München 1984, S. 199-203. ↩︎
  2. Helmut Stubbe da Luz: Hamburger Staats-Säkularisierung. Die Trennung von Einkirchenstaat und Staatskirche (1848-1860-1923) und ihr Verhältnis seither, in: Isa Lübbers, Martin Rössler, Joachim Stüben (Hrsg.): Säkularisierung – ein weltgeschichtlicher Prozess in Hamburg. Staat und Kirchen von Napoleon bis zum Reformationsjubiläum (2017) (=Hamburg, Europa und die Welt, Band 4), Frankfurt am Main 2017, S. 151-217, hier S. 173. ↩︎
  3. Monatsschrift für die ev.-luth. Kirche in Hamburg St. I Jg. 1881, S. 348, zitiert nach Helga-Maria Kühn, Parallelen im historischen Rückblick, in: Landeskirchenamt Hamburg (Hrsg.), 100 Jahre Trennung von Staat und Kirche in Hamburg. 1870-1970, Hamburg 1970, S. 9-25, hier, S. 23. ↩︎
  4. Volker Stalmann (Hrsg.), Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat 1918/19. Unter Mitwirkung von Jutta Stehling (= Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/19, Band 4), Düsseldorf 2013, Dok. 52, 23. Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats, 7.12.1918, S. 348-355, hier S. 354. ↩︎
  5. Stalmann 2013, Dok. 52, 23. Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats, 7.12.1918, S. 348-355, hier S. 354. ↩︎
  6. Hamburger Fremdenblatt, 09.12.1918, Abend-Ausgabe. ↩︎
  7. Stalmann 2013, Dok. 61, 30. Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats, 19.12.1918,S. 406-411, hier S. 409-410. ↩︎
  8. Stalmann 2013, Dok. 61, 30. Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats, 19.12.1918,S. 406-411, hier S. 410. ↩︎
  9. Rainer Hering, Nationalistisch und hierarchiebewusst. Evangelische und Katholische Kirche, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), Hamburg im „Dritten Reich“, 2. durchgesehene Auflage, Hamburg 2008, S. 357-375, 736-737,hier S. 357. ↩︎
  10. Hering, Nationalistisch und hierarchiebewusst, S. 357. ↩︎
  11. da Luz, Hamburger Staats-Säkularisierung, S. 181. ↩︎