Der studierte Politik- und Sportwissenschaftler Florian Schubert informiert in seiner Studie "Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch" über die Judenfeindschaft in dieser Sportart. Dabei blickt er verständlicherweise über den Spielfeldrand hinaus und thematisiert vor allem das Fanverhalten, was dann im Sinne der qualitativen Sozialforschung geschieht.
Einen Alltagsantisemitismus gibt es auch im Fußball: Da geht es um die Beleidigung von Schiedsrichtern, die als "Jude" gelten, da singt man das "U-Bahn-Lied", wo die gegnerische Mannschaft nach Auschwitz gebracht werden soll; da wird gegenüber jüdischen Spielern auch schon mal "Juden zurück ins Gas" gerufen.
Gelegentlich findet man dazu knappe Meldungen in Zeitungen. Gleichwohl ist so etwas weder im Politik- noch im Sportteil ein großes Thema. Allenfalls gibt es Ausführungen dazu, wenn Journalisten den Kontext von Fußball und Rechtsextremismus thematisieren. Dies geschieht dann aber eben immer journalistisch und gerade nicht wissenschaftlich. Umso erfreulicher ist es, dass der studierte Politik- und Sportwissenschaftler Florian Schubert dazu eine Studie vorgelegt hat. Sein fast 500 Seiten starkes Buch "Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch" fragt nach Ausdrucksformen, Bedingungen und Funktionen judenfeindlicher Verhaltensweisen. Es gibt sie zwar weniger in der Bundesliga, aber sehr wohl im Fußball.
Um dies aufzuzeigen, bediente sich der Autor der Methoden der qualitativen Sozialforschung. Dazu gehörten Dokumentenanalysen, Experteninterviews, Faninterviews und Medienberichte, die nach gesonderten Fragestellungen ausgewertet wurden. Eine qualitative Arbeit bedeutet dabei keine quantitative Arbeit. Man darf also gegen Ende keine genauen Prozentzahlen erwarten. Aber zunächst zurück zum Inhalt: Der Autor steigt mit der Feststellung ein, dass beim Fußball ansonsten latent vorhandene Einstellungen häufig manifest werden und das eben auch für die Judenfeindschaft gelten würde. Zunächst macht er denn auch das Fußball- und Gesellschaft-Verhältnis deutlich, geht danach aber schon zum Forschungsstand zum Antisemitismus in Deutschland und zum Antisemitismus im Fußball über, wobei der letztgenannte eher unterentwickelt ist. Dem folgend finden sich Darstellungen zum Antisemitismus im Fußball im historischen Überblick, geht es doch um die 1980er Jahre in der Bundesrepublik und der DDR, und dann um die 1990er und 2000er Jahre.
Danach liefert der Autor eine interessante Typologie zu den Ausdrucksformen von Antisemitismus im Fußball, spricht etwa vom verbal artikulierten und visuell vermittelten Antisemitismus, vom Antisemitismus in Verbindung mit diskriminierenden Äußerungen, vom Antisemitismus gegen den politischen Gegner. Besondere Aufmerksamkeit findet danach der Antisemitismus gegenüber jüdischen Spielern und Vereinen, aber auch der Umgang mit dem Antisemitismus im Fußball durch die Polizei, Schiedsrichter, Verbände und Vereine. Und schließlich erörtert Schubert die Deutungen des Geschilderten, wobei er auch hier einen Antisemitismus als Tabubruch oder aus Vereins-Tradition im typologischen Sinne unterscheidet. Gern werde auch der Alkoholkonsum als Begründung für antisemitisches Verhalten vorgebracht. Gerade diese Ausführungen veranschaulichen, wie durch die jeweiligen Deutungen die Dimensionen und Hintergründe ignoriert oder verharmlost werden. Denn es gebe indessen sonst keinen Ort, wo Juden offen geschmäht würden.
Da sich der sichtbare Ausdruck von Antisemitismus eher aus der Bundesliga in die unteren Ligen verlagert hat und demgemäß die Judenfeindschaft in diesem Sport nicht mehr so intensiv wahrgenommen wird, macht die Studie von Schubert auf ein ansonsten unterschätztes Phänomen aufmerksam. Deren Dimension wird anhand von vielen Fallbeispielen veranschaulicht, wozu auch vereinzelte Fotos, aber mehrheitlich doch schriftliche Schilderungen gehören. Dem Autor kommt dabei das Verdienst zu, das Wissen um diesen Alltagsantisemitismus auf solider Grundlage bereichert zu haben. Da er dazu erstmal eine Fülle von Informationen aufarbeiten musste, gerät mitunter die Erörterung bestimmter Fragestellungen etwas an den Rand. Beachtenswert ist ja, dass die antisemitische Einstellung offenbar latent vorhanden war und in einer besonderen Situation des Sportereignisses manifest wird. Diese Einsicht lässt diverse Rückschlüsse zu. Hierzu verdient auch die Erörterung von anderslautenden Deutungen besonderes Interesse.
Florian Schubert, Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch, Göttingen 2019 (Wallstein-Verlag), 488 S., 39,90 Euro