Historische Analyse der religiösen Rechten in den USA

Bestseller beschreibt Aufstieg und Wirken der Evangelikalen

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Gottesdienst in der neocharismatischen Lakewood Church in Houston, Texas, die mit wöchentlich 40.000 Gottesdienstbesuchern die größte lokale Kirche in den Vereinigten Staaten ist

Die USA erleben unter Donald Trump einen konservativen Rollback sondergleichen, der wenig verdeckt von christlichen Fundamentalisten vorangetrieben wird. Pulitzerpreisträgerin Frances FitzGerald legt mit "The Evangelicals" eine umfassende Geschichte der weißen evangelikalen Bewegung vor und hat damit eines der Bücher der Stunde verfasst. Die Kritiker in den USA sind begeistert.

Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin und Historikerin stellt in "The Evangelicals. The Struggle to Shape America" die zentralen Figuren der Bewegung vor und zeichnet ihren nachhaltigen Einfluss auf die amerikanische Politik und Alltagskultur nach. Vor dem Hintergrund der religiösen Agenda der Trump-Administration schlägt Frances FitzGeralds 750-seitiges Werk ein wie eine Bombe. Gerade einmal seit Anfang der Woche auf dem Markt überschlagen sich die Kritiker.

Der Politologe und Experte für Religion und öffentliches Leben Alan Wolfe schrieb in der New York Times eine geradezu enthusiastische Hymne auf das Buch. Es sei ein echter Page-Turner und liefere endlich den überfälligen nüchternen Blick auf die Aktivitäten der Evangelikalen, die, wie es der Untertitel des Buches ankündigt, seit Jahren mit allen Mitteln darum kämpfen, Amerika nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Das Buch helfe zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass die Trennung von Staat und Religion von den Konservativen nahezu aufgegeben wurde.

Begeistert äußert sich auch die Historikerin Lily Rothman im Time Magazine. Frances Buch behandle die Ursprünge des konservativen Rollbacks dieser Tage derart gut, dass die Leser am Ende mit dem Gefühl zurückblieben, sich stärker mit dieser Bewegung und ihrer bedenklichen politischen Einflussnahme auseinanderzusetzen.

Die Fachzeitschrift des Buchhandels Publishers Weekly war von der thematischen Fülle des 750 Seiten dicken Wälzers angetan. FitzGerald führe "die Leser gekonnt in die Terminologie, die wichtigsten Debatten, die entscheidenden Wendepunkte sowie die Persönlichkeiten ein, die die Geschichte des weißen evangelikalen Protestantismus im letzten halben Jahrhundert geprägt haben." Ihr neuestes Werk sei ein gut zugänglicher und zur richtigen Zeit erscheinender Beitrag zu der schnell wachsenden Literatur über das Christentum im modernen Amerika.

Die renommierte New York Times Review of Books lobte die differenzierte Betrachtung der einzelnen charismatischen Unterströmungen in einem tiefgründigen Essay über die Herkunft der Evangelikalen. FitzGerald dokumentiere die feinen Unterschiede der verschiedene Fraktionen im biblischen Lager teilen und stelle dabei fest, dass nicht alle Evangelikalen so genannt werden wollen und fundamentalistische Christen nicht unbedingt das religiöse Recht unterstützen. Allerdings scheitere sie an ihrer diplomatischen Objektivität, so Autor Garry Wills, die verhindere, dass in diesem Buch eine grundsätzliche gesellschaftspolitisch-ethische Aussage zu den Evangelikalen getroffen werde.

Das Library Journal lobt die "exzellente Arbeit" von FitzGerald, die sicher bald als "Standardwerk" herangezogen werde, um die aktuellen evangelikalen Strömungen und ihre Versuche der politischen Einflussnahme zu verstehen. Und in der einflussreichen Kirkus Review schreibt Gregory McNamee, dass dieser Mix aus historischen Fakten und zeitgenössischer Reportage "wesentlich für die Interpretation der aktuellen politischen und kulturellen Landschaft" sei. Und Douglas Brinkley bewundert im Boston Globe, wie FitzGerald den Weg der Radikalisierung hin zur Trump-Adminstration aufzeigt.

"Wenige Bewegungen in unserer langen Geschichte haben einen so bedeutenden Einfluss auf das amerikanische Leben und dessen Alltagskultur gehabt wie das konservative Christentum. FitzGerald wird der Bedeutung und der Komplexität des Themas voll und ganz gerecht", schreibt Pulitzerpreisträger Jon Meacham. 

Beispielbild

Frances FitzGerald: The Evangelicals. The Struggle to Shape America. Simon and Schuster. 752 Seiten. 35,- US $

FitzGerald zeigt in ihrem Buch auf, wie der ursprüngliche Gedanke vieler erzkonservativer Protestanten, eine strikte Trennung von Staat und Kirche zu erreichen, weil keine weltliche Instanz an Gottes Reich heranreiche, im Laufe der vergangenen 150 Jahre ins Gegenteil verkehrt wurde. Ursächlich dafür sei FitzGerald ein Wechsel der Haltungen in der weißen evangelikalen Bewegung gewesen. Hätten sich die Führungsfiguren der charismatischen Christen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher gegen die Einflussnahme auf die weltliche Politik ausgesprochen, sei es in den siebziger Jahren nicht mehr um das ob, sondern nur noch um das wie gegangen.

Pat Robertson etwa missionierte erst jahrelang mit seinem CBN-Medienimperium im Interesse der erzkonservativen Protestanten, um 1988 mit seiner christlichen Agenda um das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Eine andere Ikone der rechtskonservativen Evangelikalen, der politische Berater Billy Graham, wurde zum wichtigsten religiösen Einpeitscher der republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower, Richard Nixon und George W. Bush sowie des demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson. Robertson und Graham sind Schlüsselfiguren für den ideologischen Wandel von der Trennung von Staat und Religion hin zu einer Unterwanderung des Staates durch religiöse Akteure und deren Agenda. Die Praxis zur Ideologie lieferten dann Fundamentalisten wie der calvinistische Prediger und Homeschooling-Verfechter R. J. Rushdoony oder der Autor und Filmemacher Francis Schaeffer, die den evangelikalen Jüngern erklärten, dass es ihr göttlicher Auftrag sei, sich gegen die gottlose Politik zu erheben.

FitzGeralds Geschichte ist umfassend, wenngleich aufgrund des Aussparens der evangelikalen schwarzen Kirchen nicht vollständig. Seine Stärke liegt in der detaillierten historischen Genese der Bewegung. Vor Jahren schon habe sie angefangen, "über die Geburt der moralischen Mehrheit" zu schreiben, kommentiert FitzGerald in Kirkus Review ihre Arbeit. Mehrmals habe sie das Thema zugunsten anderer Bücher wieder fallengelassen, sei aber immer wieder dahin zurückgekehrt. "Schließlich dachte ich, das es wichtig für unsere Geschichte ist und ich sollte mich damit auseinanderzusetzen, um darüber zu berichten. So fing ich ganz am Anfang an und baute meine Geschichte Kapitel für Kapitel auf."

Am Ende landet sie bei dem Phänomen, die auch Beobachter außerhalb Amerikas in den vergangenen Jahren beschäftigt haben: beim Aufstieg der christlichen Rechten, der Neocons und Tea-Party-Bewegung. All diese Begriffe stehen stellvertretend für die wachsenden Einflüsse einer Phalanx christlicher Rechtspopulisten auf die amerikanische Politik in den letzten 20 bis 30 Jahren. Sie gipfelten in der Wahl eines Präsidenten, dessen wichtigste Berater eine Schlüsselfigur der politischen Evangelikalen (Vize Mike Pence) und ein rechtsextremer Vordenker (Stephen Bannon) sind.

Donald Trump ist, seinem überwiegend säkularen Lebensstil zum Trotz, von einer überwältigen Mehrheit der Evangelikalen (81 %) ins Amt gehoben worden, nachdem die christliche Rechte jahrelang die Republikanische Partei unterlaufen und ihre Agenda in deren Strukturen hat einsickern lassen. Trump hat ihnen im Gegenzug zu Beginn seiner Amtszeit in Aussicht gestellt, das Johnson-Amendment zur Trennung von Staat und Kirche zu "zerstören".

FitzGerald zeigt aber auch, wie sich auch Trumps Vorgänger Barack Obama mit Zugeständnissen in der Gesundheits- und Pflegepolitik bemüht hat, die fundamentalistischen Christen für seine Kampagne zu gewinnen. Dieses Unterfangen scheitert im Grunde mit Ansage, da die Aussparung der charismatischen schwarzen Kirchen, wie sie sich zur Zeit von Martin Luther King etabliert hat, einen Großteil der christlichen Unterstützer Obamas ausmachte. Spätestens mit der Reform des Gesundheitssystems (Obamacare) und der Kostenübernahme von familienplanerischen Maßnahmen war das Tischtuch zwischen den Demokraten und dem evangelikalen Amerika aber zerschnitten. Evangelikale haben sich ihrerseits immer stärker mit politischen Themen befasst. Sie machen sich inzwischen mehr Gedanken über die obersten weltlichen Gerichte als über ihren nicht-weltlichen Richter.

Auf den letzten Seiten lässt die Historikerin ein kleines Licht der Hoffnung aufscheinen. Trump und seine Administration seien der Beleg dafür, dass der Bogen überspannt sei. Die verzweifelte Do-it-yourself-Politik des Immobilienmoguls sei das letzte Aufbäumen einer Bewegung, die sich im Moment ihres größten Erfolgs schon wieder im Zerfall befinde. Die Zahlen der Evangelikalen seien ebenso rückläufig wie der Einfluss protestantisch-charismatischer Figuren oder evangelikaler Organisationen.