Vor 100 Jahren veröffentlichte der berühmte britische Schriftsteller Arthur Conan Doyle Fotografien von Elfen. Er war überzeugt, dass sie die Existenz der kleinen mythischen Wesen beweisen. Die Geschichte der "Cottingley Fairies" sorgte für hitzige Diskussionen und ist bis heute eines der lehrreichsten Beispiele für pseudowissenschaftliches Denken.
Viele Fans des Meisterdetektivs Sherlock Holmes trauen ihren Augen nicht, als sie 1920 die Dezember-Ausgabe des Londoner Strand Magazine aufschlagen. Ausgerechnet Arthur Conan Doyle, der Erfinder des analytischen und stets der Wissenschaft verpflichteten Meisterdetektivs, hat dort einen Artikel über Elfen veröffentlicht. Doyle glaubt, dass Elfen tatsächlich existieren. Und um das zu beweisen, liefert er Fotografien der mythischen Wesen gleich mit.
Die Geschichte dieser Elfen-Fotografien beginnt drei Jahre zuvor in Yorkshire am Rande der Industriestadt Bradford. Während des Ersten Weltkriegs zieht die neunjährige Frances Griffiths mit ihrer Mutter von Südafrika zu Verwandten in das Dorf Cottingley. Oft spielt sie mit ihrer sechzehnjährigen Cousine Elsie Wright am Bach im Garten der Familie und beobachtet dabei Elfen und Gnome. Das jedenfalls erzählen die beiden Mädchen ihren Müttern, als diese nicht sonderlich erfreut darüber sind, dass die Kinder regelmäßig mit nassen Kleidern heimkommen. Weil die Mütter den Mädchen ihre Elfenbeobachtungen nicht abnehmen, leihen sich die beiden die Kamera von Elsies Vater, um Beweisfotos anzufertigen. So entstehen in den Sommermonaten des Jahres 1917 zwei inzwischen berühmte Fotografien. Das eine zeigt Frances mit einem Reigen tanzender Elfen, das andere Elsie mit einem geflügelten Gnom.
Elsies Vater ist fest davon überzeugt, dass die Mädchen die Fotografien gefaked haben. Umso mehr, als seine Tochter Elsie nicht nur für ihre Kreativität bekannt ist, sondern auch einige Zeit in einem Fotogeschäft gearbeitet hat. Elsies Mutter hingegen glaubt an die Echtheit der Fotografien. Als sie zwei Jahre später einer Veranstaltung der mystisch-religiösen Theosophischen Gesellschaft über Elfen beiwohnt, zeigt sie dort die Fotos der Mädchen. Und so nimmt die Geschichte der "Cottingley Fairies", der Elfen von Cottingley, ihren Lauf.
Seitens der Theosophischen Gesellschaft wird zunächst eine ausführliche technische Prüfung der Bilder eingeleitet. Auch Fotoexperten der Firma Kodak werden zu Rate gezogen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Fotografien nicht um Doppelbelichtungen handelt, sondern um authentische Fotografien, die nicht im Studio, sondern draußen bei Tageslicht entstanden sind. Aus der Tatsache, dass keine technische Manipulation der Fotoplatten stattgefunden hat, schließen die Auftraggeber der Tests, dass die Fotos tatsächlich Elfen zeigen. Doch man will auf Nummer sicher gehen und bittet die Mädchen, mit anderen Kameras und markierten Glasnegativ-Platten weitere Elfen-Fotos zu schießen. Frances und Elsie willigen ein, bestehen allerdings darauf, beim Fotografieren allein zu sein, da sich die kleinen Wesen sonst nicht zeigen würden. So entstehen 1920 drei weitere Elfen-Fotos. Erneut können die Fotografie-Experten keine technische Manipulation feststellen.
Auch Arthur Conan Doyle wird auf die Angelegenheit aufmerksam und schließt sich der Echtheitsprüfung der Fotografien an. Während Doyles literarischer Sohn Sherlock Holmes mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Realität steht, begeistert sich Doyle für mystische und paranormale Phänomene. Er ist Spiritist und fest davon überzeugt, dass es eine jenseitige Welt gibt, mit der man in Kontakt treten kann.
Doyle ist mit dieser Auffassung nicht allein. Der Spiritismus war im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine weltweite Bewegung. Allein in den Vereinigten Staaten hatte sie mehrere Millionen Anhänger. Eine Spezialität dieser Bewegung ist die spiritistische Fotografie. Fotos, die neben einer fotografierten lebenden Person auch Geister, Schatten oder Erscheinungen aller Art enthalten, welche von Spiritisten für Abbildungen von Wesen der jenseitigen Welt gehalten werden. Auch Arthur Conan Doyle glaubt, dass sich Geister mittels der Fotografie sichtbar machen lassen. So wie der Geist seines Sohnes, der in Folge des Ersten Weltkriegs starb und nach seinem Tod anscheinend auf einem Portraitfoto Doyles auftauchte.
Der Spiritismus jener Zeit ist unschwer zu erkennen als Versuch, sich der materialistischen Entzauberung der Welt zu widersetzen, die damals gerade stark voranschreitet. Bemerkenswert ist, dass er versucht, sich dabei derselben Mittel zu bedienen, die für ihre Entzauberung gesorgt haben: Aufklärung und Naturwissenschaft. Da die Wissenschaft während des 19. Jahrhunderts viele unsichtbare Kräfte nachweisen konnte, von der Elektrizität bis zur Röntgenstrahlung, warum sollte man mit ihrer Hilfe dann nicht auch in der Lage sein, Geister und andere Wesen in parallelen Welten nachzuweisen? So die Logik spiritistischen Denkens, das sich selbst als durch und durch wissenschaftlich versteht.
Arthur Conan Doyle wird nach dem Ersten Weltkrieg zu einem der wichtigsten Missionare des Spiritismus. Und ausgerechnet ein Meister der Illusion wird zu seinem stärksten Gegenspieler: der Zauberkünstler Harry Houdini. Er klärt die Öffentlichkeit und auch Doyle persönlich immer wieder darüber auf, wie man mit Tricks spiritistische Effekte erzeugen kann, in Seancen ebenso wie auf Fotografien. "Von einem logischen, rationalen Standpunkt aus betrachtet, ist die spiritistische Photographie eine unverfrorene Täuschung und zeugt von der Leichtgläubigkeit jener, die mit dem Aberglauben des Okkultismus sympathisieren", so Houdini in seinem Werk "A Magician Among the Spirits". Doch obwohl Doyle um alle möglichen Tricks weiß, ist er davon überzeugt, dass es auch echte Fotografien gibt, die übersinnliche Phänomene dokumentieren.
Als Arthur Conan Doyle 1920 von den Fotografien der Cottingley Fairies erfährt, sind die Fotos für ihn ein Wink des Schicksals. Zwar gehören Elfen nach allgemeinem Verständnis nicht der jenseitigen Welt an, der Welt der Toten, doch wenn es möglich ist, die magische Parallelwelt der Elfen im Diesseits fotografisch zu dokumentieren, dann ist damit zumindest die Existenz paralleler Welten belegt, so der Gedanke Doyles: "Die Anerkennung ihrer Existenz wird den materiellen Geist des zwanzigsten Jahrhunderts aus seiner irdenen Schlammspur reißen und ihn dazu bringen zuzugeben, dass es einen Glanz und ein Geheimnis im Leben gibt. Wenn die Welt dies entdeckt hat, wird es ihr nicht mehr so schwer fallen, jene spirituelle Botschaft zu akzeptieren, die sich auf physikalische Fakten stützt und die ihr bereits so überzeugend vor Augen geführt wurde."
Doyle ist sich seiner Sache so sicher, dass er die Fotografien der Cottingley Fairies 1920 in der Weihnachtsausgabe des Londoner Strand Magazines veröffentlicht. Ein durchschlagender Erfolg für seine spiritistische Mission wird die Veröffentlichung jedoch nicht. Die Welt zeigt sich eher verwundert, dass der respektable Schöpfer von Sherlock Holmes tatsächlich an Elfen glaubt. Doch Arthur Conan Doyle bleibt zäh. 1922 schreibt er sogar ein Buch über die Cottingley Fairies: "Die Elfen kommen". Zu einem signifikanten Anstieg an Elfengläubigkeit in der Gesellschaft führt jedoch auch dies nicht.
Und die Fotos? Zeigen sie nun echte Elfen oder nicht? Die Einzigen, die dies mit Bestimmtheit sagen können, sind die Urheberinnen der Fotografien. Viele Jahrzehnte lang schwiegen sie. Erst Anfang der 1980er Jahre, als beide schon alte Damen sind, geben Elsie Wright und Frances Griffiths zu, dass sie bei den Fotografien getrickst haben. Aus einem Kinderbuch, Princess Mary's Gift Book, haben sie tanzende Frauenfiguren abgemalt und mit Flügeln verschönert. Die ausgeschnittenen Zeichnungen versahen sie mit Hutnadeln, steckten sie ins Gras und lichteten sich gemeinsam mit den Figuren ab. Nie sei das Ganze als Betrug geplant gewesen, erklärten die beiden 1983 in einem Fernsehinterview. Man habe einfach ein wenig Spaß haben wollen. Doch als die Fotos öffentlich wurden und noch dazu ein so brillanter Mann wie Arthur Conan Doyle die Fotos für echt erklärte, habe man nicht mehr zurück gekonnt.
Die Cottingley Fairies gelten heute als eine der größten Schwindeleien des 20. Jahrhunderts. Und obwohl der Fall nun bereits 100 Jahre zurückliegt, zeigen sich erstaunliche Parallelen zur Gegenwart. Bis heute nutzen die Anhänger von kruden Theorien gefälschte Fotografien und andere gefälschte Dokumente, um die eigenen Ansichten zu belegen. Nicht selten empfinden sie ihr Tun und Denken auch als wissenschaftlich, obwohl es das nicht ist. Denn es ignoriert einen Grundpfeiler wissenschaftlichen Arbeitens, den – welch Ironie! – ausgerechnet der elfengläubige Arthur Conan Doyle höchst prägnant formuliert und seinem Meisterdetektiv Sherlock Holmes in den Mund gelegt hat: "Es ist ein schwerer Fehler, Theorien aufzustellen, bevor man Informationen hat. Man fängt dann unmerklich an, die Fakten so zu verdrehen, dass sie zu den Theorien passen, statt die Theorien den Fakten anzupassen."
2 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Yorkshire ist in der Tat märchenhaft; speziell die Yorkshire dales.
Ansonsten ein schöner Bericht über die Fotos.
Nur mag ich solche Denglish-Anglizismen wie downgeloaded (oder gedownloaded?) nicht besonders; statt "gefaked" also einfach besser gefälscht?
Manuel Albert F... am Permanenter Link
Liebe Frau Wakonigg,
Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch