Ein junger Historiker – nach eigener Definition "Geschichtenerzähler" – lädt ein, ihn auf einer unterhaltsamen Reise durch die Geschichte (Groß)Britanniens zu begleiten. Von den dunklen Anfängen bis zum Brexit, den er als vorläufigen Höhepunkt einer immer unberechenbar gebliebenen Mentalität "dieses merkwürdigen Inselvolkes" wahrnimmt, wobei er zeigen will, dass es in dessen Geschichte bereits zahlreiche ähnliche Weggabelungen mit wechselhaften Beziehungen zu Europa gab und der Brexit somit auch keine allzugroße Überraschung darstellt.
Das erzählerische Credo des Autors – "Es gibt keinen Grund, Geschichte professorenhaft-trocken niederzuschreiben, schon gar nicht die Geschichte Englands. Sie ist doch zum Wegschmeißen komisch!" – findet sich am vorderen Bucheinband und entsprechend humorvoll locker, zuweilen auch flapsig, mit zahlreichen Aperçus zu gegenwärtigen politischen Erscheinungen und Personen, führt er durch 2.000 Jahre Britannien bis Großbritannien (die allerdings meist keineswegs "komisch" verliefen).
Die im Buch erzählte Geschichte beginnt mit den Kelten (ab dem 5. Jhdt. v. Chr.) und Julius Cäsars Griff 55 v. Chr. nach Britannien: "… damit beginnt die große, konfliktbeladene Geschichte zwischen der britischen Insel und dem europäischen Kontinent, die bis heute nicht enden will." Von da an stehen – mit Unterbrechungen und Rebellionen (z. B. durch Königin Boudicca) große Teile der Insel für nahezu 500 Jahre unter römischer Herrschaft (mit auch entsprechend wirtschaftlicher, geistiger und kultureller Entwicklung). Nach dem Abzug der Römer folgt eine Einwanderungswelle von Angeln, Sachsen, Friesen, Jüten und löscht die Überreste älterer Kultur fast vollständig aus. Es entstehen mehrere miteinander konkurrierende Kleinkönigreiche, ab dem 6. Jhdt. kam es zur Christianisierung. Heftige Erschütterungen und Veränderungen mit grausamen Kämpfen brachte die Eroberung der Insel durch die Wikinger ab 793 und die Normannen im Jahr 1066 ("… so vieles von dem, was wir heute als typisch englisch betrachten, geht auf die Normannen zurück", S. 67).
Um die Beschreibung kurzzuhalten: 1215 kam es mit der Magna Carta zur Entstehung des englischen Parlamentarismus, wenig später verlor man alle englischen Besitzungen auf dem europäischen Kontinent, "als erster Brexit der Geschichte". In der Folge kam es zu wirtschaftlichen Fortschritten mit einer Verdreifachung der englischen Bevölkerung auf ca. 6 Millionen. Nach weiteren Kriegen (100-jähriger und Rosenkriege) veränderte Heinrich VIII das Land abermals grundlegend durch seinen Bruch mit Rom und der Gründung der anglikanischen Kirche. Unter seiner Nach-Nachfolgerin Elisabeth I. wurde England wirtschaftlich, kulturell und im Geistesleben zu einer Weltmacht (Kolonialmacht), ihre Nachfolger der Stuart-Epoche führten das Land wiederum in schwierige Zeiten mit Kriegen, Bürgerkrieg und Restaurationspolitik. Die "Glorious Revolution" 1688/89 führte mit der Durchsetzung der "Bill of Rights" zur Gründung des modernen Regierungssystems mit dem Parlament als Träger der Staatssouveränität. 1707 trat der "Act of Union" in Kraft, damit wurden die Königreiche England und Schottland endgültig miteinander vereint und bilden den neuen Staat Großbritannien.
Die Deutschen (Welfen) auf dem Thron ("die Zeit der Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover ist eine skurrile und ereignisreiche Zeit der britischen Geschichte", S. 130) bis hin zu Königin Viktoria, der "Großmutter Europas", bildet ein weiteres Kapitel des Buches (aus einer illegitimen Beziehung des Hannoveraners "König Wilhelm IV" stammt David Cameron: "Der dürfte in den späteren Geschichtsbüchern Großbritanniens fast noch eine schlechtere Figur abgeben als Georg III", S. 135). Großbritannien wurde zur Weltmacht in nie dagewesener imperialer Größe, die aber in den beiden Weltkriegen und den daran anschließenden Konflikten (Indien, Suezkrise etc.) wiederum verloren ging. "Langsam dämmerte es den meisten in Großbritannien, dass die Zeit als Weltmacht wohl endgültig vorbei sei." S. 182).
1973 wurde Großbritannien Mitglied der EG, mit der Wirtschaft ging es trotzdem bergab – Streiks mit massiven Stromausfällen usw. lähmten das Land –, bis 1979 Margaret Thatcher Premierministerin wurde und radikale Reformen durchzog. In der EG erreichte sie mit "I want my money back" den sog. "Briten-Rabatt", der bis heute gilt, die Bevölkerung aber trotzdem nicht EU-freundlicher stimmt (obwohl David Cameron beim Amtsantritt 2005 "Stop banging on about Europe" verkündet hatte).
"Ist der Brexit nun wirklich die epochale, alles verändernde Entwicklung, wie sie im Licht der letzten Jahrzehnte aussieht?" (S 197). "Doch wer weiß schon, was den Briten und Europäern in Zukunft noch so bevorsteht. Eines kann man mit Sicherheit sagen: Weit voneinander werden die beiden nie sein. Ob sie nun wollen oder nicht" (S. 199).
Die in der Einleitung des Buches verkündete Absicht des Autors, nicht Wissen zu schaffen, sondern mit einer "Serie von unterhaltsamen und lehrreichen Anekdoten, chronologisch gereiht und halbwegs schlüssig miteinender verbunden" Geschichte zu erzählen, ist ihm sehr gut gelungen. Für manche Leserinnen und Leser könnte die Häufigkeit humoriger Nebenbemerkungen und die Flapsigkeit mancher Formulierungen eventuell etwas reduzierter sein, die jugendliche Frische dieser Form von Geschichtsvermittlung wird aber vermutlich viele, vor allem jüngere Leser ansprechen, bzw. sogar begeistern. Das Buch kann als kompakt wissensvermehrende, sehr unterhaltsame Lektüre, als, wie der Autor schreibt, eine Art von "Brexit-Beipackzettel" uneingeschränkt empfohlen werden.
Ralf Grabuschnig: "Endstation Brexit", Tectum Verlag Baden-Baden 2018, ISBN 978-3-8288-4131-4, 199 Seiten, 18,95 Euro