Eine häufig ignorierte Episode der Geschichte der Weimarer Republik

Erinnerungen an Kapp-Putsch und Generalstreik

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Putschende Soldaten mit Transparent "Halt! Wer weitergeht wird erschossen" am Wilhelmplatz vor dem abgeriegelten Regierungsviertel
Putschende Soldaten mit Transparent "Halt! Wer weitergeht wird erschossen" am Wilhelmplatz vor dem abgeriegelten Regierungsviertel

Der Filmemacher und Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger beschreibt in seinem Buch "Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee" die Ereignisse nach dem ersten Umsturzversuch gegen die Weimarer Republik. Damit werden bedeutsame Ereignisse auch der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts dem Vergessen entrissen, wozu eben auch ein erfolgreicher Generalstreik gegen einen Putschversuch gehörte.

Am 13. März 1920, also vor 100 Jahren, besetzten zwei Freikorps-Brigaden das Berliner Regierungsviertel und beanspruchten selbst die politische Macht. Da sich die Reichswehr dazu neutral oder zustimmend verhielt, musste die Regierung fliehen. Man rief zum Generalstreik auf, um gegen die Putschisten vorzugehen und die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen. Diesem schlossen sich hunderttausende Menschen an, die damit das ganze Land lahmlegten und somit das Scheitern des Unternehmens bewirkten. Bis hierhin hätte diese politische Entwicklung eine Sternstunde der gerade gegründeten Weimarer Republik sein können. Doch nun erhoben die Anhänger der gerade wiedererwachten Rätebewegung weitergehende Forderungen, welche die legale Regierung nicht umsetzen wollte. Daraufhin setzte man den Streik nun gegen sie fort. Die Regierung aktivierte daraufhin jene Streitkräfte, die vor kurzem noch auf der anderen Seite standen, um die aufgekommene "Rote Ruhrarmee" und andere Streikbewegungen niederzuschlagen.

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Diese Ereignisse, die als "Kapp-Putsch und seine Folgen" bekannt wurden, sind heute kaum noch im historischen Gedächtnis präsent. Auch die Forschung hat sich damit nicht gründlich beschäftigt, einschlägige Monographien erschienen vor langer Zeit. Der Filmemacher und Sozialwissenschaftler Klaus Gietinger legt dazu jetzt eine Gesamtdarstellung vor, die als "Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee" erschien und auf Grundlage alter und neuer Quellen geschrieben wurde. Letzteres zeigt sich auch daran, dass er die damalige Entwicklung in bestimmten Regionen wie etwa dem Ruhrgebiet genau darstellen kann. Dabei orientiert sich der Autor meist an einzelnen Personen, was die zahlreichen Portraitfotos auf den Seiten nahelegen. Dies geschieht aber nicht in einer nüchternen Darstellungsform wie bei Historikern üblich. Denn durch das Buch ziehen sich etwas missionarisch zwei Botschaften: "Es war der Anfang vom Ende Weimars …" (S. 7) und "Die SPD-Führung und die Weimarer Koalition sind … am Aufkommen des Faschismus mitverantwortlich" (S. 276).

Seine Darstellung setzt bereits 1918 ein, wo sich die kommenden Ereignisse abzeichneten, waren doch die bestehenden militärischen und politischen Machtfaktoren nicht wirklich beseitigt worden. Und der Autor weist bereits hier immer wieder darauf hin, dass ein solcher Bruch nicht von der SPD forciert worden sei. Dann beschreibt er die Ereignisse des "Kapp-Putsches" näher, widmet aber auch den Abwehrkämpfen beim Generalstreik besonders großes Interesse, jeweils aufgeteilt nach den unterschiedlichen Regionen. Und dann geht es auch ausführlich um den Aufbau eines neuen Rätesystems, das nach der Niederschlagung des Putsches von vielen Streikenden als Ziel angesehen wurde. Gietinger differenziert hier, denn je nach dem konkreten Ort verhielt es sich durchaus unterschiedlich. Er betont auch zutreffend, dass die Akteure auf solche Entwicklungen nicht vorbereitet waren und eben daher keine Konzepte hatten. Quellenkritisch geht der Autor auch auf historische Legenden ein, etwa die zu angeblichen Gräueltaten der "Roten Ruhrarmee".

Gerade dadurch, dass er sowohl den Generalstreik und die Folgen ins Zentrum stellt, wird das historische Wissen bereichert. Denn in den wenigen Arbeiten zum Thema geht es meist nur um den Putsch selbst. Insbesondere die Ausführungen zum "weißen Terror", wobei die "Regierungstruppen" nun gegen die Streikenden vorgingen, machen an vielen regionalen Beispielen die ganze Dimension der Ereignisse überdeutlich. In die Beschreibungen sind häufig Kommentare integriert, ohne sie aber genauer in einer Erörterung mit differenzierten Reflexionen zu verbinden. Dies gilt insbesondere für die Darstellung der SPD, die kontinuierlich als übler Faktor im Machtkampf vorgestellt wird. Eine solche Einschätzung ist sicherlich nicht falsch, aber in dieser Pauschalität problematisch. Denn Gietinger berücksichtigt viel zu wenig, in welchen machtpolitischen Kontexten die Partei ihre Politik machen musste. Darüber hinaus idealisiert er die "Rote Ruhrarmee", die zwar keine bolschewistische Diktatur anstrebte, aber auch kein klares Alternativprogramm hatte.

Klaus Gietinger, Kapp-Putsch. 1920, Abwehrkämpfe, Rote Ruhrarmee, Stuttgart 2020 (Schmetterling-Verlag), 325 S., 19,80 Euro

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