Ein Roman über die Banalität des Bösen

Schatten aus vergilbten Briefen

briefe_alt.jpg

Inspiriert von vergilbten Briefen, die sie in einer Kiste fand, rekonstruiert Marlene Pfaffenzeller das Leben eines Mannes. Frieder, der angepasst und unkritisch seinem Führer und dem deutschen Volk dienen möchte, schrieb die Briefe von den Fronten des 2. Weltkrieges.

In ihrem dritten Buch setzt sich Marlene Pfaffenzeller mit der Rolle der Täter*innen auseinander. Die Geschichte beginnt schon vor Frieders mit der Geschichte seiner Eltern. Auch hier findet sich Post aus einem der von Deutschen besetzten Gebiete: dem Osten Afrikas. Die Briefe schrieb Frieders Vater an seine Eltern. Unverkennbar ist hier das systemische Element, das den Leser*innen einiges offenbart, jedoch nie analysiert.

Wir begleiten Frieder, der diesen Namen bekam, weil seine Mutter fand, er klinge nach Frieden. Von seiner Geburt bis zu seinem frühen Tod lernen wir wichtige Stationen seines Lebens kennen, seine Erwartungen vom Leben, seine Karrierewünsche, was er von seiner zukünftigen Frau erwartet (zum Beispiel Gehorsam) und wie er sich klaglos und mit einer gewissen Begeisterung für die Heimat opfern möchte.

Cover

Das Deskriptive des Romans ist seine große Stärke und zugleich die große Herausforderung. Die Dialoge und Äußerungen der Figuren sind sehr authentisch und dadurch teilweise schwer auszuhalten. Diese Spiegelung der Art zu denken und ergo zu handeln der damaligen Mehrheit der Gesellschaft: nationalistisch, rassistisch und zutiefst antifeministisch – macht deutlich, wie es zu den Ungeheuerlichkeiten Nazi-Deutschlands kommen konnte.

Dem stehen liebevolle Reflexionen über die Natur und einige kurze, einfühlsame Einblicke in die Situation der Frauen gegenüber. Sie bilden einen seltsamen Widerspruch zu den Grauen des Krieges, der Banalität des Alltags und dem Denken der Menschen. Diese Diskrepanz wird so zu einem der roten Fäden des Romans.

Nur ganz selten schimmert die Ironie der Verfasserin zwischen den Zeilen auf und entlässt uns kurz aus dieser Zeit in die Zeitlosigkeit eines grenzübergreifenden Pazifismus.

Fast am Ende des Romans beschreibt sie, wie auch die Täter mit ihren Erinnerungen leben müssen – falls sie nicht in dem von ihnen bejubelten und kaum verstandenen Krieg umkommen.

Dieser Roman ist eine Warnung und einer der vielen Versuche, diesen Teil deutscher Geschichte zu verstehen. Der Protagonist der Rahmenhandlung, Karl, denkt es in aller Deutlichkeit:

"Scharlatane, scheinbar allmächtige Führer und Heilsversprecher, die einfache Lösungen für komplexe Herausforderungen versprechen und die auf jede Frage eine unumstößliche Antwort geben, sind eine Gefahr für den Planeten mit all seinen Lebewesen."

Marlene Pfaffenzeller, … Schatten aus vergilbten Briefen, Kulturmaschinen 2021, 26 Euro (gebunden), 16 Euro (kartoniert)

Unterstützen Sie uns bei Steady!