Erster Humanistischer Salon in Potsdam

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Frank Spade hielt den Einführungsvortrag "Ist humanistisch mehr oder nur anders als christlich?"
Frank Spade

Klein, aber fein – so startete der erste Humanistische Salon in Potsdam. Am 27. August 2018 traf sich ein Quartett von Humanisten in der Geschäftsstelle des HVD-Regionalverbandes Potsdam zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe. Konzipiert hat diese Frank Spade, langjährig als Berater für die Patientenverfügung beim HVD in Berlin tätig. Nun engagiert er sich auch in seinem Ruhestand weiter für den Verband.

Ist humanistisch mehr oder nur anders als christlich? – Mit einem kleinen Vortrag führte Frank Spade zunächst knapp, verständlich und an manchen Stellen auch humorvoll in das Thema ein. Anhand statistischer Zahlen verdeutlichte er, dass die Mitgliederzahlen der Kirchen seit Jahren sinken. Er verglich religiöse und humanistische Positionen und fragte, ob es nicht sinnvoll sei, sich jetzt auf den größten gemeinsamen Nenner zu besinnen, unter dem eine multikulturelle Gesellschaft friedlich zusammenleben kann, den Humanismus? Eine lebhafte Diskussion rund um Religion, Humanismus und Gesellschaft folgte, auch mit dem Verweis: Humanisten brauchen mehr Räume zur Begegnung und zum Austausch.

Mit der neuen Veranstaltungsreihe will der HVD Potsdam dafür jetzt ein Angebot schaffen. Bisher war der Verein vor allem im Bereich der Jugendfeiern aktiv. Etwa 700 Mädchen und Jungen nehmen jährlich daran teil. Der HVD erreicht so mit seinem Angebot tausende Menschen in der Landeshauptstadt. Ein wenig im Kontrast dazu steht, dass der Verein in Potsdam ansonsten in der Öffentlichkeit kaum präsent ist. Und das in einer Region, in der die multikulturelle Gesellschaft, um beim Thema des ersten Salons zu blieben, schon vor über 300 Jahren politisches Programm war.

"Jeder soll nach seiner Façon selig werden" hieß es unter Friedrich II. Die für Preußen in wirtschaftlicher Hinsicht nicht ganz uneigennützige Toleranz und Offenheit gegenüber Einwanderern und religiösen Minderheiten, wie Hugenotten und Katholiken, wurde aber schon weit vor seiner Amtszeit praktiziert. Brandenburg war durch den 30-jährigen Krieg, der vor 400 Jahren begann, als Auf- und Durchmarschgebiet für marodierende Söldnerheere stark zerstört worden. Unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) wurden mit dem "Edikt von Potsdam" (1685) etwa 20.000 verfolgte Hugenotten in Brandenburg aufgenommen. Die liberale Einwanderungs- und Ansiedlungspolitik trug dazu bei, die zum Teil stark verwüstete und von hohen Bevölkerungsverlusten betroffene Region wieder aufzubauen und wirtschaftlich zu entwickeln.

Zivilgesellschaftliche Kräfte haben 2008 das Potsdamer Toleranzedikt erneuert. 2009 gründete sich dafür ein Verein, der sich bis heute u. a. in der Flüchtlingshilfe engagiert. 2015, als auch nach Potsdam verstärkt Flüchtlinge kamen, erhielt das neue Potsdamer Toleranzedikt eine überaus aktuelle Bedeutung. Die Neuankömmlinge sind, so scheint es, bei vielen Bürgern willkommen. Zwei, drei Versuche, in Potsdam eine "Pogida" zu etablieren, scheiterten. Auf der Kehrseite der Medaille steht, dass im neuen Landtag, der hinter der historisierenden Fassade des ehemaligen barocken Stadtschlosses seinen Sitz hat, 2014 die AfD eingezogen ist – mit aktuell weiter hohen Zustimmungswerten im Land Brandenburg.

Trotz altem und neuem Toleranzedikt – auch in Potsdam schwelen Konflikte. Ein  Hauptstreitpunkt ist der Wiederaufbau der Garnisonkirche. Oder genauer gesagt: der Aufbau einer Kopie der barocken preußischen Militärkirche, denn die letzten historischen Bauteile, die Fundamente, werden dieser Tage gerade für die Neugründung des Turmes zerstört. Das Bauvorhaben genießt hohe politische und mediale Aufmerksamkeit. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schirmherrschaft übernommen.

Doch für viele kann die Garnisonkirche den "Tag von Potsdam", den Makel des symbolischen Handschlags zwischen Hitler und Hindenburg im März 1933, nicht abschütteln. So wird vor allem die politische Geschichte der Kirche im 20. Jahrhundert kontrovers diskutiert. Für die einen war sie eine "Nazi-Kirche", für andere wurde sie lediglich von den Nazis missbraucht. Fest steht: In den 1920er Jahren mutierte die Garnisonkirche für Kaisertreue, Völkische und Rechte zum symbolisch aufgeladenen Wallfahrtsort, wie der Journalist Matthias Grünzig in seinem Buch "Für Deutschtum und Vaterland" detailreich nachwies. Im April 1945 durch Bombenangriffe stark zerstört, wurde die barocke Kirche 1968 durch "SED-Willkür" gesprengt. Dass auch hier die Gründe, die zum Abriss der Kirchenruine führten, etwas komplexer waren, ist bei Grünzig ebenso nachlesbar.

In der Potsdamer Stadtgesellschaft ist die Neuerrichtung der Kirche umstritten. Vielleicht auch, weil politische Repräsentanten höchst einseitig Partei ergriffen haben. Nicht nur das millionenteure Grundstück wurde an die Evangelische Kirche rückübertragen. Auch Politiker wie Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs oder die Brandenburgische Kultur- und Wissenschaftsministerin Martina Münch sind mit Sitz und Stimme im Kuratorium der Stiftung tätig – von staatlicher Neutralität keine Spur. Doch weder Kritiker aus den Reihen der Kirche selbst, wie der evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer oder die Martin-Niemöller-Stiftung, noch die teils skurril-anarchistischen Aktionen der links-alternativen Szene Potsdams, haben das Projekt stoppen können. Vor kurzer Zeit begannen, obwohl die Finanzierung immer noch nicht vollständig gesichert ist, die Arbeiten zur Errichtung des Turms.

An anderer Stelle wird in der Potsdamer Innenstadt, die durch die Bombenangriffe 1945 teils stark zerstört wurde, auf Überkommenes weniger Wert gelegt. Gerade wurde die direkt neben dem Landtag gelegene Fachhochschule abgerissen, ein Bau aus den 1970er Jahren, der als Ausbildungsstätte für Unterstufenlehrer (nach heutiger Diktion Grundschullehrer), errichtet worden war. Gut 30 Jahre wurde das Gebäude nicht saniert und dem Verfall preisgegeben, obwohl bis vor kurzem noch die Fachhochschule Potsdam dort ihren Sitz hatte. 14.000 Stimmen hatte eine Bürgerinitiative gegen den Abriss gesammelt. Die Stadtverwaltung lehnte sie als "nicht zulässig" ab. Ein Filetstück mit Millionenwert in zentralster Lage und bisher in öffentlichem Eigentum wird privatisiert – um den Stadtgrundriss der barocken Innenstadt wiederzugewinnen. Rekonstruktion von Preußen-Barock hier, Abriss der Ostmoderne da – dies führt bei einem Teil der Potsdamer  inzwischen zu Verbitterung und Politikverdrossenheit, die manchen auch "Protest" wählen lässt.

Nun waren die aktuellen Entwicklungen in Potsdam, die hier nur knapp und unvollständig angedeutet werden können, nicht Thema des ersten Humanistischen Salons. Der kleine Exkurs über Potsdam ist eher als Hintergrund für die Leser dieses Beitrages eingeflossen. Irgendwann kam aber das Gespräch – wie kann es anders sein, wenn sich Potsdamer treffen – auch in der aktuellen Stadtpolitik und nicht zuletzt bei den unter der Decke schwelenden Ressentiments zwischen Zugezogenen und Alteingesessen an. Ob der Humanistische Verband vielleicht auch hier einmal Gesprächsangebote unterbreiten kann, bleibt abzuwarten.

In den nächsten Monaten wird es zunächst weiter um humanistische Themen gehen. Für September ist das Thema "Patientenverfügung" geplant, im Oktober wird über das neue Selbstverständnis des HVD diskutiert und im Dezember über das 70. Jubiläum der Erklärung der Menschenrechte. Die Veranstaltungen werden auch über den hpd angekündigt, Interessierte sind herzlich eingeladen.