EuGH: Öffentliche Verwaltung kann Tragen religiöser Zeichen verbieten

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Eine öffentliche Verwaltung kann das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbieten. Das urteilte gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg und bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung.

Anlass des Urteils war die Klage einer Muslimin in Belgien gegen ihren Arbeitgeber. Die Frau arbeitet seit 2016 in der Verwaltung der Gemeinde Ans und bekleidet dort die Stelle einer Büroleiterin, wobei sie in der Regel nicht mit Personen in Kontakt kommt, die öffentliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Sie übte ihre Tätigkeit zunächst aus, ohne Zeichen zu tragen, die ihre religiösen Überzeugungen erkennen ließen. 2021 beantragte sie, am Arbeitsplatz Kopftuch tragen zu dürfen.

Die Gemeinde lehnte ihren Antrag ab und änderte anschließend die Arbeitsordnung, indem sie eine Verpflichtung zur "exklusiven Neutralität" am Arbeitsplatz einführte. Allen Arbeitnehmern der Gemeinde ist es demnach verboten, am Arbeitsplatz irgendein sichtbares Zeichen zu tragen, das – unter anderem – ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erkennen lässt, und zwar unabhängig davon, ob sie Publikumskontakt haben.

Die Frau strengte daraufhin mehrere Verfahren an, um feststellen zu lassen, dass sie in ihrer Religionsfreiheit verletzt worden sei. Insbesondere erhob sie beim Arbeitsgericht Lüttich eine Unterlassungsklage unter anderem gegen die Änderung der Arbeitsordnung. Zur Stützung dieser Klage machte sie geltend, sie sei diskriminiert worden.

Das Arbeitsgericht Lüttich beschloss 2022, das Verfahren auszusetzen und wandte sich an den Europäischen Gerichtshof hinsichtlich einer Vorabentscheidung (C‑148/22). Der EuGH sollte entscheiden, ob es nach Unionsrecht einer öffentlichen Verwaltung erlaubt ist, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten und folglich dem gesamten Personal unabhängig davon, ob ein direkter Kontakt im Publikumsverkehr besteht, das Tragen von Zeichen bestimmter Überzeugungen zu verbieten, und ob dies auch dann der Fall wäre, wenn dieses Neutralitätsgebot offenbar mehrheitlich Frauen träfe und es sich daher um eine verdeckte Diskriminierung wegen des Geschlechts handeln könne.

Mit einem Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem EuGH im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend der Auslegung des Unionsrechts oder der Gültigkeit einer Handlung der Union vorzulegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.

Der EuGH urteilte im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen, dass es zulässig ist, wenn eine öffentliche Verwaltung das sichtbare Tragen von Zeichen, die weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen erkennen lassen, verbietet, um ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen. Eine solche Regel sei nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal dieser Verwaltung angewandt werde.

Die zweite Frage, ob es sich bei der Neutralitätsregelung um verdeckte Diskriminierung von Frauen handeln könne, verwarf das Gericht als unzulässig. Die Vorlageentscheidung enthalte keine Angaben, anhand derer sich bestimmen ließe, auf welchen tatsächlichen Annahmen die zweite Frage beruhe und aus welchen Gründen eine Antwort auf diese Frage zusätzlich zur Antwort auf die erste Frage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich wäre, so das Gericht.

Das Urteil des EuGH bedeutet allerdings nicht, dass öffentliche Verwaltungen nun ihren Angestellten strikte Neutralität verordnen müssen. Das Gericht betont, dass ebenso zulässig sei, wenn sich eine andere öffentliche Verwaltung für eine andere Neutralitätspolitik entscheide, wie etwa eine allgemeine und undifferenzierte Genehmigung, sichtbare Zeichen unter anderem weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, oder ein Verbot des Tragens solcher Zeichen, das nur auf Situationen beschränkt sei, in denen es zu Publikumskontakt komme. Denn jedem Mitgliedstaat, gegebenenfalls einschließlich seiner unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten unter Wahrung der ihnen zuerkannten Befugnisse, sei ein Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes, die er am Arbeitsplatz fördern möchte, zuzuerkennen, so das Gericht.

Der EuGH bestätigt mit diesem Urteil seine Rechtssprechung in ähnlich gelagerten Fällen aus den Jahren 2017 und 2022.

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