Eine ultramarinblaue Libelle schießt über eine Smaragdeidechse hin. Eine Zornnatter schnappt nach einem Falter. Sie windet sich um eine Distel. Schmetterlinge umtanzen ein Alpenveilchen. All das ereignet sich auf einer "Landschaft mit Reptilien, Insekten, Alpenveilchen und Distel", einem Waldbodenstillleben, für die Otto Marseus van Schrieck schon im 17. Jahrhundert berühmt wurde. Eine Ausstellung des Malers zeigt das Staatliche Museum Schwerin.
Der Mathematiker und Freund von Descartes Johannes Hudde erfand das Einlinsenmikroskop. 1660 führte er es einem kleinen Kreis vor, unter ihnen Baruch de Spinoza, Johannes Swammerdam und dem Maler Otto Marseus van Schrieck.
Der Biologe Swammerdann, der als Erster beobachtete, dass Fliegen nicht in einer Spontanmetamorphose aus Schlamm entstanden, sondern einen Lebenszyklus über Eier und Larven durchliefen, und Raupen nicht als Puppen starben, um als Schmetterlinge zu neuem Leben aufzuerstehen, wusste Marseus auch als Naturforscher zu loben. 1678, kurz nach Marseus’ Tod mit nur 58 Jahren, berichtete er über seinen Freund, dass dieser als Erster den Lebenszyklus der Schlupfwespe beobachtet hatte, die ihre Eier in Raupen ablegt, von deren lebendigem Fleisch sie sich dann nähren, bis sie als geflügelte Insekten schlüpften.
Während die Anatomen einbalsamierte menschliche Organe präparierten, bezog Marseus erstmals authentische Schmetterlingsflügel in seine Bilder mit ein: Er drückte sie gegen die Leinwand, so dass die fein gefärbten Schuppen auf dem Malgrund hafteten, ja, sogar ihr Schillern erhalten blieb. - Sein Nachfolger Elias van Bruck musste die Amsterdamer Malergilde verlassen, nachdem er gleich ganze Flügel auf die Leinwand klebte. Das sei eben "keine Kunst".
Doch Marseus ging es um etwas anderes. Auf seinen Waldbodenstillleben wollte er weg vom Okkultismus hin zur Darstellung von Struktur und Ordnung in der Natur. Gegenstand der malerischen Erkundungen des um 1620 in Nijwegen geborenen Malers waren die Nacht- und Schattengeschöpfe der Natur und das, was als Ungeziefer galt: Schlangen und Kröten, Heuschrecken, Libellen, Iltisse und Mäuse, aber auch Schmetterlinge und wie Eichhörnchen anmutende Nager, Pilze aber auch Maiglöckchen. Wann er genau damit begann, wissen wir nicht, das erste erhaltene Waldstillleben ist auf 1655 datiert, das erste Waldbodenstillleben auf 1660.
1649 reiste Otto Marseus van Schrieck mit seinem Malerkollegen Wilhem van Alst nach Italien. Mindestens acht Jahre blieb er dort. Er wurde Mitglied der Gilde ausländischer Maler und brachte es zu einiger Berühmtheit. Die Familie Medici gehörte zu seinen Kunden. Die interessierte sich zunächst für seine Waldstillleben voller Schlangen. Wegen der Giftwirkung jener Tiere, die sie bekanntlich politisch wirkungsvoll einzusetzen pflegte. In einer Zeit, in der Wissenschaft und Malerei noch nicht derart voneinander geschieden waren und die Wissenschaft erst die Darstellungsform ihrer Erkenntnisse entwickeln musste, war Marseus ein Pionier.
Marseus kannte die Welt. Ehe er in Italien ankam, hatte er in Paris eine Zeitlang für das französische Königshaus gemalt. In Amsterdam besuchte ihn ein Mitglied der Medici-Familie. Der Maler lebte mittlerweile auf einem kleinen Hofgrundstück vor den Toren der Stadt, wo er Terrarien aller Art mit den verschiedensten Reptilien anlegte, die ihm lebendig Modell standen und überaus zahm gewesen sein sollen, so dass sie in der Position still verharrten, in die er sie eigenhändig zurechtgerückt hatte. Darüber staunten die Zeitgenossen; aber als Sonderling galt er nicht. Obwohl er erst mit 44 Jahren heiratete und keine Kinder hatte. Was er, bevor er mit den ersten Fischstillleben reüssierte, gemalt hatte, ist nicht bekannt. Marseus' Kunst bleibt in vieler Hinsicht geheimnisvoll, der Künstler eine Ausnahmeerscheinung.
Auf seinen Bildern werden die Lebewesen, die im Dunklen leben, kompositorisch denjenigen gegenübergestellt, die um zu leben, Licht und Helligkeit brauchen. Den Tieren werden Elemente zugeordnet. Die blaue Winde schuf er nicht zufällig aus leuchtender Lapislazuli-Farbe. Diesem Blau wurde, weil es bei der Darstellung der Schutzmantel-Madonna eingesetzt wurde, eine heilsame Wirkung zugeschrieben. Die Eidechse stand für das Gold, genau so wie der Stieglitz, und damit auf der obersten Stufe des Veredelungsprozesses der Materie.
Das Chamäleon, das Marseus' Interesse besonders weckte, besaß eine Lunge und wurde daher damals der Luft zugeordnet.
Die Farben, mit denen Marseus die Erde malte, war er bestrebt, aus Erde zu gewinnen, die für Pflanzen aus Pflanzen, Steine malte er vorzugsweise aus geriebenem Stein. Alchemie und Naturforschung waren miteinander verwoben. Moosstrukturen schuf er grafisch, indem er die Farbe mit Moosschwämmen aufdrückte – wie Max Ernst viel später.
"Und so erweist sich die Gegenüberstellung von Kröte und Winde als dichotisch, als von zwei Seiten her argumentierend: Sie eröffnet sowohl eine buchstäbliche als auch eine figürliche Lesart. Sie konstituiert und zeigt, präsentiert und repräsentiert die antagonistischen Kräfte der Natur, die sich via Farbe sichtbar äußern", schreibt Karin Leonard im Katalog.
PS: Vielleicht ist der immer wieder als Eichhörnchen bezeichnete Nager mit buschigem Schweif auf Marseus’ Leinwänden ein Siebenschläfer, fragt sich die Verfasserin dieses Textes. Dafür sprächen neben der eher matten Fellfarbe die weniger muskulös ausgefallenen Hinterläufe, die auf eine eher kletternde als sprunghafte Fortbewegung verweisen. Dazu die weniger kräftige Oberkieferpartie, erklärbar durch eine Ernährung eher mit Früchten denn mit Nüssen, der eher ungelenke Schweif zur Balance wieder eher beim Klettern als zum kühnen Sprung von Baum zu Baum geeignet sowie die matte Fellfarbe ohne weiße Bauchpartie. Und schließlich fehlen Marseus’ Tieren die typischen "Pinselohren" unserer beliebten Parkbewohner. So ein Nachttier wie der Siebenschläfer würde dagegen gut zu Marseus' verborgener Menagerie passen.
"Die Menagerie der Medusa.Otto Marseus van Schrieck", Staatliches Museum Schwerin, bis 15. Oktober, danach Rijksmuseum Enschede, gleichnamiger Katalog 224 S. 38,00 Euro im Hirmer Verlag