Bunte Haare oder ein auffälliges Nageldesign mögen Geschmacksfragen sein – verfassungsfeindliche Tattoos sind es nicht. Regelungen zum Erscheinungsbild von Beamt*innen und Soldat*innen sollen klären, was erlaubt ist und was nicht, um die Funktion vor den individuellen Ausdruck zu stellen. Was für die Einen der Versuch ist, Neutralität zu wahren, ist für religiöse Gruppen ein Versuch, Gläubigen den Zugang zu bestimmten Berufen zu verwehren.
Bereits im Februar dieses Jahres wurde der "Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften" vorgelegt. Im April passierte es den Bundestag. Anstoß für das neue Gesetz war ein Polizist, der mit NS-Zeichen tätowiert war und aus dem Dienst entlassen wurde, da seine Werteauffassung dem Grundgesetz widerspricht. Das Gesetz umfasst jedoch nicht nur diese Form des Körperschmucks, sondern geht auch unter anderem auf Fingernägel, Kosmetik, Schmuck, Piercings, Frisuren, Barttrachten sowie andere Modifikationen des Erscheinungsbildes ein. Nach Paragraph 61 Absatz 2 Satz 2 können diese Formen des Ausdrucks eingeschränkt oder ganz untersagt werden. Bei Polizist*innen betrifft das zum Beispiel den sichtbaren Bereich des Körpers in der Sommeruniform: Hals, Hände und Unterarme.
Diese und vorangegangene Regelungen zum Erscheinungsbild sollen bewirken, dass die Funktionen von Beamt*innen im Vordergrund bleiben und nicht zugunsten des individuellen Ausdrucks der Person in den Hintergrund treten.
Ein Schutzmechanismus für alle Menschen dieses Landes, egal welcher Weltanschauung, welchem Fußballteam, welcher Religion oder sonstigen Gruppierung sie angehören. Wer vor Gericht muss, einen Antrag einreicht oder anzeigen möchte, muss sicher sein, möglichst neutral beurteilt und behandelt zu werden. Wenn Kreuze in öffentliche Gebäude gehängt werden, können religionsfreie Menschen diese nicht immer ohne Sorge betreten. Die Richterin im "Go vegan"-Shirt, die über das Anliegen eines Jägers urteilen soll oder der Beamte mit BVB-Schal, der den Bauantrag des Schalke-Fans entgegennimmt, könnte eventuell auch Befürchtungen wecken.
Schablonen dafür, wie Beamt*innen im Dienst auszusehen haben und wie klein oder groß eine Körpermodifikation sein darf und wo sie sich zu befinden hat, liefert das Gesetz natürlich nicht mit. Sicherlich werden in Zukunft Gerichte einzelne Fälle beleuchten und Grenzen festsetzen müssen.
Für religiöse Gruppen ist das Gesetz ein Kopftuchverbot durch die Hintertür, beziehungsweise ein Versuch, muslimische Frauen und jüdische Männer aus den betroffenen Berufsgruppen auszuschließen. Gemäß Paragraph 61 Absatz 2 Satz 4 gibt es eine Ermächtigungsgrundlage, die das Tragen des muslimischen Kopftuches, der jüdischen Kippa und des christlichen Kreuzes – trotz des Eingriffes in das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – einschränken oder untersagen kann. Der Koordinationsrat der Muslime beklagt dazu, dass er beim Verfassen des Gesetzesentwurfes nicht eingebunden worden sei und Musliminnen vor die Wahl gestellt würden, sich entweder für das Kopftuch oder den Beruf als Beamtin ohne Kopftuch zu entscheiden. Der Koordinationsrat sieht darin ein falsches Signal an die Musliminnen im Land und das Vertrauen in staatliche Einrichtungen geschwächt.
Während die meisten Menschen in Deutschland sich über die Hürden zum Kirchenaustritt ärgern und womöglich eine schlechtere Behandlung durch Befangenheit fürchten müssen, ist es zum Beispiel für Apostat*innen, die vor Verfolgung und Gewalt flüchten mussten, schlicht überlebenswichtig, dass Polizei, Richter*innen und Behörden neutral sind. Womöglich ist es da ein geringer Preis, religiöse Symbole nur in der Freizeit zu tragen und Götter sowie ihre teils weltfremden Gebote nicht mit zur Arbeit zu nehmen.
6 Kommentare
Kommentare
Antimodes am Permanenter Link
Ich finde es schwer, Leute ernst zu nehmen, die ihre Irrationalität ständig darstellen müsssen. Wenn jemand in vertretender Funktion solche Symbole trägt, ist das für mich ein Zeichen von Unfähigkeit.
Darum wähle ich keine Leute, die sich in religiöser Kleidung auf ein Wahlplakat drucken lassen oder ihre persönliche Religion ins politische Portfolio drücken.
David Z am Permanenter Link
Zustimmung. Religiösität sollte den Status erreichen, den Rauchen mittlerweile hat: Es sollte einem leicht peinlich bzw. unangenehm sein.
Leider ist der Weg dahin noch weit.
Friedrich, Peter am Permanenter Link
Demzufolge müssen alle Minister ihr Amt augeben, die ihren Eid mit" So war mir Gott helfe" beenden. Denn sie berufen sich auf ihre Religion.
Björn Jagnow am Permanenter Link
Durch das Verbot von Symbolen werden die jeweiligen Beamten allerdings nicht neutraler.
Ein Kreuz an der Wand der Institution setzt zudem ein anderes Aufbau Signal als ein Kruzifix am Hals einer Beamtin. Gruppenzugehörigkeit von Institutionen halte ich für deutlich brisanter.
Alexander von d... am Permanenter Link
Worüber reden wir eigentlich?
Es ist daher nur zu verständlich, wenn gewisse Regeln für das Erscheinungsbild der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieses Staates bestehen. Leider ist das aber nur eine Seite der Medaille. Denn wenn hinter diesen Regelungen keine HALTUNG der verpflichteten Personen steht, kollabiert das ganze zu einer Farce. Es ist wie so häufig, dass gut gemeinte Vorschläge sofort benutzt werden, um irgendwelchen Opferrollen neuen Auftrieb zu geben, dass gewisse Minoritäten sofort aufschreien und sich zum Sprachrohr aller machen, egal, ob es diese "alle" interessiert oder nicht. Wer am lautesten schreit wird gehört. Wie weit wollen wir das eigentlich noch treiben? Besser wäre, es, wenn sich die HALTUNG derjenigen, die diesen Staat repräsentieren wollen / sollen dahingehend ändern könnten, dass sie ihre Aufgabe für die Gemeinschaft in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen, anstatt religiöse Befindlichkeiten. Für Menschen ohne religiöse Prägungen - die im übrigen ja inzwischen die größte Gruppe der Bevölkerung ausmachen ist das alles völlig unverständlich und insgesamt inzwischen ein Ärgernis.
Eine letzte Anmerkung zu diesem schrecklichen Gendern: Wenn ich im Artikel "Beamt*innen und Soldat*innen" lese, dann schwillt mir der Kamm: Im Wort "Beamt*innen" geht die männliche Form völlig unter, denn das sind die BeamtEN. Also warum nehmen wir uns nicht die Zeit und schreiben entweder Beamtinnen und Beamten oder vereinbaren, dass Beamten Menschen jedweden Geschlechts meinen. Dabei musste ich vor kurzem lernen, dass in der "kleinen Pause, die durch "*" entstehen soll alle anderen außer männlich./weibl. gemeint sind: Welche eine völlig bescheuerte Regelung, die außer den Frauen eigentlich alle anderen beleidigt, weil sie diesen einen unangemessenen Platz einräumt.
Zum Schluss: Ich bin ein überzeugter Unterstützer von Gleichberechtigung und setze mir wo immer möglich dafür ein. Nur eben auch hier kommt es auf die HALTUNG an und nicht auf sprachliche Verrenkungen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
D'accord, lieber Alexander, mit dem, was du hier als Farce beschreibst - und was du als Haltung anmahnst; und dass das Ding für die Tonne ist, wenn die innere Haltung fehlt. Schau/hör dir z.B.
Es ist manchmal zum Verzweifeln.
Zu deiner letzten Dschänder-Anmerkung - es ist ja auffällig, dass das *, als Sprechpause ausgedrückt, in der Tat immer häufiger von Politikern und sonstigen Influencern bar jeder Kritik als solche Pause nachgeplappert wird; eine wahre Seuche! Ich freue mich schon auf die nächste Stufe und entspr. Missverständnisse etwa der Art: "Es soll/en der/die Soldat innen innen und außen Haltung annehmen." ;-)