Ist die Idee der Menschenrechte eine christliche Errungenschaft?

Der Gott kennt keine Moral

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Liebevoll ruht sein Blick auf ihnen. Aber vielleicht schläft er auch

Die Idee der Menschenrechte wurde über Jahrhunderte gegen den brutalen Widerstand der Kirchen durchgesetzt. Heute tun Berufschristen gern so, als hätten sie sie erfunden. Menschenwürde, las man kürzlich wieder, leite sich aus der "Ebenbildlichkeit" der Menschen mit Gott ab. Das ist natürlich grober Unfug. Denn das Konzept "Gott" ist per se ein unsoziales und moralfreies.

Seit es, zumindest in den aufgeklärteren Gegenden dieser Welt, aus der Mode gekommen ist, religionsfreie Menschen einzusperren, zu foltern und zu verbrennen, haben die Gottisten in der Öffentlichkeit ein Legitimationsproblem. Denn was Moral angeht, kann man nun vergleichen: Ist der Gott so lieb wie sie es immer verkünden wollen, steht er für ethische Prinzipien? Oder erscheint nicht doch wesentlich sinnvoller: Wir Menschen müssten uns auf der Grundlage von Freiheitsrechten und Toleranz selber um Gerechtigkeit und Frieden auf Erden bemühen?

Die Geschichte der Kirchen ist eine von flächendeckender körperlicher und seelischer Grausamkeit, von gnadenloser Machtpolitik und Unterdrückung, deren jüngstes Kapitel die Aufdeckung massenweiser übelster Verbrechen von Priestern an Schutzbefohlenen ist. Doch daran wollen wir die Religion erst mal gar nicht messen. All das mag ja ein Betriebsunfall gewesen sein, den zu verhindern der Gott leider keine Gelegenheit hatte.

Geht es nach den Kirchen, so sind sie selber Garanten ethischen Handelns. Seit allerdings die Idee der Menschen- und Freiheitsrechte, ganz ohne Zuhilfenahme eines Gottes, in der Welt ist, rudert die Religion hinterher: Denn dass diese gottfreie Moral derjenigen der Kirchen weit überlegen ist, leuchtet ja sofort ein. Und so wie ein überkommener, korrupter Auto- oder Ölkonzern sich gern für die Außenwirkung einen ökologischen Anstrich gibt, so versuchen auch die Berufschristen seit Langem, ihre antike Ideologie so lange hinzubiegen, bis sie irgendwie modern und menschenfreundlich erscheint.

Jüngst, so las man auf evangelisch.de, hat etwa ein Professor für Religionspädagogik empfohlen, die Idee der Menschenrechte im Religionsunterricht zu verhandeln. Die Kirche hat da nämlich einen  Kniff ersonnen, um jene Freiheitsidee, die sie jahrhundertelang vehement bekämpft hat, unter ihre Fittiche zu nehmen. So erklärt der Religionspädagoge: Die Menschenwürde, zentraler Begriff zur Begründung der Menschenrechte, leite sich für den Christen aus der "Gottesebenbildlichkeit" des Menschen ab.

Nun also, alle historischen und aktuellen Monstrositäten der organisierten Religionen beiseite gelassen, steckt da vielleicht etwas drin? Wenn wir ethische Unregelmäßigkeiten wie die Hexenverbrennungen, die Religionskriege, die Segnungen der Feldgeschütze, und so weiter und so weiter, wenn wir all das einmal außer Acht lassen: Liegt eine Menschenwürde in der Vorstellung, wir alle seien nach dem Ebenbild des Gottes geschaffen?

Will man darüber nachdenken, hakt es schon ganz, ganz am Anfang. Wie soll es überhaupt möglich sein, dass der Mensch des Gottes Ebenbild sei? Wäre er ebenso perfekt, allmächtig, allwissend, so käme ja die ganze Handlung der Bibel niemals in Gang, und die Religiösen blieben auf ihr sitzen. Der gesamte Plot und das gesamte Geschäftsmodell der Religion beruhen ja darauf, dass der Mensch eben, aus der Sicht des Gottes, "fehlerhaft" ist. Daher dann der Rauswurf aus dem Paradies und alles nachfolgende Elend.

Daran kommt auch der gelenkigste Gummitheologe nicht vorbei: Gott, der Perfekte, Weise, Allmächtige, hat den Menschen eben nicht als sein Ebenbild geschaffen, sondern eher als eine Art Nutztier, welches der Erzeugung von Gebeten dient, von denen die egozentrische Seele des Gottes sich nährt. Um an all die Gebete zu kommen, muss er den Menschen natürlich immer mal wieder Drangsal, Not und Elend bescheren.

Die Moralität des biblischen Protagonisten ist oft genug abgehandelt worden: Im Alten Testament ist der Gott ein rach- und herrschsüchtiger Vollpfosten, der vor keinem Massaker zurückschreckt. Als er in einer Wut etwas veröffentlicht, das bis heute immer wieder als Moralkodex verkauft wird, die Zehn Gebote, steht nicht viel mehr drin, als dass man niemandem etwas wegnehmen und niemanden umbringen soll – ganz als wäre derlei bis da hin in menschlichen Gesellschaften erlaubt gewesen.

Das Hauptgewicht der Zehn Gebote allerdings liegt ganz woanders. Was dem Gott wirklich am Herzen liegt: Dass man ihn verehre. Und zwar nur ihn. Als moralischer Leitfaden ist das arg dürr, und man darf in der Bibel auch lieber nicht links und rechts weiterlesen, wo Ehebrechern, Ungläubigen und anderen missliebigen Personen die Steinigung anempfohlen wird. Denn keineswegs formulieren die Zehn Gebote auch nur näherungsweise universale Rechte, ganz im Gegenteil: Ihr einziger Zweck ist es, die religiösen Follower dieses einen Gottes zusammenzuschweißen gegen die dummen, ignoranten, widerwärtigen Follower aller anderen Religionen. Welchen Sinn es haben soll, dass man sich als Gott ein einzelnes Lieblingsvolk herauspickt statt alle Menschen auf der Erde gleichermaßen zu beglücken, erschließt sich dabei auch nicht. Eher scheint der Herr ja hier eine Spaltung befördern und Konflikte heraufbeschwören zu wollen, die wir bis heute hin tatsächlich auch erleben.

Die Kirchenleute haben es sich zur Gewohnheit gemacht, den großen Unsympathen des Alten Testaments wegzudeuteln: Der habe halt ein paar Tausend Jahre lang einen schlechten Tag gehabt, dann aber ein Einsehen. Dann habe er den Jesus auf die Erde geschickt, um die Menschheit zu erlösen, wobei auch nach dem vierten Bier niemand versteht, wer da von was erlöst wird, wenn der Gott ein paar Tage tot spielt, um seinen Haustieren ein schlechtes Gewissen zu bereiten. 

Seit Jesus da war, berufen sich die Berufsreligiösen mit einem Sinn für Außenethik gerne auf den. Liebe deinen Nächsten, habe der gesagt, und: Wenn dich einer auf die eine Backe haut, halte ihm die andere auch noch hin. Diese zentralen Botschaften werden dann so hingebogen, als sei die Saat von Toleranz und Menschenrechten in ihnen angelegt, die Menschenwürde vorformuliert. Tatsächlich aber, erstens: verständigen sich hier gar keine Menschen auf menschenwürdige Regeln. Sondern Gott haut die neueste Anweisung raus.

Das ist häufig das Verständnis, das Christen von moralischem Handeln haben: Ohne Befehl von oben gebe es keines. Wobei Gott eben mit Himmel und Hölle ein bisschen nachhilft, seine ganze so genannte Moral also eigentlich nur ein Terrorsystem ist. Menschenwürde? Findet hier keinen Raum. Sie geböte ja, der Mensch hätte Gelegenheit, sich frei zu entfalten und die Regeln des Miteinanders auf der Grundlage seines Menschenverstandes auszuhandeln.

Mehr noch, die beiden immer wieder hoch gelobten Konzepte der Nächsten-, wenn nicht sogar  Feindesliebe sowie der Gewaltlosigkeit rauben dem Menschen ebenso seine Würde. Wenn er geschlagen wird, soll er sich nicht wehren, sondern um mehr Schläge bitten. Ihm wird also das Verfügungsrecht über seinen Körper genommen.

Und er soll jeden lieben, auch den pupsenden, meckernden Nachbarn, auch Björn Höcke, auch die Bischöfe, die den Kindesmissbrauch gedeckt haben. Ihm wird also das Verfügungsrecht über die eigenen Gefühle genommen, unter Berufung auf einen Oberheini im Himmel, der widrigenfalls mit Vernichtung droht – während seine Leute überall verbreiten, er habe uns lieb. Moderne Zeiten haben dafür einen Begriff: Mindfuck.

Mit Menschenwürde, Freiheitsrechten und der aus ihnen folgenden Toleranz hat das alles nichts zu tun, es buttert sie unter. Toleranz muss gepflegt, ausgehalten und durchgesetzt werden, sie braucht Gegenwehr gegen diejenigen, die sie attackieren. Ein Mensch, dem seine Würde lieb ist, sollte sich niemals einer fremden Macht mit Haut und Seele ausliefern müssen wie die Gottheit es immer wieder verlangt.

Dass sie es tut, ist erwartbar und, nun ja, menschlich. Was will man denn auch erwarten von einem wie Gott, der bis zur Erfindung der Welt immer ganz allein gewesen ist? Er ist eben nie sozialisiert worden, wie auch. Er ist der absolute Autokrat, ist das Unsoziale in Person. Gott ist ein Einzelner. Allmächtig. Allwissend. Unendlich. Gott ist zwingend ohne Moral, denn Moral beginnt erst dort, wo es ein Zusammenleben gibt. Robinson Crusoe braucht keine Moral, denn er hat auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Gott hat keine Moral, denn er pflanzt sich nicht fort, er verliebt sich nicht, er wird nicht von Gitarrenhändlern übers Ohr gehauen, niemand tritt ihm in der U-Bahn auf den Fuß, er findet keine Hundert-Euro-Scheine im Park, er hat keine Stinkwut auf den Nachbarn und ist nie neidisch auf dessen schöne Ziege.

Gott ist allein, und in seinen Zehn Geboten legt er auch äußerst großen Wert darauf. Das unterscheidet ihn grundlegend, wesenhaft von uns. Allein schon deswegen können wir nicht sein Ebenbild sein, und seien wir froh darüber. Unsere Würde, die stets bedrohte, leiten wir daraus ab, dass wir anständig und respektvoll umgehen können mit anderen Menschen, selbst wenn sie uns stinken. Selbst wenn sie hässlich oder hochnäsig sind, oder wenn sie einer all der hanebüchenen Religionen angehören, die so viel Leid und Zerrissenheit auf den Erdball gebracht haben.

Wenn wenigstens mal jemand eine Gottheit erfinden würde, die sich für Gleichberechtigung aller Geschlechter und Rassen und sexuellen Orientierungen, für ein Miteinander und Demokratie, für Frieden und Bildung einsetzt! Dann würde die vielleicht gar nicht mal stören. Dann wäre die vielleicht sogar okay. Dann wäre da endlich mal eine unsichtbare Macht, die es gut meint mit uns Menschen.