Der Papst, die Pille und das Zika-Virus

Gretchenfrage "Verhütungsmittel"

Nun, wie so oft im Leben hilft ein Quellenstudium weiter. Auf der Homepage der Catholic News Agency (CNA) ist eine englische Transkription des Interviews mit Papst Franziskus auf seinem Rückflug von Mexiko nach Rom nachzulesen, unter anderem die Passage, die seine Äußerungen zu Verhütungsmitteln angesichts der Zika-Virus-Epidemie beinhaltet:

"Paloma García Ovejero, Cadena COPE (Spanien):
Heiliger Vater, seit einigen Wochen ist man in vielen Ländern Lateinamerikas aber auch in Europa sehr besorgt wegen des Zika-Virus. Schwangere Frauen sind am meisten gefährdet. Die Menschen haben Angst. Einige Behörden haben den Einsatz von Abtreibungen oder anderen Mitteln vorgeschlagen, um Schwangerschaften zu vermeiden. Was das Vermeiden von Schwangerschaften in dieser Angelegenheit betrifft: Könnte die Kirche das Konzept 'des geringeren von zwei Übeln' in Erwägung ziehen?

Papst Franziskus:
Abtreibung ist nicht das geringere von zwei Übeln. Es ist ein Verbrechen. Es ist, als würde man jemanden rauswerfen, um einen anderen zu retten. Das ist das, was die Mafia tut. Es ist ein Verbrechen, ein absolutes Übel. Was das 'geringere Übel', das Vermeiden von Schwangerschaften, betrifft, sprechen wir über einen Konflikt zwischen dem fünften und sechsten Gebot. Paul VI., ein großer Mann, erlaubte Nonnen in einer schwierigen Situation in Afrika den Gebrauch von Verhütungsmitteln bei Fällen von Vergewaltigung.
Aber verwechseln Sie das Übel, eine Schwangerschaft zu verhindern, nicht mit Abtreibung. Abtreibung ist kein theologisches Problem, es ist ein menschliches Problem, es ist ein medizinisches Problem. Man bringt eine Person um, um eine andere zu retten, im besten Fall. Oder um angenehm zu leben, nein? Es widerspricht dem Hippokratischen Eid, den Ärzte schwören müssen. Es ist ein Übel in sich selbst, aber es ist zunächst kein religiöses Übel, nein, es ist ein menschliches Übel. Darüber hinaus ist natürlich, wie alles menschliche Übel, jedes Töten zu verdammen.
Auf der anderen Seite ist das Vermeiden einer Schwangerschaft kein absolutes Übel. In bestimmten Fällen, wie in diesem oder in dem erwähnten des seligen Paul VI., war es eindeutig. Außerdem würde ich die Ärzte dringend bitten, ihr Möglichstes zu tun, um Impfstoffe gegen die beiden Stechmücken zu finden, die diese Krankheit in sich tragen. Hieran muss dringend gearbeitet werden."

Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass die Begrifflichkeiten des Interviews jenen, die in der weiter oben zitierten Passage aus "Humanae Vitae" erstaunlich ähneln. Es handelt sich im Grunde um ein theologisches Fachgespräch, das im Kontext der Regelungen von HV 14 zu verstehen ist. Papst Franziskus bekräftigt darin, dass es sich bei Abtreibungen um ein "absolutes Übel" handelt, etwas, dass unter keinen Umständen zu erlauben ist – dies nimmt den größten Teil seiner Antwort auf die Frage der Journalistin ein. Das Vermeiden von Schwangerschaften hingegen ist "kein absolutes Übel". Das heißt, es ist zwar noch immer ein Übel, aber eben kein absolutes. Es gibt Ausnahmeregelungen. Wie eben jene von Papst VI. erteilte Ausnahmegenehmigung für Nonnen während des Kongokriegs in den 1960er Jahren, in dem Vergewaltigungen an der Tagesordnung waren.

Bedeutet das, dass die Regelungen von "Humanae Vitae" verhandelbar sind? Nein. Vielmehr hat man hierbei einen theologischen Trick angewendet:
"Humanae Vitae" spricht seine Regeln ausdrücklich nur für die sexuelle Zusammenkunft von Ehepartnern aus, denn eine andere sexuelle Zusammenkunft ist im Gedankensystem der römisch-katholischen Kirche ja ohnehin nicht erlaubt. Daher steht die Freigabe der Pille für Nonnen durch Paul VI. auch nicht im Widerspruch zu dieser (erst einige Jahre später von ihm verfassten) Enzyklika. Da ihr Sex kein einvernehmlicher, ehelicher Sex wäre, darf sich die jeweils betroffene Nonne selbstverständlich der Weitergabe von Leben beim sexuellen Akt verschließen, indem sie ein Verhütungsmittel nimmt.

Hat der Papst mit seinem kurzen Statement "Auf der anderen Seite ist das Vermeiden einer Schwangerschaft kein absolutes Übel. In bestimmten Fällen, wie in diesem oder in dem erwähnten des seligen Paul VI., war es eindeutig" also tatsächlich den Einsatz von Verhütungsmitteln bei nicht-ehelichen Vergewaltigungen gleichgesetzt mit dem Einsatz von Verhütungsmitteln zur Verhinderung des Lebens von behinderten Kindern bei ehelichem Sex in Zika-Gebieten? Etwas, das "Humanae Vitae" eindeutig nicht als legitimen Grund anerkennt:

"Wenn es auch zuweilen erlaubt ist, das kleinere sittliche Übel zu dulden, um ein größeres zu verhindern oder um etwas sittlich Höherwertiges zu fördern, so ist es dennoch niemals erlaubt - auch aus noch so ernsten Gründen nicht -, Böses zu tun um eines guten Zweckes willen: das heißt etwas zu wollen, was seiner Natur nach die sittliche Ordnung verletzt und deshalb als des Menschen unwürdig gelten muss; das gilt auch, wenn dies mit der Absicht geschieht, das Wohl des einzelnen, der Familie oder der menschlichen Gesellschaft zu schützen oder zu fördern." (HV 14)

Kann einem theologisch geschulten Menschen wie dem Papst tatsächlich so ein grober Schnitzer unterlaufen? Das fragte sich auch ACI Stampa, die italienische Ausgabe der Catholic News Agency, und bat Pater Frederico Lombardi, den Direktor des Pressebüros des Heiligen Stuhles, um eine Stellungnahme. Lombardi sagte, dass "der Papst entschieden zwischen der Abtreibung, einem Verbrechen, und der Verhütung unterschieden hat. Dadurch, dass er an das Beispiel von Paul VI. erinnerte, hat er unterstrichen, dass in besonders schwerwiegenden Fällen eine — selbstverständlich nicht abtreibende — Anwendung in Betracht gezogen werden kann."

In der Kunst, mit vielen Worten wenig zu sagen, unterscheiden sich Theologen kaum von Politikern. Durch Lombardis Paraphrase wird nicht im Mindesten deutlicher, was der Papst denn nun eigentlich gemeint hat. Ja zu Verhütungsmitteln bei Zika? Oder dürfen doch nur die Nonnen im Kongo? Was sind "besonders schwerwiegende Fälle"? Oder gibt es vielleicht doch noch eine andere Lesart der päpstlichen Worte, die mit "Humanae Vitae" in Einklang zu bringen wäre?

Ja, die gibt es. Der Papst spricht von einer "Verhinderung der Schwangerschaft". Eine solche ist nach "Humanae Vitae" katholischen Ehepaaren aus Gründen der Familienplanung durchaus erlaubt. Allerdings nicht durch Verhütungsmittel, sondern nur durch Beischlaf an den nicht fruchtbaren Tagen der Frau. Sollte der Papst am Ende also einfach nur das gemeint haben? Keine Zika-Babys durch Enthaltsamkeit an den kritischen Tagen?

Fazit?

Wieder mal ist es Franziskus gelungen, PR-technisch im besten Licht zu erscheinen. Dass er ein barmherziger Papst ist, der über die Gesetze der Kirche hinwegschaut, wenn es darum geht, Leid zu lindern, das ist es, was bei den Menschen hängenbleiben wird – egal, wie Franziskus seine Äußerung denn nun tatsächlich meinte.

Dabei ist dieser PR-Effekt diesmal ausnahmsweise weder Franziskus noch dem Vatikan vorzuwerfen. Nein, die PR-Maschinerie "Franziskus”"hat sich inzwischen verselbständigt. Durch Franziskus-Fans aller Glaubens- und Nichtglaubensrichtungen – und vor allem durch jene, die von Beruf Journalisten sind – wird ein päpstlicher Halbsatz zu einer Wundertat aufgebauscht, obwohl er vielleicht nur kalter Kaffee ist. Und warum? Weil seine Fans in Franziskus auf Teufel komm raus den Erlöser vom jahrhundertealten Mief der katholischen Kirche sehen wollen, den sie schon so lange verzweifelt erhoffen. Wie die Realität "Franziskus" aussieht, interessiert sie dabei herzlich wenig.