Kommentar

Ist das Hufeisen noch zu retten?

Die Ereignisse in Thüringen überschlagen sich und nicht nur dort scheint das dogmatische Festhalten an der Hufeisentheorie von Seiten der CDU und FDP eine stabile Regierungsbildung schwierig zu machen. Ein guter Anlass, um sich mit der unter Politolog*innen umstrittenen Theorie etwas genauer zu befassen. Ein Kommentar von Constantin Huber.

Es gibt Grund zur Annahme, dass das Hufeisen nicht mehr zu retten ist. Denn als Teil der gängigen Extremismustheorie hat es aus mehreren Gründen vollends versagt. Zum einen gibt es – wie die Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus Natascha Strobl bereits vor einigen Monaten schrieb – durchaus auch eine Gewalt in "der Mitte". Wenn etwa darüber nachgedacht wird, ob man Menschen ertrinken lässt, oder wenn vom Bürgerkrieg fantasiert wird, dann ist das Gewalt. Physische Gewalt findet laut Frau Strobl nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird diskursiv vorbereitet. Außerdem schreibt sie, dass es keine undurchdringliche Mauer zwischen "Mitte" und "Extrem" gibt, sondern die Übergänge fließend sind. Die Extremismustheorie ist ihr zufolge unter anderem deshalb gescheitert, weil sie "die Mitte" entschuldet, obwohl es erwiesenermaßen auch dort menschenfeindliches Gedankengut gibt. Zum anderen kann die Hufeisentheorie die Neue Rechte nicht erfassen und hat in der Praxis mehrfach versagt, wie die nur mittelmäßige Arbeit des Verfassungsschutzes im Kampf gegen Rechtsextremismus zeigt. Da reicht ein Blick auf die NSU-Morde und jene in Halle oder Hanau. Und wenn die Antifa an vielen Orten ehrenamtlich die Arbeit leistet, die eigentlich vom Verfassungsschutz geleistet werden müsste, dann sollten sämtliche Alarmglocken ob der eklatanten Schieflage läuten.

Auch weitere Kritikpunkte lassen sich finden. Die vielbeschworene Äquidistanz zwischen Links- und Rechtsextremismus lässt sich nämlich nirgends so recht in der empirischen Realität finden. Der Politikwissenschaftler Robert Feustel schreibt sinngemäß: Während linker Stalinismus kaum noch vorhanden ist, nimmt der aggressive Faschismus auf der rechten Seite immer weiter zu und ist unüberhörbar.

Zumal die absurde Hypothese, "Die Linke" wäre genauso schädlich für die Demokratie wie die "AfD", Länder wie Thüringen oder Sachsen-Anhalt unregierbar machen könnte. Während sich "Die Linke" unverkennbar immer weiter mäßigt und sich in die bundesdeutsche Demokratie integriert, radikalisiert sich die AfD immer stärker. Deren Vorsitzende werden durch immer rechtere ersetzt und der sogenannte "Flügel" um Björn Höcke, dessen Jugendorganisation sich mitunter "Höckejugend" nennt, tritt immer offener für faschistisches Gedankengut ein. Wer dies weiß, aber dennoch "Die Linke" und die "AfD" als gleich demokratiegefährdend darstellt, der macht sich definitiv mitschuldig an der Verharmlosung von Rechtsextremismus.

Der Nutzen von stark vereinfachenden Skalen

Generell muss bedacht werden, dass es sich bei der ursprünglichen ("ungebogenen") Links-Rechts-Skala um eine sehr holzschnittartige Einteilung beziehungsweise Verortung handelt. Um zu überprüfen, wo man steht und um sich von den extremistischen Rändern abzugrenzen, taugt diese Skala. Zu sonderlich viel mehr allerdings nicht. Gerade für politische Laien ist diese Einteilung sinnvoll, um sich ein erstes, grobes Bild zu machen. Aber sobald der Anspruch erhoben wird, eine Partei vollends zu beschreiben oder aber auf theoretischer Basis Regierungs- sowie Verfassungsschutzarbeit konzipiert werden möchte, reicht eine eindimensionale Skala gewiss nicht mehr aus. Dann muss man sich schon in die komplexeren Analysemöglichkeiten und daraus resultierenden empfohlenen Handlungsoptionen der Politikwissenschaft einarbeiten. Der Kampf gegen Rechtsextremismus etwa gelingt nur, wenn entscheidende Personen(-gruppen), Strukturen und Ideologien tiefergehend betrachtet werden. Und dafür braucht es weit mehr als ein oder zwei Skalen, die nur an der Oberfläche kratzen.

Nur einen einzigen Mehrwert bringt die Hufeisentheorie: sie veranschaulicht, dass sich an den Rändern Abgründe auftun. Alles andere ist ohne sie besser zu vermitteln. Etwa das Aufzeigen, dass es eine Grenze zwischen "gemäßigt links" und "extremistisch links" sowie "gemäßigt rechts" und "extremistisch rechts" gibt. Diese verläuft allerdings zwischen "Linken" und "MLPD" auf der linken und zwischen "CSU" und "AfD" auf der rechten Seite – und nicht, wie fälschlicherweise gerne angenommen, zwischen "Grünen" und Linken" beziehungsweise "AfD" und "NPD". Diese Abgrenzung ist auch mit einer geraden oder leicht gebogenen Linie möglich, die keine Äquidistanz oder gar inhaltlichen Gemeinsamkeiten der politischen Ränder vorgaukelt. Auch wenn es vereinzelt gleiche Ziele und Strategien geben mag (wie der vielbeschworene "Umsturz des Systems" oder die Anwendung von Gewalt), so sind die Unterschiede doch viel gravierender als die sehr wenigen Gemeinsamkeiten. Nur, wenn die verschiedenen Ursachen und die Problematiken in den Strukturen und Ideologien an den Rändern differenziert betrachtet werden, können funktionierende Lösungsstrategien eruiert werden. Und nur dadurch kann auch die Einsicht einkehren, dass der rechte Rand real sehr viel schädlicher für die Demokratie und ihre Institutionen ist als etwa das weichgespülte Schreckgespenst des Kommunismus, welcher von keiner relevant großen Gruppe aktuell eingeführt werden möchte respektive kann. Marxistisch-leninistische oder kommunistische Parteien sind nirgends in einem Parlament. In Thüringen, Brandenburg und Sachsen ist die rechtsextreme AfD hingegen sogar zweitstärkste Partei mit weit über 20 Prozent und im Bund immerhin stärkste Oppositionspartei.

Pragmatismus > Dogmatismus

Während die gemäßigte Linke (SPD, Grüne, Linke) für mehr soziale Gerechtigkeit einsteht und niemand davon mit den Linksextremisten (wie der MLPD) zusammenarbeiten möchte und diese Parteien die Demokratie im Zweifel stets stützen, zeigen sich auf der rechten Seite (CDU, FDP, CSU) durchaus Tendenzen, auch durch die Verrohung der Sprache und die Abwertung bestimmter Menschengruppen, die Zusammenarbeit mit den Rechtsextremisten (AfD) willkommen zu heißen. Jüngst hat ein FDP-Kandidat sogar mit Faschisten paktiert, indem er sich von ihnen zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen und erst aufgrund des Protests von weiten Teilen der Bevölkerung hat er seinen Fehler eingesehen. Dabei sollte es unter den Demokraten, unter den "Gemäßigten", Grundkonsens sein, dass solche Entscheidungen nicht von Extremisten getroffen werden dürfen. Dies gibt den Extremisten eine Macht, die ihnen nicht zusteht. Diese Schieflage auf der rechten Seite ist eine ernstzunehmende Bedrohung für die mühsam erstrittenen Werte der letzten Jahrzehnte. Hierfür muss zeitnah eine Lösung gefunden werden. Wenn weiterhin aus den rechten Kreisen der Politik Stimmen laut werden, wonach man mit der AfD doch zusammenarbeiten könne, dann muss das Attribut "gemäßigt" bei den entsprechenden Parteien ernsthaft in Frage gestellt werden.

 

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