Der studierte Historiker Karsten Krampitz legt mit dem Buch "'Jedermann sei untertan' - Deutscher Protestantismus im 20. Jahrhundert" eine kritische Betrachtung zum Thema bezogen insbesondere auf den praktizierten Untertanengeist vor. Der Autor kann anhand von vielen historischen Quellen den einschlägigen Opportunismus nachweisen und regt ohne platte Polemik zu einem kritischen Umgang mit dieser Geschichte an.
Dass Martin Luther auch ein Protagonist des Untertanengeistes war, ist im Reformationsjahr kaum kritisch thematisiert worden. Dies wäre aber durchaus notwendig gewesen, hatte diese Einstellung doch auch Folgen für die evangelische Kirche. Darauf macht der studierte Historiker Karsten Krampitz, der mit einer Arbeit über das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR promoviert wurde, aufmerksam. Sein Buch "Jedermann sei untertan" bezieht sich schon im Titel auf die einschlägige Stelle im Römer 13.
Die besondere Bindung an diese Position macht für den Autor "die große Tragödie der evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert" (S. 15) aus. Er will demnach die Einstellung zur Obrigkeit thematisieren, wobei diese gleich zweimal in Form einer Diktatur bzw. mit dem Kaiserreich noch dazu in einem autoritären Regime bestand. Krampitz legt auf diesen Fragenkomplex bezogen eine "historische Überblicksdarstellung" vor, welche aber bereits in der Einleitung ganz offen "ihre Unvollständigkeit" (S. 31) bekennt.
Es geht indessen los mit dem Blick auf Luther – hinsichtlich seine Antisemitismus und Untertanengeistes. Beides habe die Geschichte des Protestantismus geprägt. Damit einher ging auch eine Distanz zur Weimarer Republik, denn: "Die neue Religionsfreiheit, Ergebnis der Trennung von Staat und Kirche, wurde als Beliebigkeit empfunden …." (S. 37).
Weniger Probleme habe an mit dem Nationalsozialismus gehabt. Bereits vor 1933 wuchs die Sympathie gegenüber der Hitler-Partei an, während man sich im katholischen Lager noch distanzierter verstand. Das Spannungsverhältnis von "Deutschen Christen" und "Bekennender Kirche" wird ausführlicher thematisiert. Dabei rückt Krampitz auch später als positive Figuren geltende Repräsentanten wie Martin Niemöller in ein kritisches Licht. Besondere Aufmerksamkeit wird auch dem Mitwirken im Kontext der Judenverfolgung gewidmet. Dass auch konvertierte Juden ins Visier der Nationalsozialisten geraten konnten, war nur durch entsprechende Informationen darüber durch die Kirchen möglich.
Es gab aber noch viele andere Beispiele für die Kooperation mit dem NS-System, die nur fragmentarisch und nicht umfassender vorgetragen werden. Dabei geht es aber auch, wie der Autor zutreffend hervorhebt, um ein "bislang völlig unzureichend erforschtes Feld" (S. 137). Anschließend widmet er sich der Aufarbeitung dieser Vergangenheit, die einerseits mit der Legende vom Widerstand und andererseits mit einem scheinbaren Schuldeingeständnis einherging.
Bezogen auf Letzteres kommentiert Krampitz kritisch: "Weder Täter noch Opfer wurden in der Erklärung benannt; beinahe möchte man von einer Leugnung der Schuld sprechen bzw. von einer Verleugnung der Verantwortung" (S.159). Und schließlich geht es um die Entwicklung der protestantischen Kirche in der Bundesrepublik, aber auch dann in der DDR. Obwohl die SED-Diktatur eine ideologische Distanz postulierte, gab es einschlägige finanzielle Unterstützung: "Auch in der DDR zahlte der Staat relativ hohe Leistungen an die Kirche, pro Jahr durchschnittlich 15,4 Millionen DDR-Mark …" (S.302).
Krampitz kann sich in seiner Darstellung auf eine Fülle von historischen Quellen stützen. Selbst wenn ihm von bestimmter Seite eine einseitig kritische Perspektive vorgehalten werden könnte, so spricht dies nicht gegen die Faktenlage hinsichtlich des Opportunismus des institutionalisierten Protestantismus. Besonders begrüßenswert ist die kritische Betrachtung von diversen Legenden, wozu etwa die Interpretation des Schuldeingeständnisses gehört. Dass die Darstellung insgesamt lückenhaft ist, hatte Krampitz bereits in der Einführung eingeräumt. Wünschenswert wäre es indessen noch gewesen, die Entwicklung ab den 1970er Jahren genauer in Augenschein zu nehmen. Denn seitdem entwickelte sich im Protestantismus dann doch auch eine gesellschaftskritischere Strömung. Insgesamt fällt auf, dass hier der beschreibende Historiker am Werk ist. Häufig hätte man sich nähere Reflexionen zu einzelnen Punkten gewünscht. Gleichwohl bereichert der Autor mit seiner Gesamtdarstellung das kritische Wissen um den deutschen Protestantismus – und dies ohne platte Polemik.
Karsten Krampitz, "Jedermann sei untertan". Deutscher Protestantismus im 20. Jahrhundert, Aschaffenburg 2017 (Alibri-Verlag), 352 S., 20,00 Euro -> Amazon
5 Kommentare
Kommentare
Roland Weber am Permanenter Link
Evangelisch stützt man sich auf Jesus und Paulus. Katholisch braucht man das gar nicht, da man ja einen Stellvertreter Gottes auf Erden hat, bei dem sich die Frage der Unterwerfung erst gar nicht stellt ...
rainerB. am Permanenter Link
Doch, einen Theologen gibt es in DE: Hermann Detering mit seiner Netzseite radikalkritik.de. Detering beschäftigt schon Jahrzehnte damit, "Wurzeln des Christentums freizulegen".
Roland Weber am Permanenter Link
Da bin ich mit Ihnen, und vor allem mit den Autoren Detering, Specht und Atwill auf einer Linie. Wie alles zusammenhängt, habe ich in meinen beiden Büchern:
Jesus, Römer, Christentum - Die makaberste Tragödie des Abendlandes
ausführlichst dargelegt. Auf der Seite von Detering finden Sie auch eine Rezension von Specht zu meinem zweiten Buch.
rainerB. am Permanenter Link
Ach "Gottchen", da habe ich ja Eulen nach Athen getragen! Die Rezension auf radikalkritik.de hatte ich sogar schon gelesen, aber mir Ihren Namen nicht gemerkt, was wohl jetzt nachgeholt ist.
Roland Weber am Permanenter Link
Macht nix! - Ein bisschen Werbung wäre allerdings für die Aufklärung hilfreich! Die Ergebnisse müssten sich nur mehr herum sprechen. Für das gelehrte Christentum sieht es nämlich ganz, ganz düster aus!